Verden/Stuhr-Brinkum. Als ungewöhnlicher Fall mit Zügen eines ebenso fantasievollen wie brutalen Fernsehkrimis hat sich von Beginn an dargestellt, was am 5. Februar 2022 in einer Lagerhalle in Brinkum passiert sein soll. Im langwierigen Verdener Landgerichtsprozess gegen drei junge Männer, denen erpresserischer Menschenraub und mehr vorgeworfen wird, hat das bisherige Bild des angeblichen Geschehens nun noch eine Fülle von Facetten hinzugewonnen. Dies liegt vor allem an der Einlassung des ältesten Angeklagten, die am Freitag nach mehrfacher Ankündigung erfolgte.
Der 26-Jährige ließ am mittlerweile 14. Verhandlungstag seit Ende Juni zunächst über einen seiner Verteidiger eine umfangreiche Erklärung vortragen. Später beantwortete der in Bremen lebende Mann auch bereitwillig die vielen Fragen, die sich für die 10. große Strafkammer und den Vertreter der Staatsanwaltschaft ergeben hatten. Laut Anklage soll das Trio einen heute 40-jährigen Handyshop-Betreiber aus Hannover unter einem Vorwand in die Halle an der Gottlieb-Daimler-Straße in Brinkum-Nord gelockt und unter massiver Gewaltanwendung 150.000 Euro von ihm verlangt haben. Das mutmaßliche Opfer hat vor Gericht auch ausführlich darüber berichtet, was ihm alles widerfahren sein soll.
Dass der Geschäftsmann tatsächlich massiv traktiert wurde, hat der 26-Jährige jetzt auch nicht in Abrede gestellt. Er selbst sei auch derjenige gewesen, der dem Mann am meisten zugesetzt habe. Allerdings schilderte er ganz andere Hintergründe und teilweise auch Abläufe als der Hannoveraner. Und er schrieb auch dessen damaligem "Begleiter" eine besondere Rolle zu. Ausgangspunkt soll eine Bitte seines in der Türkei weilenden Onkels gewesen sein, dem "Begleiter" bei der Abwicklung eines Geldtransfers nach dem „Hawala-System“ behilflich zu sein.
Dieser Mann, ein Bekannter des Onkels, habe 150.000 Euro in die Türkei überweisen wollen, und zwar mit Unterstützung eines „Hawala-Bankers“, mit dem er befreundet sei, dem er aber nicht so recht traue. Dabei soll es sich wiederum um den 40-Jährigen gehandelt haben, der in der Landeshauptstadt eine „große Nummer“ sei. Es sei bekannt gewesen, so der Angeklagte, dass der Mann „über Kontakte ins organisierte Verbrechen verfügen soll und sowohl als Geldverleiher als auch als Hawala-Banker auftritt“.
Der 26-Jährige sollte demnach vorsichtshalber als derjenige auftreten, der den „Banker“ bittet, das Geld zu verschicken. Er habe in der Vergangenheit bereits für seinen Onkel „kleinere Botendienste und Handlangertätigkeiten“ ausgeführt, hieß es weiter. „Mit sechsstelligen Summen" habe er zuvor aber noch nie etwas zu tun gehabt. In der Halle habe der Hannoveraner eine Pistole, eine vermeintlich scharfe Waffe gezogen „und diese in meine Richtung bewegt“. Daraufhin sei er in „totale Panik“ geraten, sei auf den Mann losgegangen, habe ihn geschlagen und „überwältigt". Er habe letztlich die Kontrolle über sich verloren. Die beiden Mitangeklagten habe er „nur als Rückendeckung“ mitgenommen, sie hätten nicht auf den Mann eingewirkt.