Stuhr-Moordeich. Die Verwirrung bei Anwohnern der Elzstraße in Moordeich ist groß. "Das ist unser Radweg", sagt Gesine Paschke und deutet auf einen Weg auf dem Bürgersteig, der durch abgesenkte Steine und eine andere Pflasterung eine optische Trennung zum daneben liegenden Fußweg aufweist. Nutzten die Anwohnerinnen und Anwohner diesen beidseitigen Bereich an der Rheinallee seit Jahrzehnten mit dem Rad, soll damit jetzt Schluss sein. Das habe ihr die Gemeinde Stuhr auf Nachfrage mitgeteilt, sagt Paschke, die seit 50 Jahren Nutzerin des vermeintlichen Radweges ist.
Hintergrund ist ein Informationsschreiben an die Anwohnerinnen und Anwohner der neuen Fahrradzone in Moordeich, die sich über die Straßen Alte Windhorst, Moselallee sowie über die Pablo-Picasso-Straße und die Käthe-Kollwitz-Straße erstreckt. Wie berichtet, ist vor wenigen Wochen auch zeitgleich im Stuhrer Ortskern eine solche Zone, in der Radfahrer Vorrang vor Autos haben, eingerichtet worden. Das bedeutet auch, dass Zweiräder auf der Straße fahren müssen. Für die Anwohner der Elzstraße, einem Nebenarm der Rheinallee, trifft das auf Unverständnis. "Warum werden Leute auf die Straße geschickt, wenn sie einen Radweg haben?", fragt Anwohnerin Thea Berger. Zumal auf der Rheinallee auch die Buslinie 55 verkehrt, auf der Seite zu den Straßeneinmündungen parken zudem reihenweise Autos, die aus der Elzstraße kommend die Einsicht erschweren.
Die einzige Ausnahme bilden Kinder bis zu acht Jahren, die (und deren Begleiter) auf dem Gehweg fahren müssen, bis zehn Jahren dürfen Kinder auf dem Gehweg fahren, müssen es aber nicht. Erika Drieling aus der Elzstraße hätte jedoch ein ungutes Gefühl, wenn das Kind auf dem Weg fährt und der Elternteil mitten auf der Fahrbahn, weil zwischen ihnen noch geparkte Autos stehen. "Ich habe das Kind dann nicht im Blick."
"Die Rheinallee hat nie über Fahrradwege zu beiden Seiten verfügt", sagt Stuhrs Erste Gemeinderätin Bettina Scharrelmann auf Nachfrage unserer Zeitung. Die sogenannten Nebenanlagen seien "reine Gehwege mit zum Teil unterschiedlicher Pflasterung". Sie seien nie als Radweg ausgeschildert gewesen.
Für Anwohnerin Waltraut Holsten sind die abgesenkten Pflastersteine in der Mitte der Nebenanlage, die für die Nachbarschaft sonst die Trennung des Bereiches für Radfahrer und Fußgänger bedeutet hatten, eine Stolperfalle für Menschen, die beim Gehen beeinträchtigt sind. Zumal der Teil, der sonst per Fahrrad befahren wurde, etwas abschüssig ist. Radfahrer müssen an einigen Stellen auf der Straße auch Bremsschwellen überwinden. Dabei ist Vorsicht geboten, wie Gesine Paschke ausprobiert hat. Die Pedale dürften dann nicht nach unten zeigen, sonst setzen sie auf. "Ich finde es gefährlich, da mit dem Rad zu fahren", sagt Waltraut Holsten. Erika Drieling ist selbst viel mit dem Rad unterwegs. Tempo 30 sei ihres Erachtens ausreichend, da brauche es keine Fahrradzone. "Daran muss sich jeder halten. Für mich ist das doppelt gemoppelt", sagt auch Holsten.
Die Anwohnerinnen und Anwohner wollen weiterhin "ihren Radweg" benutzen. Doch das wäre nicht legal, sagt Bettina Scharrelmann: "Das ist eine Verkehrswidrigkeit, war es schon vorher." In Stuhr gebe es vielfach das Problem, dass für Radwege der Platz fehlt. Daher bestehen viele Nebenanlagen, auf einigen sind per Schild Fußgänger und Radfahrer zugelassen, so etwa an der Blockener Straße Richtung Heiligenrode. Auch bei den Kladdinger Wiesen sind beide Verkehrsteilnehmer auf den Fußwegen gleichberechtigt. "Dadurch, dass die Nebenanlagen so weit verbreitet sind, wird in Stuhr viel auf den Gehwegen gefahren. Diese Verwirrung wollen wir auflösen", erklärt Scharrelmann. Daher habe die Gemeinde auch Flyer erstellt, die im Rathaus erhältlich sind. "Wir merken, das ist ein Umlernprozess", sagt sie weiter. Ein Expertenbüro habe der Verwaltung zudem erklärt, dass Abbiegeunfälle zwischen Rad- und Autofahrern zumeist auf Radwegen vorkommen, weniger aber, wenn die Radfahrer auf der Straße fahren, weil sie dort eher gesehen werden.
Unmut über Informationsschreiben
Das Informationsschreiben zur neuen Fahrradzone hat laut Thea Berger erst am 31. Juli in den Postkästen der Nachbarschaft gelegen, als die Regelung bereits greifen sollte. Sie moniert außerdem, dass ein Briefkopf der Gemeinde gefehlt hatte und das Schreiben keine richtige Anrede aufweist. Für einen kurzen Moment war sie deshalb zunächst von einem Betrugsbrief ausgegangen. Eine Telefonnummer für Rückfragen habe es lediglich auf den beigefügten Flyern gegeben. Darin ist Gesine Paschke vor allem ein Satz ins Auge gefallen: "Alle Anwohnenden, Gäste und Lieferverkehr dürfen die Straßen mit dem Auto befahren." Sie fragt sich, was mit dem Durchgangsverkehr ist. Den gebe es zur Genüge, wenn die Stuhrer Landstraße aufgrund von Staus zur Ausweichstrecke wird.
Damit der zuständige Fachdienst sie im Blick hat, liegen die ersten Fahrradzonen auch nah am Rathaus, sagt Bettina Scharrelmann. Aus den beiden Bereichen will die Gemeinde auch für weitere solcher Zonen lernen. Um die Bevölkerung mitzunehmen, hatte die Verwaltung am Tag der Städtebauförderung im Mai vorab Führungen mit Bürgerinnen und Bürgern angeboten, erinnert die Erste Gemeinderätin. Die Zone soll den Verkehr grundsätzlich auch entschleunigen. Wenn der Bus hinter einem Fahrrad fährt, müsse sich der Busfahrer demnach gedulden. "Dann haben die Busse noch mehr Verspätung", kritisiert jedoch Gesine Paschke. Um an der Rheinallee einen Radweg auszuweisen, fehlt laut Scharrelmann die Fahrbahnbreite. Zudem seien die Auflagen hoch.
"Rücksicht nehmen" ist für sie das Stichwort. Autofahrer müssen beim Überholen der Radfahrer einen Abstand von mindestens anderthalb Metern einhalten. Scharrelmann: "Radfahrer gehörten an der Rheinallee schon immer auf die Straße. Jetzt versuchen wir, sie mit unserer Fahrradzone zu schützen."