Was im Saisonfinale der 2. Handball-Bundesliga passierte, war derart kurios, dass sogar die "Sport Bild" diesem Geschehen eine große Geschichte widmete. "Abstiegs-Wahnsinn" hieß es in der Überschrift, weil am letzten Spieltag noch fünf Klubs zittern mussten. Mittendrin in diesem Wahnsinn war Yannick Dräger mit seinem Verein TuS N-Lübbecke. "Für Außenstehende war das sicher unterhaltsam, aber wenn man mit drinsteckt, ist das nicht immer witzig", sagt der Handball-Profi aus Harpstedt. Immerhin nahm die Spielzeit für Dräger ein positives Ende: Durch einen 29:25-Sieg beim VfL Eintracht Hagen rettete sich Lübbecke.
Zahlreiche Fans hatten das nordrhein-westfälische Team nach Hagen begleitet. Nach dem Abpfiff folgte die gemeinsame Nicht-Abstiegsfeier. "Wir hatten keinen Zeitdruck, haben mit den Fans zusammen gesungen und ein Bier getrunken", schildert Dräger, der 2021 mit Lübbecke den Aufstieg in die 1. Bundesliga feierte. "Natürlich war der Aufstieg noch emotionaler, aber in der Corona-Zeit war das Feiern damals etwas schwierig. Nach dem Nicht-Abstieg war die Feier daher jetzt sogar besser als nach dem Aufstieg", sagt der 31-Jährige. Die Erleichterung über den Klassenerhalt sei allen anzumerken gewesen. "Da hing viel dran für den Verein und die Region. Die Menschen dort leben den Handball", unterstreicht Dräger. Am folgenden Tag ging es für ihn und seine Mannschaftskollegen dann direkt weiter nach Mallorca zur Saisonabschlussfahrt.
Zwei Nächte im Hotel
Inzwischen ist der 1,99-Meter-Hüne zurück von der Insel und hat etwas Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Dieses entscheidende letzte Spiel in Hagen hatte dem TuS N-Lübbecke alles abverlangt. "Wir wollten es schon vorher zu Hause gegen Nordhorn schaffen, aber das Spiel haben wir leider verloren. Danach wussten wir alle, dass uns nur noch diese eine Partie bleibt", sagt Dräger. Zwei Nächte vor dem Showdown verbrachte die Mannschaft im Hotel. "Das war gut, um den Fokus auf das Spiel zu richten. Wir haben viel darüber gesprochen. Zur Ablenkung haben wir auch mal Dart gespielt oder gepokert", erzählt der Harpstedter.
Als die Begegnung in Hagen begann, sei die ganze Anspannung aber vergessen gewesen. "Letztlich war es auch ein normales Spiel", sagt Dräger. Zur Halbzeit führte Lübbecke bereits mit 12:8 gegen einen Gegner, für den es um nichts mehr ging. Den Sieg brachten Dräger und Co. anschließend souverän ins Ziel. Vier Treffer steuerte der Kreisläufer dazu bei. "Unser Gegner war schon durch, wir waren auf einer anderen emotionalen Höhe, das hat man gemerkt. Wir haben viel Siegeswillen gezeigt", schildert Dräger. Im großen Abstiegsdrama war der Sieg überlebenswichtig, denn auch die Konkurrenten Hamm, Lübeck-Schwartau und Eulen Ludwigsburg gewannen.
Bei aller Erleichterung über den verhinderten Abstieg wissen sie beim TuS N-Lübbecke, dass es eine enttäuschende Spielzeit war. "Wir hatten Höhen und Tiefen, insgesamt haben wir keine gute Saison gespielt", hält Yannick Dräger fest. Die Chemie habe innerhalb der Mannschaft zwar gestimmt, doch auf dem Feld sei davon wenig zu sehen gewesen. "Wir haben auf der Platte nicht immer zueinander gefunden", sagt der 31-Jährige und fügt hinzu: "Wir waren körperlich außerdem nicht auf dem Stand, den man für eine komplette Zweitliga-Saison haben muss. Man muss ehrlich sagen: Andere sind besser geworden, wir waren nicht gut genug."
Trainerwechsel während der Saison
Erst 2022 war der TuS N-Lübbecke aus der 1. Bundesliga abgestiegen. Danach wurde Drägers Team zweimal Fünfter in der 2. Bundesliga, ehe es nun etwas überraschend in den Abstiegssog geriet. Trainer Michael Haaß musste während der Saison gehen, ihn ersetzte ab Anfang Oktober Piotr Przybecki. "Ein Trainerwechsel in der Saison ist nicht so einfach. Jetzt in der Vorbereitung kann unser neuer Coach uns erst richtig seine Philosophie vermitteln", sagt Dräger.
Der TuS N-Lübbecke vollzieht in diesem Sommer einen personellen Umbruch. Der Kader wird verjüngt. "Mit meinen 31 Jahren bin ich künftig der Älteste im Team. Natürlich wird dann auch eine Führungsrolle von mir erwartet, und diese Rolle akzeptiere ich gerne", betont Dräger, der seit 2020 für Lübbecke aufläuft. Seinen Kontrakt verlängerte er vorzeitig bis 2027. "Ich möchte den Vertrag gerne erfüllen", sagt Dräger.
Er hatte sich vorgenommen, als Kreisläufer torgefährlicher zu werden. Immerhin 69 Treffer gelangen ihm in der abgelaufenen Saison in 29 Partien. "Das ist in Ordnung, aber nicht genug. Ich hatte nicht so eine starke Wurfquote, da geht schon deutlich mehr", sagt Dräger selbstkritisch, merkt aber auch an, dass das Lübbecker System nicht unbedingt auf Kreisläuferspiel ausgelegt sei.
34 Zeitstrafen kassiert
Ganz vorne steht der Harpstedter derweil in einer anderen Statistik: Er kassierte die meisten Zeitstrafen der 2. Bundesliga (34.). Dazu kamen zwei Rote Karten. Schon in der 1. Bundesliga war Dräger mit einigen Roten Karten aufgefallen. "Ich bin der Abwehrchef, das gehört dazu. Mit den Schiedsrichterentscheidungen war ich nicht immer ganz zufrieden, aber es ist auch schwierig für die Unparteiischen, weil das Spiel immer schneller wird", sagt er. Klar ist, dass Dräger in der neuen Spielzeit weiterhin eine zentrale Rolle beim TuS N-Lübbecke spielen soll. "Was für uns drin ist, ist aktuell noch schwer zu sagen. Es kommen viele neue Spieler, darunter einige aus dem Ausland, die ich noch gar nicht kenne. Es wird sich zeigen, wie schnell wir als Team zusammenfinden", blickt der Kreisläufer voraus.
Erst einmal ist nun aber Ruhe angesagt. Beachhandball spielt Yannick Dräger in diesem Sommer nicht. "Das passt zeitlich nicht", sagt er. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Maurice war er im Sand einst für die "Nordlichter" aktiv, inzwischen gehören sie den "Beach Geckos" an. Aus der Ferne verfolgt Yannick Dräger zudem den passenden Schlusspunkt einer überaus kuriosen Zweitliga-Saison. Während sich alle anderen Teams schon in der Sommerpause befinden, bestreiten der TuSEM Essen und der Dessau-Roßlauer HV am 29. Juni noch ein Wiederholungsspiel. Essen hatte gegen die Wertung der Partie gegen Dessau erfolgreich Einspruch eingelegt, weil am Ende ein gegnerischer Akteur zu viel auf dem Feld gewesen war. Im Falle einer Niederlage kann Dessau nun sogar noch auf einen Abstiegsplatz abrutschen. Bei einem Dessauer Sieg würde Lübbecke von Rang 15 auf 16 fallen, was aber auch noch für den Klassenerhalt reicht. "Ich bin nur froh, dass wir mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben", hält Dräger fest.