Bruchhausen-Vilsen. Es ist 10 Uhr morgens und das Handy klingelt schon wieder. Zum wievielten Male an diesem Tag kann Dana Arnold nicht mehr sagen. "Das erste Mal hat mein Handy heute Morgen um fünf geklingelt", berichtet sie. Eine Familie, die aus der Ukraine geflüchtet ist, wird an diesem Tag in Bruchhausen-Vilsen ankommen und braucht eine Unterkunft – ihre Katze hat die Familie auch im Gepäck. Glücklicherweise konnte Dana Arnold in den vergangenen Stunden für die Familie ein Obdach organisieren. Auch für die Katze hat sie einen Platz gefunden. Das Tier ist in der Unterkunft nämlich nicht erlaubt.
Seit die ersten Geflüchteten aus dem osteuropäischen Land in Bruchhausen-Vilsen angekommen sind, dreht sich für Dana Arnold beinahe alles nur noch um die Versorgung und Unterbringung ihrer Landsleute. Den Arnold ist selbst gebürtige Ukrainerin, lebt aber schon lange hier. Als Vorsitzende des deutsch-ukrainischen Vereins Kolos hilft sie den Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, bei der Eingewöhnung in der Samtgemeinde. Wobei es nicht nur Ukrainer sind, die vor dem Krieg fliehen. "Es sind auch viele Russen", weiß Arnold zu berichten, "die sehen die Ukraine aber als ihre Heimat und sind auch in Not." Ihnen will sie genauso helfen.
Bürokratische Hürden
Mehr als 120 Menschen sind bislang als Flüchtlinge im Zuge des Ukraine-Krieges nach Bruchhausen-Vilsen gekommen. Für viele von ihnen hat Dana Arnold eine Unterbringung organisiert und unterstützt auch in anderer Weise. Zum Beispiel, wenn es um die Beantragung von Asylleistungen geht. An diesem Punkt sieht sie großen Handlungsbedarf: "Wer soll das den verstehen?", sagt Arnold und verweist auf den zehnseitigen Fragebogen, der vor ihr liegt. Um Asylleistungen zu bekommen, müssen die Geflüchteten einiges an Informationen preisgeben. So fragt das Formular, neben den persönlichen Verhältnissen, unter anderem auch Einkommensverhältnisse, Vermögenswerte, Arbeitsverhältnisse oder Haus- und Wohneigentum (mit Belegen) ab. Ob die Antragssteller in der Vergangenheit Sozialleistungen in Deutschland wie Arbeitslosengeld erhalten haben, muss auch angegeben werden. "Das ist für die Ukrainer völlig überflüssig", glaubt Dana Arnold und kritisiert weiter: "Die verstehen ja meistens noch nicht mal, was dort gefragt wird." Auch einige deutsche Gastgeber seien mit den Anträgen überfordert, weiß sie.
Ganz anders ist dabei ihre Einstellung zu der Samtgemeindeverwaltung, die für die Bearbeitung der Anträge zuständig ist. "Das Rathaus ist so schnell, das ist wirklich toll", lobt Arnold. Die Zusammenarbeit funktioniere sehr gut, auch wenn es hier und da kleine Hindernisse gäbe. Beispielsweise bei den Nachweisen über die Corona-Schutzimpfungen. "Oft lassen sich die QR-Codes nicht auslesen oder der Impfstatus ist nicht anerkannt", sagt Arnold. Da der Zutritt bislang nur unter 3G möglich war, müssen die Geflüchteten erst einen Schnelltest machen lassen. Es fordere etwas Fingerspitzengefühl, zu erklären, warum der Impfnachweis nicht ausreicht, berichtet sie weiter. "Man muss die Leute auch verstehen. Sie kommen verängstigt und traumatisiert in ein fremdes Land und müssen sich dann hier in der Bürokratie zurechtfinden."
Sprachliche Barrieren
Ist der Schock erst mal überwunden, gelingt auch die Eingewöhnung in der neuen Heimat besser. Diese Erfahrung hat zumindest Dana Chelariu gemacht. Mithilfe ihrer Namensvetterin hat sie eine ukrainische Familie bei sich aufgenommen. Für Chelariu stand es außer Frage, nicht zu helfen und das Erdgeschoss ihres Hauses zur Verfügung zu stellen. "Eigentlich ist dort mein Büro, es gibt aber ein Bad und eine Küche. Also haben wir überlegt, es als Wohnung herzurichten", sagt sie. In zwei Wochen haben Chelariu und ihr Mann die Räumlichkeiten in eine Wohnung verwandelt. Im Anschluss habe sie sich an die Gemeindeverwaltung gewandt, um ihren Wohnraum anzubieten. So kam der Kontakt zu Dana Arnold zustande, die sofort eine passende Familie vermitteln konnte: Larissa Yermoshyna, ihre neunjährigen Zwillingsjungs und Yermoshynas Schwester Olena Bohdanova. "Wir verständigen uns mit Google Translate", berichtet Dana Chelariu, die gebürtig aus Rumänien kommt, "ich konnte mal Russisch, aber das ist schon lange her."
Trotz sprachlicher Barrieren stimmte die Chemie zwischen den Familien sofort. Dana Chelariu kann sich noch gut an den ersten Abend erinnern und wie begeistert die Zwillinge von dem Kamin waren, der dort im Haus steht. Am nächsten Tag wurde schon gemeinsam gekocht, berichtet die Gastgeberin weiter: "Für die Kinder habe ich Schnitzel mit Pommes gemacht. Im Gegenzug haben Larissa und Olena Borschtsch gekocht." Ihr Mann habe zu den Kindern gleich einen Draht gefunden – mithilfe von Zeichentrickfilmen. Sei es bei Behördengängen oder dem Einkauf – Dana Chelariu begleitet die Familie bei allem, wo es notwendig ist.
Gemeinsame Abende
Für Larissa Yemorshyna und ihre Schwester Olena Bohdanova war ihr erster Eindruck alles andere als schön. Angekommen sind sie zunächst in Berlin. "Es war unheimlich dreckig dort", erinnern sich die beiden Schwestern an ihre Ankunft in der Hauptstadt. Bruchhausen-Vilsen sei da ganz anders. Als "Himmel auf Erden" bezeichnen die jungen Frauen ihre jetzige Heimat. Dana Arnold und Dana Chelariu wollen solche Eindrücke fördern. So wie es zeitlich möglich ist, treffen sie sich mit anderen Geflüchteten und Ehrenamtlichen, verbringen gesellige Abende, trinken, lachen, tanzen oder musizieren dabei gemeinsam. Dana Arnold zückt ihr Handy und spielt ein Video ab, das an solch einem Abend entstanden ist. Alle Menschen scheinen fröhlich und gut gelaunt. Arnold sagt: "Das ist Völkerverständigung."