Weyhe-Melchiorshausen. Vergessen. Erst Schlüssel, dann Namen, irgendwann Gesichter. Demenz ist eine Volkskrankheit geworden. Über anderthalb Millionen Menschen in Deutschland leben laut deutscher Alzheimergesellschaft mit ihr. Viele schotten sich ab oder werden abgeschottet, etwa weil sie sich nicht von ihrer verwundbaren Seite zeigen wollen, erklärt Lilja Helms, Leitung des geronto-sozialen Bereichs beim Senioren- und Pflegestützpunkt Pro Dem.
Gemeinsam mit dem TSV Blau-Weiß Melchiorshausen möchte Pro Dem genau diesem Problem entgegenwirken – mithilfe von Reha-Sport, der sich direkt an Menschen mit Demenz richtet. "Das geht im frühen Stadium ganz gut", findet Helms. Die Idee sei gekommen, als sich Dagmar Heidtmann von Pro Dem und Ninja Sündermann vom TSV auf dem Weyher Markt der Möglichkeiten ausgetauscht hatten. "Wir wollten etwas schaffen, was es so hier nicht gibt", sagt Mike Lehmkuhl, der die Gruppen mit Sündermann leiten wird. Nachdem die Kooperation stand, haben der Sportverein und der Pflegestützpunkt ein Sportprogramm erarbeitet, ehe die Trainer im September zu Schulungen geschickt wurden. Denn im Umgang mit Menschen mit Demenz ist Sensibilität gefragt. Die Krankheit sorge dafür, dass Erkrankten etwa Dinge logisch erscheinen, bei denen sich Gesunde nur wundern können – und umgekehrt.
Nur kein Rückzug
Die Menschen sollen sich durchweg in der Gruppe wohlfühlen, weshalb an dem Programm auch nur Menschen mit Demenz teilnehmen werden. Die Hemmschwelle, mitzumachen, sei geringer, wenn alle Teilnehmer nahezu das gleiche Schicksal teilten. Der Vorteil zum "herkömmlichen" Sportkurs: Beim Reha-Sport für Menschen mit Demenz sind die Trainer geschult, um einerseits einfühlsamer mit den Seniorsportlern umzugehen und andererseits auch kleinere Krisensituationen zu bewältigen. Im schlimmsten Fall könne es dazu kommen, dass ein Mensch – etwa weil er eine Aufgabe nicht versteht – frustriert ist und sich zurückzieht. "Das wollen wir nicht", hält Helms fest. Vor Kursbeginn fänden daher auch Vorbereitungsgespräche statt, um die persönlichen Voraussetzungen und Bedürfnisse abzustecken und Ängsten vorzubeugen.
Im Kurs gehe es dann nicht darum, ein bestimmtes Trainingsziel zu erreichen. Vielmehr würde regelmäßig dasselbe Programm wieder abgespult, da man – das ist der Krankheit geschuldet – nicht erwarten könne, dass sich die Senioren von Stunde zu Stunde noch an Gelerntes erinnern könnten. Sie sollten dabei nicht den Mut verlieren und sich auf die nächste Stunde freuen, so Lehmkuhl, der beim TSV schon eine ähnliche Gruppe mit psychisch Kranken leitet. Lehmkuhl möchte die Stunden alltagsnah gestalten, um alles Wissen, was noch abrufbar ist, so lange wie möglich zu erhalten. Dabei gehe es etwa um den Transfer von Gedanken zu Handlungen, sprich, dass zum Beispiel beim Erblicken einer Bordsteinkante die Idee entsteht, den Fuß zu heben und dies dann auch zu tun. Dabei laufe vieles nonverbal, viele Handlungsanweisungen beim Sport würden zur Vereinfachung mehr gezeigt als ausgesprochen.
Für die Trainer bedeutet das aber auch: knallhartes Feedback, vor allem, wenn etwas nicht läuft. "Menschen mit Demenz sind echt und brutal ehrlich", sagt Lilja Helms. Das liege daran, dass Menschen mit Demenz eher emotional denken, nicht rational und daher gefühlsbetont auf Reize reagieren. Von daher müssen die Anweisungen so verständlich wie möglich sein. Für alle Beteiligten sei das Programm dann eine Win-Win-Situation: Während die Betroffenen sich sportlich betätigen, haben pflegende Angehörige die Chance, einmal zur Ruhe zu kommen, Angelegenheiten zu erledigen oder sich gegenseitig auszutauschen. Pro Dem verspricht sich davon, dass über den Sport auch der Kontakt zu weiteren Angeboten des Pflegestützpunktes zustande kommt, und ebenso eigene Betreute für die Gruppe begeistern zu können.
Krankenkasse übernimmt Kosten
Finanziert wird der Reha-Sport über die Krankenkasse. Der behandelnde Arzt muss hierzu eine Verordnung ausstellen, mit der Betroffene 50 bis 120 Mal an der Gruppe teilnehmen können, auch Folgerezepte sind möglich. Die Verordnung muss dann zur Genehmigung der Kostenübernahme bei der Krankenkasse eingereicht werden, danach geht es zum Vorgespräch. In den Gruppen ist Platz für je maximal 15 Teilnehmende, derzeit absolviert bereits eine Gruppe einmal wöchentlich 25-minütige Einheiten. Nach Meinung von Lehmkuhl sind zwei bis drei Einheiten pro Woche für Senioren ideal. Pro Dem betreut derzeit 280 Menschen mit Demenz in Stuhr, Weyhe und Syke. Für den Demenz-Reha-Sport können sich jedoch auch Interessierte von außerhalb anmelden.
Die neueste Gruppe trifft sich erstmals am Donnerstag, 18. November, um 15 Uhr in der Trainingshalle des TSV Blau-Weiß Melchiorshausen, Bollmannsdamm 4a. Bei einer Informationsveranstaltung am kommenden Freitag, 29. Oktober, von 15 bis 16.30 Uhr stellen Pro Dem und der TSV das Programm in der Halle noch einmal genauer vor. Es wird um telefonische Anmeldung unter der Nummer 04 21 / 89 76 59 96 gebeten.