Das Video der Überwachungskamera dauert nur zehn Sekunden: Es zeigt, wie ein als Paketbote getarnter und mit einem Elektroschocker bewaffneter Mann an einer Haustür klingelt. Als die Tür geöffnet wird, versuchen er und ein vermummter Mittäter, der mit "Panzer-Tape" und Kabelbindern ausgestattet ist, den Bewohner des Hauses zu überwältigen. Doch dieser ist stärker und drückt die Haustür von innen zu, woraufhin, die beiden mutmaßlichen Diebe die Flucht ergriffen.
Was genau wird dem Angeklagten vorgeworfen?
Seit Mittwoch muss sich ein 25-jähriger Angeklagter wegen versuchten gemeinschaftlichen besonders schweren Raubes vor dem Landgericht Oldenburg verantworten. Ihm wird zur Last gelegt, am 2. November 2024 gemeinsam mit einem unbekannten Mittäter als Paktebote verkleidet das Grundstück eines Einfamilienhauses am Trendelbuscher Weg in Stenum unter dem Vorhalt einer Waffe betreten zu haben, um die Bewohner zu überwältigen und anschließend Wertgegenstände zu entwenden.
Was sagt der Angeklagte?
Ob der Beschuldigte die Tat auch wirklich begangen hat, muss die Kammer erst in einem mühsamen Indizienprozess herausfinden. Der 25-Jährige bestreitet nämlich, der Mann auf dem Überwachungsvideo zu sein und gab vor der Vorsitzenden Richterin an, zur Tatzeit mit seinem Dealer in der Gaststätte Elmeloher Grill verabredet gewesen zu sein. Die Verteidigerin des Angeklagten machte vor Gericht geltend, dass sowohl das Kinn, als auch die Nase und die Ohren ihres Mandanten nicht mit der Person auf dem Überwachungsvideo übereinstimmen würden. Große Bedeutung in dem Verfahren dürfte nun einer Identitätssachverständigen des Landeskriminalamts zukommen, die zu einem späteren Zeitpunkt gehört werden soll.
Wie sind die Ermittler auf die Spur des Angeklagten gekommen?
Am Nachmittag nach der Tat haben die Geschädigten ohne Rücksprache mit der Polizei eigenständig das Video der Überwachungskamera auf Facebook veröffentlicht, das dort viral ging. Daraufhin meldeten sich mehrere Zeugen bei der Polizei, die angaben, den Angeklagten als mutmaßlichen Täter erkannt zu haben. Einen Tag später veranlassten die Ermittler dann eine Hausdurchsuchung an der Wohnanschrift des 25-Jährigen.
Welche Indizien könnten den Angeklagten überführen?
Dabei fanden die Ermittler in der Waschmaschine einen orangefarbenen Hoodie, der bei dem Überfall unter der Postjacke getragen worden sein könnte. Und auch Nike-Turnschuhe, die auf dem Video zu sehen sind, stellten die Beamten sicher. Sie waren dem Angeklagten bereits in einem früheren Verfahren zugeordnet worden. DNA-Spuren auf Kabelbindern, die die Räuber am Tatort zurückließen, könnten indes den Mittäter überführen, der aber in diesem Verfahren keine Rolle spielt. Die Postjacken, die die Polizei in einem Schrank der Wohnung entdeckte, ließen sich dem Überfall dagegen nicht zuordnen, da sie farblich nicht passen würden.
Wie wasserdicht ist das Alibi des Angeklagten?
Nach der Auswertung des Mobiltelefons des 25-Jährigen kann zumindest nicht restlos ausgeschlossen werden, dass er sich im Bereich des Elmeloher Grills aufgehalten hat. Auch die Frage, wann sich der Angeklagte zu dieser Zeit rasiert hat, könnte eine Rolle spielen: Normalerweise trägt er einen Vollbart. Da am Tag des Überfalls aber die Geburtstagsfeier seiner Mutter anstand, habe er sich kurz zuvor rasiert, erklärte er vor Gericht. Der falsche Postbote auf dem Überwachungsvideo trägt eher einen Drei-Tage-Bart. Gäste der Geburtstagsparty erklärten, dass der Angeklagte dort erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgetaucht sei.
Was war überhaupt der Anlass für den Überfall?
Der leitende Ermittlungsbeamte schilderte im Zeugenstand, dass es zunächst nicht ersichtlich gewesen sei, warum sich die Diebe ausgerechnet dieses Haus für einen Überfall ausgesucht hatten. "Das Haus war mit einer Kamera überwacht, die Geschädigten bewohnten den hinteren Teil einer Doppelhaushälfte und die Nachbarn waren zu Hause. Für Diebe, die es auf schnelle Beute abgesehen hätten, hätte es geeignetere Objekte gegeben", erklärte er. Als die Geschädigten dann aber 5000 Euro Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führten, in Aussicht gestellt hätten, habe sich ein anonymer Anrufer gemeldet, der geschildert habe, dass die Täter offenbar (fälschlicherweise) davon ausgegangen seien, dass die Geschädigten eine große Menge Bargeld im Haus aufbewahren würden. Die zweite Fehleinschätzung sei gewesen, dass sich die Frau des Paares zur Tatzeit eben nicht allein im Haus aufgehalten habe. Täter und Geschädigte kannten sich jedoch offensichtlich nicht.

Vor dem Landgericht hat der 25-jährige Angeklagte (rechts) am Mittwoch bestritten, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein.
Gibt es noch weitere Vorwürfe?
Weil die Polizei bei der Hausdurchsuchung auch noch einen Rucksack mit 845 Gramm Marihuana sowie einige Gramm Kokaingemisch fanden, muss sich der 25-Jährige nun nicht nur wegen des Raubüberfalls, sondern auch wegen des Verdachts auf Drogenhandel verantworten. Hatte er bei seiner ersten Vernehmung noch angegeben, die Drogen zuvor für 350 Euro in Oldenburg gekauft zu haben, behauptete er vor Gericht, das Cannabis auf einem nahen Feld selbst angebaut und geerntet zu haben. Und es sei auch nicht für den Verkauf bestimmt gewesen.
Seine Arbeitsstelle als Kommissionierer bei einer großen Supermarktkette hat der Angeklagte aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe erst einmal verloren. In der Zwischenzeit hat er sich freiwillig in die Karl-Jaspers-Klinik begeben, um sich wegen seiner Drogenprobleme behandeln zu lassen. Der Prozess wird am 24. September fortgesetzt.