Noch immer hallen die Eindrücke nach, die Domenico Corbo während seiner zehntägigen Reise in die USA vor rund zwei Monaten gewonnen hat. Der Chef des Weyher Polizeikommissariats hatte am zweiten Durchlauf des Projektes "Genau besehen" teilgenommen, das den rassismuskritischen Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Polizei fördern soll. Auf deutscher Seite wird es vom Gustav-Stresemann-Institut in Niedersachsen in Zusammenarbeit mit der Polizeidirektion Oldenburg sowie dem Haus der Kulturen in Braunschweig und dem muslimischen Verein "Teilseiend" aus Heidelberg koordiniert.
Als er gefragt wurde, ob er beim zweiten Durchgang dabei sein will, hatte Corbo nicht lange überlegen müssen. "Ich finde das Thema unfassbar wichtig", sagt er. Sowohl in den USA als auch Deutschland werden kontroverse Debatten um anlasslose Polizeikontrollen, das sogenannte Racial Profiling, geführt, und immer wieder gerät das Thema Polizeigewalt, insbesondere gegenüber Randgruppen, in den Fokus. Gleichzeitig nimmt die Gewalt zum Beispiel bei Demonstrationen gegenüber der Polizei und Sicherheitskräften zu. Das Projekt soll es ermöglichen, Vorurteilen auf den Grund zu gehen, die Perspektive des Gegenübers zu verstehen und sich auf Augenhöhe zu begegnen. "Einige Teilnehmer waren gegenüber der Polizei auch kritisch eingestellt. Trotzdem in den Dialog zu treten, kostet auch Überwindung", schildert Corbo. Sorge hatte ihm im Vorfeld vor allem die Sprachbarriere bereitet. Die gesamte Kommunikation läuft auf Englisch. "Die Angst war da, jemanden mit einer falschen Wortwahl zu verletzen", sagt Corbo, der als einer von sechs Kolleginnen und Kollegen aus der Polizeidirektion Oldenburg an dem Projekt teilgenommen hatte.
Besuch zuerst in Deutschland
Im Juli hatte der Besuch der US-Projektpartner in Bad Bevensen, Berlin und Hamburg stattgefunden. Damals hatten die 25 Teilnehmenden in verschiedenen Konstellationen diskutiert, aber auch Ausflüge unternommen und sich in Uelzen eine Polizeidienststelle angesehen. "Die US-amerikanischen Kollegen waren überrascht, wie defensiv ausgestattet die Polizei in Deutschland im Gegensatz zu den USA ist, wo diese teilweise martialischer auftritt", sagt Corbo. Das machten sie an der Ausstattung der Fahrzeuge, aber auch der Bewaffnung fest. Das angeschaltete Martinshorn hatte die Gäste zudem amüsiert, da sie ein lauteres Geräusch erwartet hatten. Im Vergleich zu den USA stimme das auch, sagt Corbo und lacht. In den Staaten sind die Polizisten zumeist alleine auf Streife unterwegs, während sie in Deutschland zu zweit sind. "Jeder hat zudem sein eigenes Fahrzeug", sagt Corbo. Das dürfe auch mit nach Hause genommen werden. "Dadurch gibt es augenscheinlich auch eine höhere Polizeipräsenz auf den Straßen."
Der Gegenbesuch in Jackson (Mississippi) führte den Weyher Polizeichef zum ersten Mal in die USA. "Ich fand die ganze Region um Jackson extrem charakterstark", fasst er seine Eindrücke zusammen. Die Stadt in den Südstaaten sei ungefähr so groß wie Oldenburg, hat aber die höchste Tötungsrate in den USA. Während die Zahl der Tötungsdelikte in Oldenburg im Jahr 2023 acht betrug, lag sie in Jackson dagegen bei 95. Entsprechend überrascht waren die Besucher aus den USA auch, dass sich hierzulande viele Menschen per Fahrrad und zu Fuß durch die Stadt bewegen. Dieses Sicherheitsgefühl gebe es in Jackson nicht unbedingt. Für Corbo wiederum sei der Umgang mit Persönlichkeitsrechten in den USA zum Teil befremdlich gewesen. Fotos von Festgenommenen werden umgehend mit Klarnamen im Internet veröffentlicht. Auch beim Thema Ausbildung wurden Unterschiede deutlich: Während die reguläre Polizeiausbildung in Deutschland drei Jahre umfasst, dauert diese in den besuchten Bundesstaaten grundsätzlich nur zwölf Wochen.
Auf US-amerikanischer Seite waren in dem Projekt ausschließlich schwarze Polizistinnen und Polizisten vertreten. Auch sie haben in ihrem Leben bereits Erfahrung mit Ausgrenzung oder rassistischen Anfeindungen gemacht, repräsentieren auf der anderen Seite aber auch den Empfänger eines Teils der Kritik aus der eigenen Community. Sie haben den Beruf aus viel Idealismus heraus ergriffen, hat Corbo festgestellt: "Das sind hoch motivierte Menschen, die ihr Leben geben, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen", sagt er. Viele von ihnen haben den Beruf gewählt, um von innen heraus etwas zu bewirken. Andererseits schlagen sie auch eine Brücke zur schwarzen Community, in der das Misstrauen gegenüber der Polizei oft groß ist. "Das waren Herzblutpolizisten", sagt Corbo. Auch in die Stadt Philadelphia ging es im Zuge des Austausches. Dort hat die Gruppe unter anderem erfahren, dass es eine Stelle gibt, die bei Vorfällen, die Kritik hervorrufen, die Vermittlerrolle zwischen Demonstranten und Angehörigen sowie der Polizei einnimmt.
Auch mit Vorwürfen konfrontiert
In den Gesprächskreisen wurden die deutschen Polizistinnen und Polizisten auch mit Rassismusvorwürfen konfrontiert, obwohl Äußerungen nicht so gemeint gewesen seien, sagt Corbo. Eines müsse man sich in dem Beruf immer vergegenwärtigen: "Wenn wir als Polizei auftreten, ist automatisch ein Machtgefälle da. Es ist an unsere Rolle geknüpft." Bei den Teilnehmenden aus der Zivilgesellschaft hatte es sich ausschließlich um als People of Color (PoC) gelesene Menschen gehandelt. Bei der Zusammenstellung der deutschen Polizeigruppe war im Vorfeld auf unterschiedliches Alter, verschiedene Dienstgrade und Aufgabenbereiche sowie ein paritätisches Geschlechterverhältnis geachtet worden. Wo da aber die PoC seien, war daraufhin gefragt worden. So war auch ein unterschiedliches Verständnis von Diversität deutlich geworden. Grundsätzlich sei bei den Gesprächen schlussendlich immer eine Schnittmenge gefunden worden, betont Corbo.
Mit einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Deutschland steht er auch nach Abschluss des Projektes im Austausch. Angestrebt sei, künftig weiter zusammenzuarbeiten. Erste Früchte trage das Projekt aber ohnehin schon. So soll in einzelnen Ausbildungsstätten in den USA die Vermittlung interkultureller Kompetenzen fest in den Lehrplan aufgenommen werden – die Idee hatte die erste Delegation beim Besuch in Deutschland mitgenommen. Außerdem konnte sich die Gruppe aus Deutschland von einer Markthalle in Philadelphia überzeugen, die inzwischen eine der meistbesuchten Attraktionen der Stadt ist. Die Halle ist ein Resultat zivilgesellschaftlicher Bemühungen des Welcoming Centers in Philadelphia. "Einer der Betreiber war Mitglied in der Projektgruppe. Er wollte eine Begegnungsstätte schaffen, um verschiedene Kulturen und Religionen über Essen miteinander zu vernetzen", erklärt Corbo. Das Vorhaben war mit öffentlichen Geldern und Spenden realisiert worden.
Domenico Corbo hat auch persönlich viel für sich mitgenommen. Die wichtigste Lektion für den Kommissariatsleiter: "Lasst uns miteinander reden, nicht übereinander." Die Eindrücke verfestigten sich in einer Geisteshaltung, die auch in das Kollegium weitergetragen werde.
Während des Besuches in den USA war die Gruppe auch intensiv in die Geschichte Jacksons eingestiegen, dessen Bevölkerung zu knapp 80 Prozent aus schwarzen Menschen besteht. Im Bundesstaat Mississippi waren Baumwollindustrie und Sklaverei sehr stark vertreten, womit sich die Gruppe unter anderem bei Besuchen in zwei Museen und an Schauplätzen der Freiheitskämpfe der 1960er- und 1970er-Jahre beschäftigt hatte. Dabei sei Corbo noch einmal deutlich geworden, wie wenig gesehen sich die schwarze Zivilbevölkerung vom Staat oft fühlt. Vielen habe es in den Gesprächskreisen geholfen, Dinge einfach mal loszuwerden. "Dieser persönliche Austausch, ich sitze hier als Mensch und höre dir zu, das ist die größte menschliche Bereicherung", sagt er.
Die Polizeidirektion Oldenburg verfügt in jeder Inspektion über Demokratiepaten, die sich auch mit den Teilnehmenden des Projektes austauschen werden. "Genau besehen" ist gewissermaßen eine Weiterführung des Projektes "Haltung zeigen" in Kooperation mit dem Gustav-Stresemann-Institut, das es auch in anderen Polizeidirektionen gibt. Diese internationale Komponente sei aber bisher einzigartig in Niedersachsen, sagt Corbo. Eine Fortführung sei angedacht.