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Landkreis Oldenburg Lange Wege bis in die Kinderarztpraxis

18.325 Kinder unter 15 Jahren gibt es laut Statistischem Bundesamt im Landkreis Oldenburg – entsprechende Praxen sind es inklusive Delmenhorst sieben. Zu wenig, kritisieren die hiesigen Kinderärzte.
28.06.2022, 08:00 Uhr
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Von Imke Harms

„Aufgrund eines erhöhten Patientenaufkommens können wir nicht mehr persönlich ans Telefon gehen.“ Ende der Durchsage. Das Gerät schaltet ab. Knacken in der Leitung, Tuten. Kein Anrufbeantworter. Das ist kein Einzelfall, wie eine Recherche zur Versorgung mit Kinderarzt-Praxen im Landkreis Oldenburg offenbart. Zwar sind in den meisten Gemeinden Ärztinnen und Ärzte tätig – doch die Nachfrage ist größer als das Angebot.

18.325 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren gibt es laut Statistischem Bundesamt im Kreis – entsprechende Praxen sind es sieben: zwei in Delmenhorst, eine in Wildeshausen, eine in Ganderkesee, je eine weitere in Wardenburg und Harpstedt und eine in Hude.

Gemeinde Hude

In Hude macht sich der Mangel durchaus bemerkbar. Carsten Vocke von der Kinderarztpraxis hat dafür mehrere Erklärungen und schickt vorweg: „Es gibt nicht den einen Schuldigen – es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.“ Er listet einige Gründe auf: „Es sind mehr Patienten geworden, es gibt eine höhere Frequentierung und Inanspruchnahme der Praxen – und zudem Engpässe beim Personal. Und es wird immer mehr zeitraubende Bürokratie neben der eigentlichen medizinischen Tätigkeit.“

Für die Kinderarztpraxis in Hude gelte, dass Neugeborene und Zugezogene mit kleineren Kindern selbstverständlich aufgenommen würden. „Wechsler aus anderen Praxen der Region nehmen wir nicht oder in Ausnahmefällen nur nach eingehender Prüfung.“ Wartezeiten für Routine-Termine gebe es keine. Doch er gibt zu: „Dafür müssen wir aber bezüglich der Arbeitsbelastung an Grenzen gehen.“

Carsten Vocke öffnet den Blick noch weiter: „Der gesamte soziale und medizinische Bereich ist sehr weiblich – in Corona-Zeiten sind in etwa 85 Prozent der Fälle die Mütter zu Hause geblieben. Wir haben hier Rückschritte in die 80er-Jahre erlebt, was zulasten der Familien, aber auch der Jobs der Mütter geht. Und wenn diese in Kitas, Schulen, Heimen, Praxen oder Kliniken beschäftigt sind, steht es schlecht um die Versorgung.“

Samtgemeinde Harpstedt

In Harpstedt ist die Gemeinschaftspraxis Mullstraße ansässig, Uta Pape ist hier seit 22 Jahren für die Kinder- und Jugendmedizin zuständig. Und sie kann den Eindruck ihres Huder Kollegen teilen. In ihrer Praxis müsste es theoretisch einen Aufnahmestopp geben, zudem wollte man eigentlich nur noch Eltern mit Kindern aus dem Flecken Harpstedt aufnehmen, „doch manchmal können wir das nicht so streng durchziehen“, sagt sie auch im Hinblick auf die ankommenden ukrainischen Familien. Ihr Einzugsgebiet sei deshalb groß: Sie habe Patienten aus Eydelstedt, Twistringen, Syke und Barnstorf.

Für die Akutversorgung könne man Kapazitäten schaffen, sagt Pape, aber für Vorsorgeuntersuchungen seien Wartezeiten teilweise lang. Auch für die Zukunft sieht Uta Pape keine Besserung in diesem Bereich, „da einige Kollegen in den Ruhestand gehen werden. Praxis-Nachfolgen zu finden, gestaltet sich zunehmend schwierig“, weiß sie. Ihr Vorschlag: „Gemeinden müssen dieses Problem aktiver angehen, eine Empfangskultur entwickeln für Ärzte, die in Erwägung ziehen, sich niederzulassen.“ Denn der gesamte medizinische und soziale Sektor könne Nachwuchs und Unterstützung gebrauchen, wie die Kinderärztin berichtet: „Es geht ja schon mit dem Hebammenmangel los. Allgemeine Themen, die Eltern sonst mit Hebammen besprechen könnten, werden nun zum Kinderarzt gebracht.“

Früher sei einiges auch von Großeltern abgefedert worden. „Das Bauchgefühl einiger Eltern scheint zu schwinden. Sie möchten nichts falsch machen, sind sehr unsicher und gehen deshalb häufiger zum Arzt.“

Bei der zukünftigen Besetzung von Landarztpraxen – egal welcher Fachrichtung – könnte in ihren Augen die Verbesserung der kassenärztlichen Strukturen (weniger Notdienste, weniger Bürokratie) auch dazu beitragen, Kollegen aus Krankenhäusern die Angst vor der Niederlassung zu nehmen.

Zur Sache

Diese Tipps gibt die Kassenärztliche Vereinigung

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) weiß um die Probleme, kann daran aktuell aber leider nichts ändern. „Es ist schwer, nicht vorhandene Ärzte auf dem Land zu verteilen“, sagte ein Sprecher der KVN auf Anfrage. Und leider spreche die derzeitige Entwicklung dafür, dass sich die Situation weiter zuspitzen wird. Während die Zahl der Geburten laut KVN im Vergleich zum Jahr 2010 stark gestiegen ist, wagen immer weniger junge Ärzte oder Ärztinnen den Schritt in die Niederlassung. Andererseits wird ein Viertel der Kinderärzte in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen.

Ganz nebenbei müssen die vorhandenen Kinderärzte auch noch immer mehr Aufgaben übernehmen. Die Anzahl der Vorsorgeuntersuchungen erhöhte sich seit der Einführung im Jahr 1971 von acht auf nun 14. Die Zahl der empfohlenen Impfungen hat sich in drei Jahrzehnten fast verdoppelt.

Zudem versorgten die Ärzte auch Kinder mit Herzfehlern, schweren Allergien, Lungenkrankheiten etc. – alles Versorgungen, die früher in den Kliniken geleistet worden seien. „Dadurch fehlen dann die Ressourcen für die medizinische Grundversorgung“, kritisiert der KVN-Sprecher.

Dennoch kann er Tipps geben, um an einen Termin zu kommen. Viele Versuche: Wenn es bei der Wunschpraxis mit einem Termin nicht klappt, sollten Eltern ruhig mehrere Kinderarztpraxen kontaktieren. Eine Übersicht über alle Praxen, unter Umständen auch in einem benachbarten Landkreis, ist unter www.arztauskunft-niedersachsen.de zu finden. ? KVN kontaktieren:Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) ist unter der Telefonnummer 116 117 zu erreichen. Die Terminservicestelle hilft bei der Terminfindung weiter. Hausärzte:Viele Hausärzte betreuen Kinder ebenfalls. Unter Umständen genügt es, dort einen Termin zu vereinbaren. Planung: Bei akuten Notfällen ist das natürlich nicht möglich, aber eine frühzeitige Planung der Kinderarztbesuche hilft nicht nur Betroffenen, sondern auch den Ärzten. Langfristige Anmeldungen sind ratsam, wenn es beispielsweise um Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen geht. Absagen:Die KVN bittet, das sogenannte „Doktorhopping“ zu vermeiden. Wer bei einem Arzt einen Termin bekommen hat, sollte diesen einhalten oder zumindest absagen, wenn es bei einem anderen Arzt geklappt hat. Abwägung: Muss wirklich jedes gesundheitliche Problem in einer speziellen Praxis abgeklärt oder behandelt werden? Fürsorge ist richtig, unter Umständen reicht aber auch die elterliche Wärme daheim als Therapie. Geduld: Wer einen Termin bekommen hat, ist leider noch immer nicht am Ziel angekommen. Häufig kommt es in den Arztpraxen zu langen Wartezeiten. Diese sollten die Eltern am Tag des Termins einplanen und geduldig bleiben. (nic)

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