Ilka Mohr hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich: Rund 45 Jahre habe sie mit einer Gluten-Unverträglichkeit gelebt, ohne es zu wissen. "Ich hatte mein Leben lang Bauchschmerzen und Verdauungsprobleme. Das Körnerkissen war mein ständiger Begleiter", erzählt die 48-Jährige. Durch diese Umstände litt sie auch an Depressionen und Übergewicht. "Es ging mir im Großen und Ganzen nicht gut", berichtet sie weiter. Durch eine ketogene Ernährung, also eine Diät mit kohlenhydratarmer, fettreicher Ernährung, kam sie ihrer Unverträglichkeit auf die Schliche. Das Klebereiweiß Gluten kommt unter anderem in den Getreidearten Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste vor. "Ich habe festgestellt, dass das Leben Spaß macht", sagt Mohr. Auch stellte sie fest, dass Lebensmittel, auf die sie vorher ihre Probleme geschoben hatte, gar nicht die Auslöser waren. Durch ein Ausschlussverfahren landete sie bei einer Gluten-Sensitivität. Eine Diagnose für Zöliakie, also eine durch eine Gluten-Unverträglichkeit verursachte, langfristige Autoimmunerkrankung, durch Ärzte sei aber "zweieinhalbmal" gescheitert, so Mohr weiter. "Ich habe den Weg abgebrochen", sagt sie.
Aus diesem Grund geht Ilka Mohr nun neue Wege. In dieser Woche hat sie in der Zeppelinstraße 10 im Industriegebiet Stuhrbaum einen Kiosk aufgemacht. Vor Ort gibt es ausschließlich glutenfreie Produkte. Mit dem Angebot möchte sie auch den Menschen Erleichterung verschaffen, die wie sie selbst eine Leidensgeschichte hinter sich haben. "Damit mache ich nicht nur mich glücklich, sondern auch andere", ist sich Mohr sicher.
Idee im Urlaub
Auf die Idee, einen eigenen Kiosk mit glutenfreien Produkten zu eröffnen, sei sie während einer Reise nach Mailand im Frühjahr vergangenen Jahres gekommen. Dort stieß sie im Stadtkern alleine auf "fünf Geschäfte mit nur glutenfreien Lebensmitteln". "Es ist einfach ein Traum, in einen Laden zu gehen und zu wissen: Ich darf hier alles kaufen. Ich muss nicht die Zutatenliste checken, ob irgendetwas drin ist, was ich nicht vertrage. Ich darf einfach einkaufen. Ich darf einfach entscheiden: Das sieht interessant aus, das nehme ich mit", beschreibt sie ihr "Glücksgefühl" in diesem Moment und ergänzt: "Das kann keiner nachvollziehen, der keine Unverträglichkeit hat."
Seit der Reise plante Ilka Mohr, die vorher im Büro des Metallbaubetriebs SMO CNC-Rohrbiegetechnik ihres Mannes und als Physiotherapeutin gearbeitet hat, dann die Eröffnung eines eigenen Ladens. Platz dafür fand sie in den Räumen der Firma ihres Mannes. Auf rund 37 Quadratmetern plus Lager richtete Mohr das Geschäft in den vergangenen Wochen und Monaten ein.
Breites Angebot
Im Angebot des Kiosks sind salzige und süße Snacks wie Riegel oder Kekse, Eis, Backmischungen und Mehl, Brot und Brotmischungen, Nudeln, Kartoffelpüree, Frühstückscerealien oder auch Getränke inklusive glutenfreiem Bier. "Alles, was man in den Supermärkten suchen muss, weil man es nicht findet", sagt Mohr. Dort sei das Angebot immer noch "furchtbar". "Wenn man betroffen ist, fährt man mindestens drei, vier oder noch mehr Supermärkte ab, um die Produkte zu finden, die man gerne isst", sagt die aus eigenen Erfahrungen. Selbst dann müsse einiges noch online bestellt werden.
Hinzu bietet Mohr auch Kaffee zum Mitnehmen, vegane und vegetarische Produkte, Suppen und Tütensuppen an. Ein paar Produkte bezieht sie von einem italienischen Großhändler. "Die findet man sonst gar nicht in Supermärkten, sondern nur online", sagt Mohr. Im Juli macht sie sich auf den Weg in die Niederlande, um bei einem Hersteller weitere Produkte zu testen. Viele der Produkte, die sie verkauft, habe sie auch schon selbst ausprobiert. "Es gibt auch viele glutenfreie Produkte, die nicht schmecken. Man isst sie, weil man keine Alternative hat", weiß sie zu berichten.
Rund ein Prozent Betroffene
Oftmals seien die Marken auch nur in Reformhäusern zu finden. "Die Vielfalt steigt, aber die Supermärkte ziehen noch nicht nach – im Gegensatz zu veganen und vegetarischen Produkten", hat Mohr beobachtet. Laut der Deutschen Zöliakie Gesellschaft sind rund ein Prozent der deutschen Bevölkerung von der Krankheit betroffen – bei einer hohen Dunkelziffer. "Der Markt für vegane und vegetarische Produkte ist einfach noch attraktiver", sagt Mohr. Eine weitere Kooperation bietet sie mit der Manufaktur Brotfabrique an, deren frisches, glutenfreies Brot im Kiosk bestellt werden kann und dann per Expresslieferung zugestellt wird.
Schon in den ersten Tagen seien viel Kundinnen und Kunden vor Ort gewesen, berichtet Ilka Mohr. "Viele haben die Körbe vollgepackt. Die haben mich alle gefeiert", sagt sie weiter. Einige Produkte muss sie schon nach den ersten Stunden nachbestellen. Die große Nachfrage macht Mohr auch daran fest, dass es in der Region so gut wie keinen Laden nur mit glutenfreien Produkten gibt. "Die nächsten Läden sind in Kiel, Berlin, Süddeutschland oder in Nordrhein-Westfalen", hat sie recherchiert. Spezielle Bäckereien oder Restaurants gebe es, aber eben keine Lebensmittelgeschäfte. Bisher hätten sie schon Anfragen aus Nienburg, Achim und Bremerhaven erreicht. "Der Leidensdruck ist schon groß und die Leute sind bereit, etwas weiter zu fahren, als zu normalen Supermärkten", sagt Mohr.
Gerade in Restaurants hat sie aber auch noch "viel Unwissenheit" mit Blick auf Gluten festgestellt. "Es wird manchmal mit Glutamat oder Lactose verwechselt", sagt sie. Auch seien Küchen häufig zu klein, um Kontaminationen auszuschließen. "Mit Zöliakie hat man es nicht leicht. Ich versuche, das Leben ein bisschen zu erleichtern, und dass man so normal wie möglich leben kann, ohne im Mittelpunkt zu stehen", sagt Mohr. Derzeit sei sie noch auf der Suche nach einem Foodtruck mit glutenfreien und für Zöliakie geeigneten Speisen, der sich vor ihrem neuen Kiosk platzieren könnte.
Zusätzlich zu den Lebensmitteln bietet Ilka Mohr eine Kooperation mit der Brinkumer Buchhandlung Leporello an. So können Interessierte im Kiosk in Rezept- und Backbücher mit glutenfreien Rezepten schauen, diese vor Ort bestellen und später auch abholen. Außerdem befindet sich auch ein Paketshop von GLS im Kiosk.