Syke/Stuhr/Weyhe. Acht Stühle formen einen großzügigen Kreis in dem Backsteinhaus Am Lindhof. "Ist mein Platz noch frei?", fragt eine zierliche Frau in einer Outdoor-Jacke mit Sportschuhen an den Füßen und wirft den Anwesenden ein sanftes Lächeln zu. Die Plätze füllen sich. "Ich habe positive und negative Neuigkeiten", beginnt Renate Tecklenburg-Pique, den Gesprächsfaden aufzunehmen. Gemeinsam mit Gerda Brünings und einer weiteren Teilnehmerin ist sie seit der ersten Sitzung der Selbsthilfegruppe "Verlieren und versöhnen" im kleinen Lindhofspeicher in Syke dabei. Der Senioren- und Pflegestützpunkt Pro Dem, gleichzeitig Alzheimergesellschaft für Stuhr, Weyhe und Syke, hat die Gruppe vor einem Jahr ins Leben gerufen. Wie es der Zufall will, finden sich bei diesem Treffen sieben Frauen ein, die alle zwischen 70 und 80 Jahre alt sind. Sie alle haben Ehemänner, die an Demenz erkrankt sind. Manchmal schallt Gelächter durch den Raum, manchmal fließen Tränen. Alle Emotionen haben ihren Platz in diesem Kreis.
Zeit für sich ist kostbar
"Wir haben heute ein neues Gesicht dabei", begrüßt Lilja Helms, hauptamtliche Mitarbeiterin und studierte Gerontologin bei Pro Dem, eine neue Teilnehmerin, um dann zu sagen: "Ich klinke mich inhaltlich aus und habe hier eigentlich nichts zu sagen." Denn in dieser Gruppe haben einmal im Monat die Angehörigen das Wort – ob Ehemänner, -frauen, Kinder oder Enkelkinder. So ist es auch bei der Selbsthilfegruppe "Vergessen und vergeben", die sich parallel zu den Sykern in der Pro-Dem-Geschäftsstelle in Brinkum trifft. Renate Tecklenburg-Pique berichtet vom Gesundheitszustand ihres Mannes, aber auch von ihrer persönlichen kleinen Auszeit: "Ich bin alleine Essen gewesen", sagt sie freudestrahlend. Zeit für sich selbst ist kostbar für die Angehörigen.
Reihum stellen sich die Teilnehmerinnen vor, schildern ihre Situation und berichten, was seit der vergangenen Sitzung passiert ist. "Ich fühle mich damit überfordert, sodass ich mit jemandem sprechen muss", sagt die Neue in der Gruppe. Die Frau mit der aufrechten Körperhaltung war abrupt mit der Erkrankung ihres Mannes konfrontiert, als diese sich durch ein plötzliches Ereignis Bahn gebrochen hatte. Der Umgang damit falle ihr noch schwer. "Man geht am Stock", sagt eine weitere Teilnehmerin, die sich professionelle Hilfe dazu geholt hat, um ihren Angehörigen zu Hause zu versorgen.
Eine Frau mit knalligem Lippenstift und Kurzhaarfrisur berichtet davon, wie ihr Mann nach einer psychisch belastenden Situation die Diagnose Demenz erhielt. Nach einem Sturz ist er vorübergehend in einer Pflegeeinrichtung, wo er mithilfe eines Rollators wieder langsam das Laufen lernt. Bei der siebten Teilnehmerin in der Runde hat sich der Zustand des Ehepartners innerhalb der vergangenen vier Wochen verschlechtert. Sie atmet tief zwischen den Sätzen, als sie schildert, dass die Diagnose zunächst Parkinson lautete, sie aber eine Demenz dahinter vermutet hatte. Der Zustand hatte sich nun rapide verschlechtert, die Diagnose: Lewy-Body-Demenz. "Die Pflege hätte ich zu Hause nicht leisten können", sagt sie. In der rund 30 Kilometer entfernten Einrichtung speziell für an Demenz erkrankte Menschen sei ihr Mann gut aufgehoben. Kurzes Schweigen herrscht im Raum. Dann fragt eine Teilnehmerin, um welche Demenzform es sich handelt. Nur fünf bis zehn Prozent der Demenzerkrankten sind von der Lewy-Body-Demenz betroffen, erklärt Lilja Helms. "Diese Form zeigt sich zunächst Parkinson ähnlich, wird auch oft erst so behandelt. Erst im späteren Verlauf der Behandlung kommt das meist heraus."
Hinter den Teilnehmerinnen liegen oft langwierige Wege zur Diagnose. "Demenz ist nicht mal eben so diagnostiziert", sagt Helms. Die genaue Untersuchung könne sechs bis zwölf Monate dauern. Einige in der Gruppe leben schon seit Jahren mit der Diagnose ihrer Partner, einige erst seit Kurzem. "Wie kann ich damit umgehen, wenn der Geduldsfaden immer kürzer wird", will die Neue in der Gruppe wissen. Renate Tecklenburg-Pique hat da eine Strategie für sich entwickelt: "Ich gehe einfach kurz raus."
"Gute Zeitfenster" der Krankheit
Ihr Mann habe täglich stets "ein gutes Zeitfenster" von rund 30 Minuten, sagt die Frau mit dem auffälligen Lippenstift. Dann erzählt sie ihm von den gemeinsamen Urlauben in Frankreich und einmal hat er sogar auf Französisch geantwortet. Auf einmal steht der Partner frisch geduscht im Badezimmer und putzt sich die Zähne, erzählt eine weitere Teilnehmerin von einer ähnlich verblüffenden Situation, die mit der Krankheit einhergeht.
"Ich kann es noch nicht akzeptieren", sagt die Neue in der Gruppe schließlich. Ihr Mann war erfolgreich im Beruf, unternehmungslustig, war versiert im Umgang mit dem Internet. Ihre Hoffnung hat sich die Teilnehmerin, deren Ehemann gerade in Kurzzeitpflege ist, bewahrt. Sie hofft, ihn wieder nach Hause holen zu können. Dafür muss er nun mobiler werden. Lange habe auch sie nichts von der Krankheit gemerkt. Erst später waren ihr Zettel an der Pinnwand ihres Mannes aufgefallen, die ihm als Erinnerungsstützen gedient haben müssen.
Eine Teilnehmerin mit kräftiger, klarer Stimme sagt, sie legt ihrem Mann eine Notiz hin, immer wenn sie das Haus verlässt, damit er nicht beunruhigt ist. Für die Teilnehmer der Angehörigengruppe, die ihren Partner nicht alleine lassen können, stellt Pro Dem während der Zeit der Selbsthilfegruppe auch eine ehrenamtliche Betreuung zur Verfügung. Wie mit unruhigen Nächten umzugehen ist, wenn der Partner aus dem Bett klettert oder fällt, ist eine weitere Frage, die aufkommt. Lilja Helms empfiehlt Stillkissen als Stabilisation. Pro Dem vermittelt jedoch auch Fachleute, die sich die Gegebenheiten vor Ort ansehen.
Die Teilnehmerinnen sollen mit guten Gefühlen nach Hause gehen. Deshalb soll jede sagen, worauf sie sich bis zum nächsten Termin freut. Renate Tecklenburg-Pique und ihr Ehemann bekommen Besuch, die Frau, deren Mann seit Kurzem in einer Pflegeeinrichtung lebt, ist zuletzt wieder Essen gegangen, hat Einkaufsbummel erledigt. Die Besuche bei ihrem Mann kosten sie viel Kraft. "Meine Tochter sagt zu mir: Unternimm anschließend etwas Schönes", sagt sie. Ein gemeinsamer Urlaub und die Einladung auf eine Feier sind weitere Unternehmungen, die aufgezählt werden.
Wenn sich Bekannte und Nachbarn nach der Erkrankung ihres Mannes erkundigen, fragen sie meist nur, wie es ihm geht, sagt die Frau mit dem Lippenstift. Wie es ihr geht, diese Frage hört sie so gut wie nie. In der Gesprächsgruppe aber fühlt sie sich verstanden.