Twistringen/Verden. Die große Jugendkammer des Landgerichts Verden hat jüngst einen 23-Jährigen aus Twistringen für schuldig befunden, vor rund sechs Jahren zweifachen sexuellen Missbrauch an Kindern verübt zu haben. Bei den Opfern handelt es sich um seine heute 13 und 16 Jahre alten Cousins. Der Angeklagte, der in der Kindheit selbst Missbrauch erfahren haben soll, hatte die Taten hartnäckig bestritten. Ihm wurde auferlegt, unter Aufsicht der Jugendgerichtshilfe innerhalb von sechs Monaten 200 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Außerdem wurde er für ein Jahr unter Betreuung gestellt.
Nach der Beweisaufnahme, bei der die Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen war, stand für die Kammer „zweifelsfrei“ fest, dass der Angeklagte als 17-Jähriger sexuelle Übergriffe auf die Jungen begangen hat. Dabei stützte sich die Kammer im Wesentlichen auf die „deutlich erlebnisbezogenen“ Angaben der beiden als „aussagetüchtig“ eingeschätzten Betroffenen. Was ihnen, unabhängig voneinander, geschehen ist, haben sie dem Vernehmen nach erst 2019 offenbart. Die Mutter hatte daraufhin Anzeige gegen den Neffen erstattet. Ihre Söhne waren zunächst von Polizeibeamten befragt worden. Nachdem das Verfahren in Gang gekommen war, erfolgte zwei Jahre später eine audiovisuelle Vernehmung durch eine Amtsrichterin.
Trotz des großen zeitlichen Abstands sei unterm Strich eine „Aussagekonstanz“ gegeben, so die Vorsitzende in der Urteilsbegründung. Sie erwähnte allerdings auch eine „erhebliche Abweichung“ in den Schilderungen des älteren Nebenklägers, die sich auf die Intensität des Missbrauchsfalls bezog. Diese habe aber nicht dazu geführt, dass man von einer insgesamt unglaubhaften Aussage ausgehe. Beide hätten auch „keinerlei Belastungseifer“ erkennen lassen und auch Positives erzählt. Sie hätten den „großen Cousin“ einst gern gehabt. Dass sie sich eine Lügengeschichte ausgedacht und diese über Jahre durchgehalten hätten, sei fernliegend. Es sei für die Opfer, aber auch für den Angeklagten „eine enorme Belastung“ gewesen, dass das Verfahren sich so lange hingezogen habe.
Auch die Plädoyers der Staatsanwältin, der Nebenklägervertreterin und des Verteidigers des Angeklagten waren am vierten Tag der Hauptverhandlung nicht öffentlich gehalten worden. Die Vorsitzende der Jugendkammer erklärte später, man stimme mit der Staatsanwaltschaft überein, wonach eine Jugendstrafe nicht in Betracht käme. Es liege keine Schwere der Schuld vor und bei dem 23-Jährigen seinen auch keine schädlichen Neigungen festzustellen. Die Arbeitsauflage solle ihn jedoch eindringlich auf sein damaliges „Fehlverhalten“ hinweisen.
Mehr noch: Er möge die 200 zu verrichtenden Stunden auch als Chance sehen, Struktur in seinen Tag zu bringen. Der Angeklagte, dessen Kindheit und Jugend von wechselnden Bezugspersonen und Umzügen geprägt war, verfügt weder über einen Schulabschluss noch über eine Berufsgrundlage. Eine 2019 begonnene Ausbildung hat er abgebrochen, nachdem die Ermittlungen wegen des mutmaßlichen Missbrauchs angelaufen waren. Er sei dadurch „psychisch aus der Bahn geworfen“ worden, hieß es im Bericht der Jugendgerichtshilfe des Landkreises Diepholz. Zuletzt jobbte er hin und wieder im Schaustellerbereich.
Nach eigenen Angaben hat er aber durchaus Vorstellungen von seiner Zukunft. Abgesehen davon, dass er „zur Bundeswehr“ wolle, habe er zeitnah eine Ausbildungsstelle als Berufskraftfahrer in Aussicht, beteuerte er. Das Gericht hielt auch eine sogenannte Betreuungsweisung für sinnvoll. „Vom Papier her“ sei der Angeklagte zwar ein erwachsener Mann, angekommen sei er im Erwachsensein aber noch nicht. Ihm müsse dabei geholfen werden, „eine ernsthafte Lebensplanung zu entwickeln“.