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Schritten bei Mordversuch ein Zivilcourage in Sulingen: Retter bei "Aktenzeichen XY" geehrt

Die fünf jungen Menschen, die einer Frau in Sulingen das Leben retteten, werden live bei "Aktenzeichen XY" geehrt. Sie haben bereits den Zivilcouragepreis des Landkreises Diepholz erhalten.
10.12.2024, 17:44 Uhr
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Zivilcourage in Sulingen: Retter bei
Von Sabine Lüers-Grulke


Inzwischen fällt es ihnen leichter, darüber zu sprechen: Leon Jamal Zeid, Kiana Frede, Mohamed Ibrahim, Ahmad Faour und Argjend Klimenta hatten im Juni den Zivilcouragepreis des Landkreises Diepholz bekommen, weil sie im September vergangenen Jahres einer jungen Frau vermutlich das Leben gerettet hatten. Jetzt bekommen die fünf Freunde, die sich auf der Oberschule in Sulingen kennengelernt haben, eine weitere besondere Auszeichnung: Im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin vergab jetzt Bundesinnenministerin und Schirmherrin Nancy Faeser den XY-Preis – Gemeinsam gegen das Verbrechen. An diesem Mittwoch, 11. Dezember, sind ab 20.15 Uhr die Preisträgerinnen und Preisträger live in der Fernsehsendung "Aktenzeichen XY…Ungelöst" zu Gast.

Was in der Nacht zum 13. September 2023 geschah

Leon Zeid erinnert sich noch genau an die Nacht zum 13. September vergangenen Jahres: Zu fünft hatten sie auf der Terrasse eines Schnellrestaurants in Sulingen noch etwas gegessen, als sie plötzlich Schreie hörten. "Zuerst haben wir uns noch nichts dabei gedacht", erinnert sich Zeid, denn zuvor hätten ein paar Angetrunkene draußen herumgealbert. Als die Schreie aber nicht aufhörten und dann auch noch das Wort "Hilfe" zu hören war, sei er aufgesprungen und zum Parkplatz gelaufen. "Dort lag eine Frau auf dem Boden, wehrte sich mit ihren Beinen, und ein Mann über ihr schlug auf sie ein", berichtet er. Dass der Mann ein Messer hatte und damit auf die Frau einstach, habe er zunächst nicht sehen können, aber er habe sofort laut geschrien: "Geh weg da!" Daraufhin habe der Mann von seinem Opfer abgelassen und sei weggerannt, Zeid hinterher. "Ich hatte in dem Moment keine Angst", sagt er, "ich hatte ja auch vier Leute hinter mir." Denn inzwischen waren auch seine Freunde aufgesprungen, um zu helfen.

Zeid verfolgte den Mann bis zu dessen Auto: "Ich konnte noch den Türgriff fassen, doch er hatte schon von innen verriegelt." Er habe dem Mann auch "genau ins Gesicht gesehen". Der habe ängstlich gewirkt und "so, als hätte gewusst 'jetzt hat er mich erwischt'".

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste: Der Täter, ein Landwirt aus Kirchdorf, seinerzeit 43 Jahre alt, hatte nur wenige Tage zuvor bereits eine 17-jährige Schülerin beim Inlinerfahren angegriffen und getötet. Er würde sich später vor dem Landgericht in Verden wegen Mordes und zweifachen versuchten Mordes verantworten müssen, denn am nächsten Morgen sollte er noch versuchen, eine weitere Frau zu ermorden.

Sie eilten der Schwerverletzten zu Hilfe

"Sofort, als der Mann wegfuhr, habe ich mein Handy rausgeholt und 110 angerufen", erinnert sich Zeid. Inzwischen hatten sich die Helfer aufgeteilt: Mohamed Ibrahim und Kiana Frede kümmerten sich um die verletzte Frau und trugen sie ins Schnellrestaurant. "Mohamed holte aus meinem Auto noch den Verbandskasten, dann haben wir sie verbunden", so Zeid. Die Frau habe unter anderem am Kinn geblutet: "Das hätte auch ihren Hals treffen können", sagt Zeid. Sie seien froh gewesen, dass die verletzte Frau noch ansprechbar gewesen sei.

Während sich Mohamed Ibrahim und Kiana Frede um die verletzte Frau kümmerten und versuchten, die durch Messerstiche verursachten Blutungen zu stoppen, hatten Zeid, Ahmad Faour und Argjend Leonard Klimenta versucht, sich das Autokennzeichen des Täters zu merken. Sie verließen sich gegenüber der Polizei dann auf die Angaben von Faour: "Ahmad hat von uns das beste Gedächtnis", sagt Zeit. Damit lieferten sie den später entscheidenden Hinweis für die Polizei, die den Mann schließlich in Schwarmstedt festnehmen konnte.

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"Wir haben kurz danach darüber gesprochen, 'stellt euch vor, das wäre der Mann, der die Inlinerin ermordet hat' – und dann war er es wirklich", erinnert sich Zeid. Der inzwischen 44-jährige Täter wurde im Juli dieses Jahres zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Weil das Landgericht Verden die besondere Schwere der Schuld festgestellt hatte, wurde eine anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet. Damit kann der Mann nicht vorzeitig nach 15 Jahren entlassen werden. Er sitzt seitdem in Haft, hat aber Revision gegen das Urteil eingelegt. Noch läuft die Revisionsbegründungsfrist der Verteidigung.

Die jungen couragierten Helfer leben mittlerweile nicht mehr alle in Sulingen, wo sie gemeinsam die Oberschule besucht haben. Ahmad Faour beispielsweise studiert Maschinenbau und wohnt in Garbsen. Weil er derzeit im Prüfungsstress ist, kann er auch an diesem Mittwoch nicht mitfahren nach München, um live in der XY-Sendung aufzutreten. "Wir werden dieses Mal mit dem Zug fahren", verriet Leon Zeid. Beim ersten Mal Mitte November hätten sie die Fahrt nach Berlin noch mit dem Auto gemacht. "Aber jetzt werden wir am Bahnhof abgeholt", erzählt er. Sicherlich würde es dann noch in die Maske gehen, bevor die Sendung ab 20.15 Uhr live ausgestrahlt würde. "Man ist immer noch ein bisschen nervös."

Über das Geschehen in der Nacht damals in Sulingen hätten sie schon viel berichten müssen, sagt Zeid: "Kurz nach der Preisverleihung des Landkreises haben uns viele Leute angerufen, die uns kannten." Vor Gericht mussten er und seine Freunde auch aussagen und sahen dort erneut den Täter. "Der hat aber die ganze Zeit nur auf den Boden geguckt", erinnert sich Zeid. Das Opfer dagegen hätte sie umarmt und sich bei ihnen für die mutige Rettung bedankt.

Ansonsten habe sich das Leben für sie aber nicht verändert: Zeid wohnt seit einiger Zeit in Ehrenburg, ist derzeit auf der Suche nach einer neuen Arbeit. "Vielleicht schreibe ich davon mal in meiner Bewerbung", überlegt er. Ansonsten werden die Fünf am Abend ihren Preis von 10.000 Euro in Empfang nehmen "und vielleicht auch einfach mal weglegen", hat Zeid für sich selber beschlossen.

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"Nächstes Mal würde ich gleich loslaufen", sagt Zeid heute. Denn die Schreie, die zunächst nach Spaß klangen, seien bitterer Ernst gewesen. Die XY-Jury war jetzt der Meinung, Leon Jamal Zeid, Ahmad Faour, Mohamed Ibrahim, Kiana Frede und Argjend Klimenta hätten äußerst vorbildlich gehandelt und "eine potenzielle Mordserie verhindert", so heißt es seitens des ZDF. Dafür gebühre ihnen allerhöchster Respekt, heißt es auf der Internetseite des ZDF. Der mit jeweils 10.000 Euro dotierte Preis geht in drei Fällen an insgesamt neun Personen.

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