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ARCHÄOLOGIE IM LANDKREIS: RESTE EINER SIEDLUNG AUS RÖMISCHER KAISERZEIT GEFUNDEN

„Die Menschen damals waren arm.“ Daniela Nordholz, Archäologin Vorsichtig lässt Daniela Nordholz den Fund aus der archäologischen Rettungsgrabung bei Lübberstedt aus einem kleinen, wieder verschließbaren Plastiktütchen auf ihre Handfläche gleiten. Das dunkelbraune Etwas ist vielleicht vier Zentimeter lang und so dick wie ein Daumen.
09.01.2016, 00:00 Uhr
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ARCHÄOLOGIE IM LANDKREIS: RESTE EINER SIEDLUNG AUS RÖMISCHER KAISERZEIT GEFUNDEN
Von Brigitte Lange

Siedlungsspuren unter der Grasnarbe

Ausgrabung in Lübberstedt: Experten werten Boden-Archiv aus, bevor Windpark gebaut wird / 254 Funde gesichert

Vorsichtig lässt Daniela Nordholz den Fund aus der archäologischen Rettungsgrabung bei Lübberstedt aus einem kleinen, wieder verschließbaren Plastiktütchen auf ihre Handfläche gleiten. Das dunkelbraune Etwas ist vielleicht vier Zentimeter lang und so dick wie ein Daumen. Das einzige, was es für einen Laien von einem unbedeutenden Wulst aus hartem Lehm unterscheidet, ist das Loch in seiner Mitte. „Dadurch wurde ein Holzstäbchen gesteckt“, erklärt die promovierte Archäologin und dreht das Objekt in ihrer Hand: „Das hier ist ein Spinnwirtel; damit haben die Menschen Wolle gesponnen“, sagt sie.

Der Fund ist keine Sensation. Aber zusammen mit den übrigen 253 Funden, die Daniela Nordholz und ihr Grabungsteam binnen weniger Tage auf dem Acker bei Lübberstedt gemacht haben, ist er ein sicherer Beleg dafür, dass dort bereits in der römischen Kaiserzeit Menschen gelebt und „Hauswirtschaft“ betrieben haben. „Und es ist ein Befund dafür, dass sie wohl auch Tiere hatten“, vermutet Bezirksarchäologe Mario Pahlow. Gemeinsam mit Katharina Specht von der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Osterholz ist er zur Ausgrabungsstelle gekommen, um sich vor Ort zu informieren.

Auch Daniel Kowalski hat sich der kleinen Gruppe angeschlossen. Der Ingenieur arbeitet für die wpd onshore GmbH. Sie errichtet zwischen Lübberstedt und Hambergen einen Windpark. Ab Juni 2016 sollen die sieben genehmigten Windräder Strom ins Netz einspeisen. Eine der Anlagen wird auf dem Stück Acker stehen, auf dem irgendwann zwischen den Jahren Null und 400 nach Christi die Siedler lebten, die mit dem Spinnwirtel Garn herstellten.

Das wpd-Bauvorhaben ist der Grund für die Ausgrabungen von Nordholz’ Team. Bereits während des Genehmigungsverfahrens für den Windpark hatte der Landkreis darauf aufmerksam gemacht, dass sich in dem Gebiet Hinweise auf mögliche archäologische Funde verdichteten. Entsprechende Aktenvermerke reichen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Entsprechend wurde der Firma zur Auflage gemacht, im Vorlauf der Bauarbeiten, die Archäologen zum Zuge kommen zu lassen. Die Kosten der Grabung muss die Windpark-Firma zahlen: Seit 2011 gilt in Niedersachsen das Verursacherprinzip.

40 mal 40 Meter misst die Fläche der Ausgrabungsstätte am Anfang. Im Verlauf der Grabungen wird sie um einige Quadratmeter erweitert. Ein Bagger hat zunächst den Oberboden abgeschoben. Darunter kam ockerfarbiger, sandiger Schluffboden zu Tage. Das Ausgrabungsteam wich dabei dem Baggerfahrer nicht von der Seite. „Sie hielten nach einem ganz bestimmten Grauton Ausschau“, erklärt Nordholz. Sobald die Grabungstechniker eine vielversprechende Verfärbung im Erdreich entdeckten, griffen sie erst mit Schaufeln, später mit kleineren Kellen ein. „Der Baggerfahrer durfte von da an nur noch ganz langsam arbeiten.“ Etwas, das Baggerfahrern nicht wirklich liege, schmunzelt sie.

Inzwischen ist sich die Archäologin sicher, dass sie auf eine verlassene Siedlung aus der römischen Kaiserzeit gestoßen sind. „Solche Siedlungen bestanden meist aus drei bis fünf Höfen, mehr nicht“, berichtet Daniela Nordholz. Den Grundriss mindestens eines solchen Hauses meint sie, im Ausgrabungsbereich entdeckt zu haben. Die Spuren sind jedoch schwierig zu erkennen. Bis auf Verfärbungen, die von zwei schmalen Gräben an beiden Längsseiten des Hauses stammen, in denen die Wandpfosten mit dem Flechtwerk standen, sowie den dunklen Flecken der dazwischen errichteten, dicken dachtragenden Pfosten, lässt der Zahn der Zeit in der Regel nichts von diesen Gebäuden übrig.

Hinzu kommt, dass der Erhaltungszustand der Funde bei Lübberstedt eher schlecht ist. Nordholz vermutet, dass irgendwann der Bodenhorizont verändert worden sein muss, die Erde umgelagert wurde, sodass von der Siedlung aus der römischen Kaiserzeit nur noch die untersten Spuren im Boden erhalten blieben. Und diese sind zum Teil von Tiergängen durchsetzt, was die Analyse weiter erschwere. „Die Fotos der Befunde werden mich noch lange beschäftigen“, schätzt Nordholz.

Die Archäologin geht davon aus, dass die Siedlung – die jenseits der Grabungsfläche wohl gen Westen weiterging – von ihren Bewohnern verlassen wurde. Sonst hätten sie mehr als zahlreiche verfüllte Gruben, einen mit Scherben zugeschütteten Brunnen und einen Feuerplatz aus Granitsteinen sowie Hinweise auf Gebäude gefunden. Einen echten Schatz hatte die Archäologin an dieser Stelle allerdings gar nicht erwartet; so sehr sie sich so etwas auch wünsche. „Die Menschen damals waren arm“, sagt sie. Abgesehen von diesen Funden ist das Grabungsteam auf Flintsteine gestoßen, die von Menschen bearbeitet wurden: Spuren aus der Steinzeit. Nordholz datiert sie auf die Zeit zwischen 3000 und 2000 vor Christi. Sie seien über das gesamte Ausgrabungsfeld verteilt. „Aber sie hängen nicht mit der Siedlung zusammen.“ Da ist sich die Archäologin sicher.

Auch ohne den erträumten spektakulären Fund sind die Spuren der Siedlung für die Archäologin etwas Besonderes. Bisher gebe es wenige Siedlungsfunde aus der römischen Kaiserzeit. „Früher waren die Archäologen mehr an den Gräbern und an den Urnen interessiert“, stimmt Bezirksarchäologe Mario Pahlow ihr zu.

Um die Siedlung bei Lübberstedt zu dokumentieren und die Funde zu sichern, blieb dem Team nicht viel Zeit. Am Tag vor Weihnachten hatten sie die Arbeiten abgeschlossen. Das enge Zeitfenster hängt nicht allein mit der Firma zusammen, die den Bau des Windparks vorantreibt. Die Wissenschaftler arbeiten vor allem gegen das Wetter. Frost zerstört eine offene Grabung, auch Regen ist schlecht. Nach den Minusgraden der vergangenen Tage hofft Daniela Nordholz nun auf mildere Temperaturen. Denn wenige Meter vom Siedlungsfund aus der römischen Kaiserzeit entfernt, wartet schon die nächste Rettungsgrabung auf die Bremerin und ihr Team: Eine Grabstelle, wie alte Aktenvermerke nahelegen. Zeit, dem einmal auf den Grund zu gehen.

Für einen umsichtigen Umgang mit dem Boden-Archiv

Kreisbehörde für den Denkmalschutz erklärt: Grabungen wie die in Lübberstedt sind eher die Ausnahme / Weitere Untersuchungen geplant

Eine solche Grabung, wie sie dem Bau des Windparks in Lübberstedt vorangeht, hat Katharina Specht in ihrer Zeit bei der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises erstmals genehmigt. „So etwas kommt nicht so häufig vor“, berichtet sie auf Nachfrage der Redaktion.

Nicht, dass es im Landkreis nichts im Erdreich zu entdecken gäbe. Früher habe es durchaus mehr Ausgrabungen gegeben. Specht berichtet vom Fund einer Siedlung aus der frühen Steinzeit im Bereich des heutigen Abfallentsorgungszentrums in Pennigbüttel. Eine Ausgrabung, die noch vom damaligen Bezirksarchäologen geleitet worden sei, einem Vorgänger von Mario Pahlow. „Aber das, was im Boden schlummert, wird durch solche Grabungen ein für alle Mal vernichtet“, sagt Specht. Bevor ein solches „historisches Archiv“ zerstört werde, werde daher inzwischen genau überdacht, ob die Ausgrabung tatsächlich notwendig ist oder ob es Alternativen dazu gibt. Bei der Ausgrabung in Lübberstedt war das unstrittig: Aufgrund der Windparkpläne ist die Grabung die letzte Chance, das Archiv im Boden auszuwerten.

Ohne dieses Bauvorhaben hätte sich die Lage anders dargestellt. Denn: „Die Frage ist, wie viel Untersuchung muss wirklich sein?“ Längst nicht immer müsse gegraben werden. Manchmal helfe schon eine sogenannte Prospektion. Dabei werde mit geschultem Auge eine Fläche abgegangen und visuell auf Auffälligkeiten abgetastet, erklärt Specht. Kein leichtes Unterfangen für jemanden, der darin nicht geübt sei. Als Beispiel nennt sie Grabhügel. Die seien für Laien schwer zu erkennen. Deshalb sei wohl auch so mancher in der Vergangenheit „verloren“ gegangen.

Dass Ausgrabungen durch das Land seltener stattfänden, hänge außerdem nicht nur mit knappen Finanzen zusammen. Specht verweist auf fehlende Kapazitäten; das Landesamt für Denkmalschutz beschäftige keine Scharen von Fachleuten.

Dr. Daniela Nordholz zum Beispiel, die die Ausgrabung in Lübberstedt leitet, ist freischaffende Archäologin. Sie hat ein eigenes Grabungsteam – heutzutage eher die Regel. Wie im Fall des Windparks würden freischaffende Experten von den „Verursachern“ – also den Bauherren – beauftragt. Laut Gesetz müssen Bauherren Funde nicht nur melden, sondern nach dem Verursacherprinzip auch die Kosten der Untersuchung übernehmen. Sie sind der Auftraggeber der Grabung. Dass der Bezirksarchäologe selbst mit einem Team aktiv wird, ist dagegen die Ausnahme.

Nicht automatisch gehört dabei der Fund dem Landbesitzer. Katharina Specht verweist auf das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz. Dort heißt es: „Bewegliche Denkmale, die herrenlos oder so lange verborgen gewesen sind, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit der Entdeckung Eigentum des Landes Niedersachsen, wenn sie bei staatlichen Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten entdeckt werden oder wenn sie einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert besitzen. Der Finder soll im Rahmen der verfügbaren Mittel des Landeshaushalts eine Belohnung erhalten.“

Für die Funde aus der Rettungsgrabung in Lübberstedt bedeutet dies, dass sie in beschrifteten Kartons entweder in die Archive des Landesamtes oder des Landkreises wandern werden, sagt Specht. „Es wird auch noch eine Dokumentation dazu geben“, berichtet sie.

Und es wird nicht nur eine Dokumentation über den Siedlungsfund geben. Anfang des Jahres werden Daniela Nordholz und ihr Team zu einer weiteren Rettungsgrabung im Bereich des Windparks starten. Eine dritte Grabung ist für einen Teilbereich der Stromkabel-Trasse, die den Windpark ans Stromnetz anschließen soll, geplant, bemerkt Katharina Specht. Diese Trasse durchschneide archäologisch interessantes Terrain.

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