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Hebammen im Landkreis Oldenburg Warum Geburtshilfe eine Daseinsfürsorge ist

Es fehlt an Hebammen, die Kreißsäle sind übervoll, die Wege zu Kliniken weit: So sieht es in Niedersächsischen Geburtshilfe aus. Auch der Landkreis Oldenburg bildet da keine Ausnahme. Doch es gibt Hoffnung.
23.02.2022, 10:03 Uhr
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Von Imke Harms

Stell Dir vor, du kriegst ein Kind – und niemand hilft. Etwas überspitzt formuliert. Aber dass immer mehr Geburtsstationen schließen, Hebammen Alarm schlagen und vielen schwangeren Frauen keine gute Versorgung mehr gewährleistet werden kann, obwohl ihnen diese rechtlich zusteht: Das ist Realität. Corona tut das Übrige. Das Niedersächsische Aktionsbündnis „Gesundheit rund um die Geburt“ fordert nun die Landesregierung auf, die Geburtshilfe im aktuell überarbeiteten Krankenhausgesetz in die Grundversorgung aufzunehmen.

Der Status Quo

Im Gesetzentwurf, das berichtet Hilke Schauland, Zweite Vorsitzende des Hebammenverbandes in Niedersachsen, ist die Geburtshilfe in den Versorgungsstufe-II-Krankenhäusern der Schwerpunktversorgung zugeordnet, wird also gewertet wie beispielsweise die Orthopädie. Bei einer solchen Fachabteilung reicht es rechtlich, wenn sie innerhalb von 45 Minuten erreichbar ist. „Mit starken Wehen ist das eine Zumutung“, konstatiert Schauland, die als Hebamme in Oldenburg tätig ist. Der Knackpunkt: „Mit Geburtshilfe lassen sich keine Gewinne erzielen. Krankenhäuser sind Wirtschaftsunternehmen. Da liegt schon der Fehler“, führt sie aus.

In Niedersachsen gibt es bereits jetzt vier Landkreise ohne Geburtsstationen. Einer davon ist der Nachbarlandkreis Diepholz. Vor kurzem wurden zudem die Kreißsäle in Emden und in Friesoythe (Landkreis Cloppenburg) geschlossen. All das hat auch Auswirkungen auf den Landkreis Oldenburg. Denn verbleibende Kreißsäle werden immer voller – während Ärzte, Hebammen und Krankenhauspersonal überlastet sind, deshalb teilweise die Kliniken verlassen. „Bereits jetzt sind manche Dienste in einigen Kreißsälen nicht besetzt“, weiß Hilke Schauland. Schwangere Frauen wüssten um die Probleme, stünden unter starkem Stress und suchten manchmal mit erst beginnender Wehentätigkeit viel zu früh die geburtshilflichen Abteilungen auf – aus Angst, später abgewiesen zu werden. „Angst hemmt den Geburtsverlauf. Kommen Frauen zu früh ins Krankenhaus, kann die mögliche Folge sein, dass mit Eingriffen ohne medizinische Indikation in das natürliche Geburtsgeschehen begonnen wird“, erklärt die Fachfrau. Ein Beispiel sei die Wehenunterstützung, an deren möglichen Ende der Interventionskaskade der Kaiserschnitt steht.

Die Forderungen

„Die Geburtshilfe muss zur Notfall- und Grundversorgung aufgenommen werden“, fordern nicht nur Hebammen, sondern unter anderem die Awo, der Berufsverband Kinderkrankenpflege, Hochschulen, der Verein Motherhood und pro familia. Denn: „Geburtshilfe ist Daseinsfürsorge und muss in die Mitte der Gesellschaft“, bringt Schauland es auf den Punkt. Um das möglich zu machen, braucht es mehr Hebammen. Aber woher nehmen? Niedersachsen versucht seit 2020 durch die Akademisierung und einer Erhöhung der Plätze dem Mangel entgegenzuwirken.

Gute Idee – an der Umsetzung hapert es jedoch: „Von den jeweils 35 Studienplätzen sind im Schnitt nur 20 besetzt, obwohl es mehr als genug Bewerbungen gibt“, erklärt Schauland. Wie das sein kann? „Die Kliniken sind jetzt plötzlich Praxisstandort, müssen die praktische Ausbildung statt der Hebammenschulen übernehmen. Darauf sind sie aber noch nicht vorbereitet“, führt Schauland aus.

Die Alternativen

Die Fakten sehen düster aus. Hilke Schauland ist dennoch zuversichtlich: „Ich hoffe, dass es beim Studium alles Anlaufschwierigkeiten sind und es sich zurechtruckelt.“ Es gebe generell gute Ideen. „Wichtig wäre, dass die Kliniken mehr untereinander kooperieren“, sagt sie.

Der Beruf müsse wieder attraktiver werden. Dabei gehe es auch um Geld: „Geburtshilfe muss anders finanziert werden, damit die Nicht-Intervention wieder das Ziel ist und Frauen ohne Sorgen ihre Kinder bekommen können“, sagt Hilke Schauland.

Zur Sache

Steigende Geburtenzahlen im Landkreis Oldenburg

Die Zahlen klingen erstmal gut: Von 299 Anfragen, die zwischen April 2020 und März 2021 bei der Hebammenzentrale Delmenhorst-Oldenburg Land eingegangen sind, konnten umgerechnet 85 Prozent vermittelt werden. Das heißt im Umkehrschluss aber: Etwa 45 Frauen haben auch nach dem Kontakt keine Hebamme gefunden. Zwar liegen für den Zeitraum zwischen 2021 und 2022 noch keine genauen Zahlen vor, doch eine der Koordinatorinnen, Ulrike Wellborg, kann schon jetzt sagen, dass die Anfragen zugenommen haben: „Der Mangel wird immer schlimmer. Viele Hebammen arbeiten nur noch Teilzeit oder hören aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen ganz auf.“ 33 Hebammen sind derzeit bei der Zentrale gelistet. Susanne Kaina, ebenso eine der Koordinatorinnen, weiß, dass sich Hebammen vor allem aus der freiberuflichen Wochenbettbetreuung zurückgezogen haben, deshalb müsse man immer mehr Frauen ablehnen.

Mit Sorge sehe die Hebammenzentrale auch dem 16. März entgegen – bis dahin sollen nach derzeitigem Stand alle im Gesundheitswesen Tätigen gegen Corona geimpft sein. Sind sie es nicht, so dürfen sie nicht mehr zur Arbeit kommen, eine „traurige Prognose“.

Eine gute Nachricht gibt es aber noch: In der jüngsten Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses im Landkreis Oldenburg empfahlen die Kommunalpolitiker einstimmig, dass die halbe Stelle der Hebammenzentrale auf eine 0,76-Stelle (29,5 Wochenstunden) erhöht wird. Die Personalkosten von 7800 Euro (zuzüglich Tarifsteigerung) sollen ab April bereitgestellt werden – jedenfalls, wenn die Stadt Delmenhorst den anteiligen Betrag von 5100 Euro übernimmt.

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