Die von den Nationalsozialisten verübten Gräueltaten während ihrer Herrschaft sind wohl das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Und sie sind auch eng verbunden mit dieser Region. Mit einem Gedenkgang zum dortigen Mahnmal sowie einprägenden und mahnenden Worten wurde am Mittwoch daran erinnert, dass während der NS-Herrschaft in Obernheide in der Gemeinde Stuhr Lagerinsassinnen schwere Qualen erlitten haben.
Es war am Mittwoch ein grauer Novembertag mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und frischem Wind, als in Stuhr den durch den NS-Terror schwer gequälten und teilweise getöteten Jüdinnen von Obernheide gedacht wurde. Manch einem Zuhörer lief es kalt den Rücken hinunter, als die Gräueltaten vor Augen geführt wurden.
Nachdenklich stimmten die Worte von Pastorin Constanze Lenski: „Du darfst deine Träume leben. Du bist frei. Diese Freiheit ist nicht selbstverständlich. Lass deinen Blick nach unten wandern. Was siehst du? Deine Füße berühren diese Erde. Viele Jugendliche standen bereits dort, wo du jetzt stehst, haben zugehört, haben der Menschen gedacht, die hier in den Baracken einst leben mussten und eingesperrt waren.“ Sie ging am Mahnmal auf Demütigungen, Qualen, Hunger und Tod ein und ließ das Lied „Freunde, dass der Mandelzweig“ von Schalom Ben-Chorin anstimmen, der die Hoffnung nach einer besseren Welt nicht aufgegeben habe.

Gemeinsam legten die Teilnehmer den Weg vom Alten Bahnhof in Stuhr zum Mahnmal zurück.
Zu einem dichten Feld sind an der Obernheider Straße 60 Steine zusammengefügt, fünf Bäume stehen an der Seite und erinnern als Mahnmal an das Außenkommando des Konzentrationslagers (KZ) Neuengamme bei Hamburg, in dem 500 ungarische und 300 polnische Jüdinnen als Zwangsarbeiterinnen eingesperrt waren.
Erneut hatten sich Schülerinnen und Schüler des zehnten Jahrgangs der Lise-Meitner-Schule in Moordeich mit Lehrerin Nina Bernard mit dem Schicksal dieser Frauen befasst und trugen die dabei entstandenen Texte vor. Sie machten neben ihren Betrachtungen zur Judenverfolgung auch die derzeitigen politischen Entwicklungen zum Thema. „Wir müssen zusammen verhindern, dass sich Fehler der Vergangenheit wiederholen“, erklärten zwei Schülerinnen am Mahnmal. „Wir dürfen nicht vergessen, was passiert“, sagten sie und prangerten Hass-Kommentare von AfD-Politikern und Angriffe auf Synagogen an.
Zu der am alten Stuhrer Bahnhof gestarteten Gedenkveranstaltungen hatte die Gemeinde Stuhr mit den Kirchengemeinden und der Lise-Meitner-Schule eingeladen. In Tagebuchform zeichneten die Schüler zur Einführung die Texte der 1924 im ungarischen Eger geborenen Lilly Kertesz – eine der wenigen Überlebenden – nach. Die Frau, die kurz vor ihrer Verlobung ins Ghetto und von dort nach Auschwitz, Bremen und Obernheide gebracht wurde, beschreibt in ihren vor knapp 30 Jahren veröffentlichen Erinnerungen „Von den Flammen verzehrt“ ihre Deportation und die Lagerwirklichkeit. Die Frauen mussten Tritte und Schläge verkraften, waren teilweise ausgehungert und entkräftet. Nach ihrer Befreiung in Bergen-Belsen fand die Journalistin 1957 in Israel eine neue Heimat.
„Bei der Beschäftigung mit dem Thema des Konzentrationslagers Obernheide haben wir uns gefragt, was in den jungen Frauen vorgegangen sein mag während der schrecklichen Zeit ihrer Verfolgung und Zwangsarbeit. Wie konnten sie all das Leid ertragen? Was hat sie motiviert, durchzuhalten?“, sprach der Zehntklässler Henry die Einleitung zu den Berichten von Lilly Kertesz.
Der alte Stuhrer Bahnhof ist eng verbunden mit dem Schicksal der Jüdinnen, die in dünner Häftlingskleidung und teilweise in Holzschuhen den Weg vom Lager Obernheide bis zur Bahnstation zu Fuß zurücklegen mussten. Von dort wurden sie zu Trümmerräumarbeiten und in Betonsteinwerke nach Bremen getrieben. Nach Zerstörung der Bahnstrecke marschierten die Frauen gezwungenermaßen bis Bremen und wieder zurück. Vier Klassen der Lise-Meitner-Schule in Moordeich und zwei der Kooperativen Gesamtschule (KGS) Brinkum sowie Offizielle und einige Gäste legten am Buß- und Bettag die etwa 3,5 Kilometer lange Strecke vom ehemaligen Bahnhof zum Mahnmal ebenfalls zu Fuß zurück. Dort wurden nach nachdenklichen Wortbeiträgen und musikalischen Einlagen der Posaunistin Iris Rose vom Posaunenchor Heiligenrode Steine statt Blumen an der Gedenkstätte abgelegt. Steine, die einen Hauch von Ewigkeit ausdrücken sollen.