Rahmi Tuncer ist verärgert. Ein Unbekannter hat im Namen des Vereins Pro Asyl E-Mails verschickt, die vermeintliche Rechnungen enthalten. Der Migrationsberater hat die E-Mail im Anhang aus Angst vor einem Virus zwar nicht geöffnet, geht aber davon aus, dass jemand bewusst den Ruf der Initiative aus dem Landkreis Diepholz schädigen möchte. Wegen der Vielzahl der versendeten E-Mails, die seinen Angaben zufolge viele Gleichstellungsbeauftragte, Beratungsstellen, Flüchtlingshelfer und Jugendämter aus dem Landkreis erhalten haben, vermutet Tuncer einen ausländerfeindlichen Hintergrund. „Die Mails werden seit Ende August verschickt, im September hat sich das verschlimmert“, sagt Tuncer.
In der E-Mail steht nur „Als Anhang erhalten Sie Ihre Rechnung“. Um diese mutmaßliche Betrugsstraftat auch als rechtsmotivierte politische Straftat einzuordnen, müsse der Inhalt des Anhangs bekannt sein, sagt die Sprecherin der Polizeiinspektion Diepholz, Sandra Franke. Als eindeutig rechtsmotivierte Straftat habe die Polizei jedoch im August eine Urkundenfälschung eingeordnet, die in Bruchhausen-Vilsen aufflog: Polizisten erwischten dort einen 37-jährigen Emtinghauser, der das Euroband auf seinen Nummernschildern mit den Farben der Reichsflagge überklebt hatte. Gegen den sogenannten Reichsbürger ermittelt die Polizei.
Dieser Fall ist längst kein Einzelfall. Die Zahl der rechtsmotivierten politischen Straftaten hat sich im Landkreis Diepholz in den Jahren von 2014 bis 2016 mehr als verdoppelt. Im Jahr 2014 verzeichnete die Polizeiinspektion Diepholz noch 19 Straftaten, 2015 waren es schon 34 und im vergangenen Jahr 41. Sie führt den Anstieg auf die parallel gestiegene Zahl an Flüchtlingen zurück, die in die Region gekommen sind. Fremdenfeindlich definierte Delikte nahmen in den Jahren von 2014 auf 2015 um das Achtfache zu. Taten wiederum, die sich gegen Angehörige jüdischen Glaubens richteten, blieben in diesen Zeitraum noch auf niedrigem Niveau. Anders sah es dann in den Jahren von 2015 auf 2016 aus: Antisemitische Straftaten verdoppelten sich von zwei auf vier, meistens waren das Äußerungen in öffentlichen Internetforen.
Trotz des Anstiegs der Straftaten in diesem Bereich gebe es keine örtlichen Brennpunkte. Die NPD habe im Landkreis Diepholz keinen eigenen Verband, sondern gehört zum Unterbezirk Oldenburg. „Die Mitgliederzahl aus unserem Bereich dürfte bei unter zehn Personen liegen“, gibt Franke zu Protokoll.
Im Landkreis leben 70 sogenannte Reichsbürger, die die hoheitliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. Das äußerte sich unter anderem darin, dass unter anderem die Rathäuser der Städte Twistringen und Bassum Briefe von Reichsbürgern erhielten, in denen die Verwaltungsakte der Kommunen abgelehnt wurden. Die Polizei bezeichnet diese Reichsbürger eher als „autonome Selbstverwalter“, weil sie aktiv keine rechtsextremistischen Ziele wie die Gründung eines autoritären, hierarchisch regierten Deutschen Reiches verfolgen, wie es heißt.
Die Zahl der linksmotivierten politischen Straftaten entwickelte sich in den Jahren von 2014 bis 2016 unterschiedlich. Sie sank zunächst von zehn auf drei, stieg dann aber im vergangenen Jahr auf 33. Als Grund für den Anstieg nennt die Polizei die niedersächsischen Kommunalwahlen. Viele Wahlplakate seien beschädigt und gestohlen worden – vor allem die der AfD. Sandra Franke zufolge bewegten sich die Straftaten im Jahr 2015 auf vergleichsweise niedrigem Niveau, weil keine rechtsmotivierten Versammlungen im Landkreis organisiert wurden, die eine Gegendemonstration von linksmotivierten Sympathisanten nach sich gezogen hätten. Die AfD-Wahlkampfveranstaltung Ende August dieses Jahres in Brinkum indes fällt nicht in den betrachteten Zeitraum.
Eine linksmotivierte politische Szene im näheren Sinne besteht derzeit nach Polizeiangaben im Landkreis nicht. Lediglich etwa fünf Bürger gehörten der linken Szene an, rund zehn der autonomen.