Der Angeklagte schwieg vor Gericht wie gewohnt. Aber sein Pflichtverteidiger verlas am Dienstag seine lang erwartete Einlassung zu den massiven Vorwürfen, die auf Mord und zweifachen versuchten Mord lauten. Der 43-Jährige bestreitet demnach in allen drei Fällen eine Tötungsabsicht, beruft sich auf zahlreiche Erinnerungslücken und kann sich angeblich „nicht erklären, was in mir vorgegangen ist und wie es zu diesen Taten kam“. In nur geringem zeitlichem Abstand zu dem Vortrag verdeutlichte die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Verden ihre „vorläufige Einschätzung“ der Beweislage und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten.
Der inhaltsschwere zehnte Verhandlungstermin im Prozess gegen den Landwirtsmeister aus der Samtgemeinde Kirchdorf war zunächst einem ausgiebigen Bericht des psychiatrischen Sachverständigen gewidmet. Doch noch bevor Tobias Bellin (Hannover) all das referierte, was der Angeklagte ihm seit Mitte November während sieben Explorationsgesprächen erzählt hat, stand fest: Es würde an diesem Tag auch noch eine Einlassung geben. Bereits vor Prozessbeginn im März war bekanntgeworden, dass der 43-Jährige gegenüber Bellin zumindest das Tötungsdelikt an der 17-jährigen Schülerin am 10. September vorigen Jahres in Barenburg eingeräumt hatte.
Stich eingeräumt
Er sei damals „einfach durch die Gegend gefahren“, habe eigentlich Zigaretten holen wollen, hieß es. Er wisse den Moment nicht mehr, „wie ich sie gesehen habe oder angehalten oder wie sie in den Graben gekommen ist“. Nur noch das Bild, „wie sie im Graben lag und wie ich das Messer in der Hand hatte“, habe er vor sich. Die Jugendliche habe geschrien, er sei „völlig durch den Wind gewesen“. Er habe „auch einmal mit dem Messer zugestochen“, danach „nur noch Panik gehabt“, sei in sein Auto gesprungen und nach Hause gefahren.
„Ich habe nicht das Ziel gehabt, sie zu töten“, beteuerte der Mann zudem. „Ich wusste danach, dass ich etwas sehr Schlimmes getan habe, und war mit mir im Zweifel, ob ich mich bei der Polizei stellen sollte.“ Er erinnere sich an „mindestens zwei Stiche“ und habe beim Wegfahren nicht gewusst, „ob die junge Frau tot oder schwer verletzt ist“. Nicht gewusst habe er auch, „ob sonstige Spuren am Tatort waren und ich zeitnah verhaftet werde“.
Die nächsten Tage seien für ihn „sehr konfus“ gewesen. Am Abend des 13. September sei er zu dem Schnellrestaurant in Sulingen gefahren, dabei immer noch überlegend, ob er sich stellen solle. „Der Druck stieg für mich immer weiter an, weil ich wusste, dass die Polizei mich finden wird." Warum er vor dem Lokal gewartet habe, könne er nicht sagen. Er habe auch „keine bestimmte Art von Frauen vor Augen gehabt“. An das eigentliche Tatgeschehen habe er nur einige Erinnerungen. „Ich kann nicht sagen, ob und wie oft ich gestochen habe, und ob weitere Passanten hinzugekommen sind.“ Nach der Messerattacke auf die 30-Jährige will der Angeklagte davongefahren sein und dann in seinem Auto auf einem Parkplatz, etwas abseits einer Landstraße, genächtigt haben.
Die dritte ihm angelastete Tat, am nächsten Vormittag an einer 18-jährigen Joggerin in Fuhrberg (Region Hannover), sei ein Unfall gewesen. Er sei in derselben Richtung wie die Frau unterwegs gewesen und könne sich nur noch an den „Aufprall“ erinnern. „Vor dem Unfall hatte ich nicht vor, eine weitere Frau zu töten oder Ähnliches“. Er könne sich vorstellen, so durcheinander gewesen zu sein, „dass ich auch noch einen Fahrfehler gemacht habe“. Es sei ihm klar gewesen, „dass das Auto jetzt auffallen würde, weil die Windschutzscheibe kaputt war“. In der Folge wurde der weitere Fluchtweg bis zur Verhaftung am Abend im Raum Schwarmstedt geschildert. Das Leid, das er den Opfern und Angehörigen angetan habe, „tut mir unendlich leid“, steht ziemlich am Schluss der Einlassung. „Ich hätte den Angehörigen gerne Antworten auf ihre Fragen gegeben. Ich habe selbst keine dafür, was ich getan habe.“
Das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie steht noch aus. Die Kammer hat ihm nun eine Fülle an Hinweisen gegeben, welchen Sachverhalt er nach bisheriger Beweislage und „vorläufiger Einschätzung“ des Gerichts zugrunde legen solle. Der Vorsitzende betonte, er trage noch keineswegs schriftliche Urteilsgründe vor. Die Beweisaufnahme sei allerdings schon so weit fortgeschritten, dass es angezeigt und vertretbar sei, sich schon so ausführlich auch zur möglichen rechtlichen Einordnung der Taten zu äußern. Der Sachverständige solle nicht von „Stellvertretertötung“ ausgehen und auch nicht davon, dass der Mann vorgehabt habe, „Frauen wie kranke Schweine zu töten“. Dies hatte die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift angeführt. Auch ein sexuelles Motiv für die Taten komme offenbar nicht in Betracht. Man gehe nach jetzigem Stand auch nicht davon aus, dass der Angeklagte im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte.