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Landwirt-Proteste in Ganderkesee Großaufmarsch der Landwirte

Das Ganderkeseer Landvolk bezeichnet die Kundgebung als Erfolg: Rund 100 Landwirte mit 50 Treckern haben sich am Dienstagabend vor dem Rathaus versammelt. Aber es gibt auch Kritik.
28.11.2019, 18:00 Uhr
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Von Ilias Subjanto

Nicht nur in Berlin, sondern auch in Ganderkesee haben Landwirte gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung protestiert. Rund 100 Landwirte mit 50 Treckern versammelten sich am Dienstagabend vor dem Ganderkeseer Rathaus, um Bürgermeisterin Alice Gerken eine Petition zu überreichen. Die Forderungsliste hat den selben Inhalt wie die der Facebook-Gruppe „Land schafft Verbindung“ – die Initiative hatte zu den bundesweiten Kundgebungen aufgerufen. So richtet sich der Protest der Landwirte unter anderem gegen schärfere Vorgaben zum Insekten- und Umweltschutz und weitere Düngebeschränkungen zum Schutz des Grundwassers.

Aus Sicht von Cord Schütte vom Ganderkeseer Landvolk war die Aktion vor dem Rathaus ein voller Erfolg. „Wir hatten nicht mit so einer großen Beteiligung gerechnet“, resümiert er. Viele Passanten und Autofahrer hätten positiv auf die Kundgebung reagiert, berichtet der Landwirtschaftsleiter. Er lobt auch die große Geschlossenheit der Landwirte in der Region: „Sehr viele Bauern haben bei der Kundgebung mitgemacht“, sagt Schütte, der auch für die CDU im Ganderkeseer Gemeinderat sitzt. Aus dem Landkreis seien sogar 50 Landwirte mit einem Dutzend Trecker in Berlin gewesen, um in der Bundeshauptstadt für ihre Anliegen einzutreten.

Auf die inhaltlichen Ziele der aktuellen politischen Agrarinitiative in Bund und Land angesprochen, schimpft der Ratsherr: „Wir wollen nicht immer für alles verantwortlich gemacht werden.“ Die Landwirte würden sich vehement dagegen wehren, ständig als Sündenböcke der Nation dargestellt zu werden. So würden beim Thema Nitratbelastung des Grundwassers die Agrarbetriebe zu Unrecht an den Pranger gestellt werden. „Noch vor Kurzem hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze das Grundwasser in Deutschland als das beste der ganzen Welt bezeichnet. Und jetzt soll alles schlecht sein?“, ärgert sich Schütte. Seiner Meinung nach ist die Ursache hoher Nitratwerte im Grundwasser nicht eine Überdüngung der Felder, jedenfalls nicht ausschließlich. Denn viele Kommunen würden zum Beispiel ihre Abwassersysteme nicht in den Griff bekommen, nennt er einen möglichen Grund für die Grundwasserverschmutzung.

Wenn ein Brunnen außerdem negativ gemessen wurde, sei deswegen gleich ein „riesengroßes Gebiet“ gebrandmarkt. Selbst in 15 Kilometer Entfernung würden Felder dann als nitratverseucht gelten, was in seinen Augen realitätsfern sei. Überhaupt zweifelt er die Messergebnisse der Behörden an. „Wenn die Ergebnisse eindeutig sind, stehen wir auch dazu“, sagt der Ratsherr, „aber viele stimmen hinten und vorne nicht.“ An der Stelle seien neutrale Nachmessungen vonnöten, nicht durch die Behörden, sondern besser durch ein unabhängiges Institut. „Die Pauschalaussage, die Bauern seien am Nitrat im Grundwasser schuld, ist jedenfalls nicht richtig“, findet Schütte.

Zum Thema Insektensterben äußert er sich ebenfalls sehr entschieden. „Die in der Landwirtschaft verwendeten Pflanzenschutzmittel sind gar nicht so schädlich, wie immer behauptet wird.“ In seinen Augen tragen „Mobilfunknetz und Windräder“ einen großen Anteil am Insektenschwund. Eine weitere Ursache sieht er in der Flächenversiegelung: „Jeden Tag werden in ganz Deutschland 60 Hektar für Straßen- und Wohnungsbau versiegelt“, erklärt der Landwirtschaftsleiter.

Schütte appelliert an die Verbraucher, stärker auf regional produzierte Lebensmittel zu setzen. Er warnt vor dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und südamerikanischen Ländern, das die Einfuhr von Rindfleisch aus Südamerika erleichtern soll. „Dort wird für die Fleischproduktion extra Regenwald abgeholzt“, sagt Schütte. Und in Deutschland hätten Landwirte es immer schwerer, trotz Subventionen kostendeckend zu wirtschaften. „Es gibt hier einen Mindestlohn – wieso gibt es keinen Mindestpreis für Agrarprodukte?“, fragt der Ratsherr.

Zumindest was das staatliche Eingreifen betrifft, kann ihm der Ganderkeseer Fraktionsvorsitzende der Grünen, Volker Schulz-Behrendt, teilweise zustimmen: „Der Anbau von Bioware müsste stärker gefördert werden.“ Landwirte würden eine Umstellung auf Biolandwirtschaft scheuen, da diese mindestens zwei Jahre dauern würde. Bei diesem Punkt könne der Staat helfen, sagt Schulz-Behrendt. Ansonsten hat er für die Bauernproteste nur ein Kopfschütteln übrig. „Die Landwirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten so gut wie nichts gegen den Klimawandel getan“, stellt der Ratsherr der Grünen fest und fügt hinzu: „Wir haben diese Leugnung schon lange beanstandet.“ Durch den aktuellen Aufschrei der Landwirte sieht er sich nur darin bestätigt, dass bei den Bauern ganz offensichtlich ein „wunder Punkt“ getroffen worden sei.

Für den promovierten Biologen steht beispielsweise fest, dass erhöhte Nitratwerte im Grundwasser zum Großteil auf die landwirtschaftliche Gülleentsorgung zurückzuführen sind. „Nitrat ist nicht schwierig nachzuweisen“, betont er – er halte die Anzweiflung behördlicher Messergebnisse geradezu für abwegig. Auch sieht er in den in der Landwirtschaft eingesetzten Pestiziden den Hauptgrund für das Insektensterben. „Öko-Betriebe kommen auch ohne Pestizide aus, bei gleichzeitig ausreichenden Erträgen“, betont Schulz-Behrendt. In der ökologischen Landwirtschaft sei nicht nur der Boden fruchtbarer, er könne ebenfalls mehr Wasser und CO2 speichern. Für den Biologen steht angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und trotz der Proteste der Bauern fest: „Die Landwirtschaft muss sich ändern.“

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