Mehr als vier Jahre sind mittlerweile seit dem folgenschweren Frontalcrash zweier Sattelschlepper auf der Bundesstraße 6 bei Bruchhausen-Vilsen vergangen. Der 63-jährige Fahrer eines niederländischen Lkw war noch an der Unfallstelle verstorben. Ein – damaliger – Berufskollege soll die Kollision in Suizidabsicht vorsätzlich herbeigeführt haben. Der heute 45-Jährige aus Sulingen muss sich nach dem vom Bundesgerichtshof (BGH) kassierten Urteil erneut vor dem Landgericht Verden verantworten. Er schweigt bislang zu den Vorwürfen. Ob er vorhatte, sich selbst zu töten, wie die Staatsanwaltschaft weiterhin annimmt? Auf diese Frage konnte die psychiatrische Sachverständige jetzt keine schlüssige Antwort geben.
Opfer war arg- und wehrlos
Im Oktober 2022 war der wegen Totschlags angeklagte Mann, wie berichtet, der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen worden und hatte eine Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung erhalten. Nachdem der BGH das Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft im Februar dieses Jahres aufgehoben hatte, musste der Prozess neu aufgerollt werden. Dies geschieht seit Anfang November vor einer anderen Schwurgerichtskammer des Landgerichts. Gleich zum Auftakt war dem Angeklagten gewahr geworden, was ihm nunmehr noch Ärgeres bevorstehen könnte: Die Kammer erklärte, es komme auch eine Verurteilung wegen heimtückischen Mordes in Betracht. Das Opfer sei arg- und wehrlos gewesen.
Die Anklagebehörde geht nach wie vor davon aus, dass der Sulinger seinen Lkw am 10. November 2020 in der Absicht auf die linke Spur lenkte, „einen Unglücksfall herbeizuführen“, um sich dadurch das Leben zu nehmen. Es sei ihm gleichgültig gewesen, dass andere Menschen zu Tode kommen könnten. Im ersten Prozess hatte sich der gelernte Kraftfahrer, der bei dem Crash selbst schwer verletzt worden war, auf eine komplette Erinnerungslücke berufen, eine Selbstmordabsicht aber vehement bestritten. Hinsichtlich des Tatvorwurfs hat er sich diesmal bisher nicht geäußert. Bevor am fünften Verhandlungstag die Sachverständige an der Reihe war, fragte die Vorsitzende Richterin, ob denn noch eine Einlassung zu erwarten sei. Antwort des Verdener Verteidigers: „Wir warten das Gutachten ab“. Zu seinen „persönlichen Verhältnissen“ machte der Familienvater dann aber Angaben.
Angeklagter hatte psychologische Exploration abgelehnt
Eine Exploration durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie hat der Angeklagte allerdings abgelehnt. Auf der Grundlage vorhandener Berichte, Akten, Zeugenaussagen und dem Verhandlungsverlauf war es der Sachverständigen letztlich nicht möglich, auch nur eine Verdachtsdiagnose zu stellen. Ob der Mann die Selbsttötung bezweckte, könne sie nicht sagen. „Auffälligkeiten in psychischer Hinsicht“, die auch auf seinerzeitige Suizidalität hindeuten könnten, seien zwar gegeben. Aber entsprechende Krankheiten und Störungen, die in diesem Kontext denkbar seien, ließen sich nicht sicher diagnostizieren. Einzelne Merkmale genügten dafür nicht.
Dies gelte auch bezüglich wahnhafter Eifersucht, sagte die Fachärztin auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts. „Die Anhaltspunkte reichen nicht aus“. Aus den gesamten „Auffälligkeiten“ könne sie nichts „Tragfähiges“ hinsichtlich einer eventuellen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit ableiten. Diese sei aus ihrer Sicht „voll erhalten“ gewesen.
Keine "unfallursächlichen Mängel" an den Lkw
Voll erhalten und intakt waren am Unfalltag auch die Bremsen und Lenkanlagen der beiden Lkw. Nach den Feststellungen des Kraftfahrzeug-Sachverständigen bestanden "keine unfallursächlichen Mängel“. Der Experte war bereits an jenem Abend auf Veranlassung der Polizei an den Unfallort gekommen, um erste Spuren zu sichern. Er hatte ein „riesiges Trümmerfeld“ vorgefunden. Die Unfallrekonstruktion hat ergeben, dass die Lkw an den Fahrerkabinen zusammenstießen und der 63-Jährige noch eine Lenkbewegung nach rechts unternahm – vergeblich.
Der Prozess soll am 7. Januar fortgesetzt werden. Ob dann die avisierte Einlassung des Angeklagten erfolgen wird, bleibt abzuwarten.