Verden/Stuhr. Kurz nach 13 Uhr verkündete der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer am Donnerstag den Beschluss, der sich im Verlaufe des Vormittags schon abgezeichnet hatte: Der Haftbefehl gegen die Frau, die ihren Ehemann auf dem Campingplatz am Silbersee in Stuhr mit einem Messer attackiert haben soll, wurde aufgehoben. Es bestehe kein dringender Tatverdacht, dass sie ein versuchtes Tötungsdelikt begangen habe, hieß es zur Begründung. Der Haftgrund der Schwerkriminalität entfalle damit. Nach rund sechs Monaten Untersuchungshaft kam die 41-Jährige am zweiten Tag des Prozesses am Landgericht Verden auf freien Fuß.
Laut Anklage hat die Frau am späten Abend des 26. Februar dieses Jahres versuchten Mord aus Heimtücke sowie gefährliche Körperverletzung verübt (wir berichteten). Sie soll dem von ihr getrennt lebenden Mann mit einem Küchenmesser eine zwei Zentimeter breite und sieben Zentimeter tiefe, „potenziell lebensgefährliche“ Stichverletzung im Brustbereich zugefügt und dabei „gezielt den Umstand ausgenutzt“ haben, dass das Opfer schlief. Sie soll stark alkoholisiert gewesen sein und auch unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln gestanden haben.
Zum Prozessauftakt hatte die Bremerin eine Verletzungs- oder gar Tötungsabsicht vehement bestritten. Und danach hatte sie im Gerichtssaal erlebt, dass ihr seit 2007 angetrauter, allerdings mehrfach untreuer Ehemann deutlich bemüht war, sie nicht zu belasten. Mal berief er sich auf eklatante Erinnerungslücken, mal bezeichnete er gegenüber der Polizei getätigte Aussagen als falsch – oder von den Beamten schlicht falsch verstanden. Überhaupt habe er ja damals einen Blackout gehabt. Tonfall und Gebaren des Zeugen hatten reichlich Stirnrunzeln hervorgerufen und ihm dann wohl selbst keine Ruhe gelassen. Er rief einige Tage später beim Vorsitzenden Richter an und bat darum, noch einmal erscheinen und aussagen zu dürfen.
So kam es, dass der 38-Jährige am Donnerstag wieder auf dem Zeugenplatz saß und zunächst bekundete, er wolle sich dafür entschuldigen, dass er sich zuletzt „so unangenehm verhalten“ habe. Vorsorglich war er bereits darüber belehrt worden, dass er ein Auskunftsverweigerungsrecht habe – falls sich ergeben sollte, dass er zuvor unrichtige Angaben gemacht haben sollte. Doch der Mann war nicht mehr zu stoppen und startete einen ausgiebigen Monolog, eingeleitet mit der Feststellung, er liebe seine Frau und „warte auf sie zu Hause“. Es sei allein seine Schuld, dass sie „hier gelandet“ sei, dass sie „das Unrecht aushalten“ müsse.
Von seiner „eigenen Schuld“ sollte der Mann, der diesmal wesentlich ruhiger und besonnener wirkte, noch häufiger reden. Er schilderte das Auf und Ab der vergangenen (Ehe-)Jahre, dass er erhebliche finanzielle Probleme und vor allem auch eine Beziehung zu einer anderen Frau gehabt habe. Es habe phasenweise Trennungen gegeben, er habe sich nicht zwischen der Ehefrau und der Freundin entscheiden können. Auch an jenem Februarabend sei er „kaltherzig“ gewesen, sagte er, habe ihr wieder „den Laufpass gegeben und ihr wehgetan“. Und sie habe dann eben ihm wehtun wollen.
Damit näherte er sich in seiner Schilderung dem Vorfall, um den es vorrangig geht. Er habe nicht geschlafen, betonte der Zeuge, nur „zurückgelehnt“ auf dem Bettsofa gesessen und die Augen zugemacht. Er habe dann plötzlich etwas „Warmes, Feuchtes“ gespürt und Blut gesehen: „Ich habe schon Schlimmeres erlebt.“ Die Messerklinge habe er sich herausgezogen, als die Frau noch den Griff in der Hand gehalten habe. Er habe das Messer „weggeworfen“ und versucht, seine weinende Frau „zu beruhigen“, es werde schon alles gut. Später hatte er seinen Bruder angerufen und war in einem Bremer Krankenhaus behandelt worden.
Er sei „wütend“ gewesen, dass die Sache angezeigt worden sei, erklärte der Mann noch. Und stellte zum Abschluss seiner Vernehmung die Frage, ob er seine Frau „einmal umarmen“ dürfe. Dies wurde ihm in einer Verhandlungspause gewährt. Nach Angaben des Gerichts kommt noch eine Verurteilung der Frau wegen gefährlicher Körperverletzung in Betracht und dabei eine Freiheitsstrafe zwischen einem und zwei Jahren, jedenfalls „im noch aussetzungsfähigen Bereich“. Der Prozess soll am kommenden Montag zu Ende gehen.