Grasberg. Ihre Finger umschließen die Tasse mit frisch aufgebrühtem Kaffee. „Normal ist das mein Frühstück: Kaffee und Zeitung“, sagt Marion Schorfmann. Jetzt lehnt sie am Küchentresen und sinniert: „Kann das eigentlich schon so lange her sein?“ Vor fünf Jahren hatte sie Anfang Oktober eine Urkunde bekommen für ihre 25-jährige Mitgliedschaft in der CDU. Jetzt ist sie also 30 Jahre in der Politik. Nach Hannover oder Berlin hat es sie nie gezogen. Schorfmann schüttelt den Kopf. „Das ist mir zu weit weg von den Menschen.“ Die mag sie nun mal. „Ich will direkt wissen, was die Leute meinen“, sagt sie, folgte mit 18 Jahren dem Vorbild der Mutter und trat in die CDU ein. Neun Jahre später saß sie im Gemeinderat. Seit 2006 gestaltet sie Grasbergs Entwicklung als Bürgermeisterin mit, geprägt von der Pragmatik ihrer Großmutter, die bei Problemen sagte: „Nützt ja nix, es muss ja weiter gehen.“
Großmutter und Mutter prägten Marion Schorfmann. Die eine mit Pragmatik. Die andere mit politischem Engagement und beide Frauen damit, dass sie jeden Abend gemeinsam die Tagesschau guckten. So wuchs Schorfmann in Tüschendorf auf. Als Unternehmerin hat die Mutter „geschuftet ohne Ende“. Aber so war es wohl schon immer üblich in der vor mehr als 200 Jahren gegründeten Findorffsiedlung. Damals wie heute lebten die Menschen nach der Devise: „Bei uns im Moor musste man pragmatisch rangehen.“
Von „alten Männern“ viel gelernt
Das Kind Marion Schorfmann sah in den Nachrichtensendungen „alte Männer mit Ecken und Kanten“. Schmunzelnd erinnert sie: „Die haben 'ne Menge zu debattieren gehabt und waren nicht immer freundlich zueinander.“ Aber sie stritten um die Sache. Sie war 17 Jahre alt, als ihre Mutter in den Grasberger Gemeinderat gewählt wurde. „Von da an hatten wir immer Themen, die vor Ort aktuell waren.“ Meist diskutierten sie die am Abendbrottisch, und Schorfmann bemerkte für sich: „Das ist interessant, da bewegt sich was, da kann man was sagen.“ Durch die Mutter lernte sie Lokalpolitiker kennen, ohne Berührungsängste. „Das fand ich gut.“ Mit 18 Jahren entschied sie darum: „Da will ich dabei bleiben.“ Auch drei Jahrzehnte später braucht sie nur zwei Worte, um diesen Weg zu begründen: „Aus Überzeugung.“
Als sie jung war, stellte Marion Schorfmann Fragen. Heute gefällt ihr, wenn andere Fragen. Sie mag an jungen Leuten in der Politik: "Die gehen frei und unbedarft ran." Und sie werden gebraucht mit ihren anderen Perspektiven, etwa, als es bei der Diskussion um den Bebauungsplan Ortskern, Teilbereich Mühle ging und ein junger Abgeordneter sagte: "Denkt doch mal an uns. Ich kann keine 800 Euro Miete zahlen. Denkt doch mal an uns.“
Zwischen 18 und 27 Jahren beschränkte sich Marion Schorfmanns politischer Einsatz auf die „normale Arbeit“. Das ist für sie Plakate kleben, zu Veranstaltungen gehen, Menschen treffen, über Politik diskutieren und immer wieder fragen: „Warum ist das so?“ Dabei habe sie immer das Gefühl gehabt, vernünftige Antworten zu bekommen und nie abgetan zu werden.
1996 waren Ausbildung, Familie und Kinder in ihr Leben integriert. Marion Schorfmann übernahm Verantwortung im Gemeinderat und im Kreistag. Und egal, worüber diskutiert wurde, hinterher saß man zusammen noch in der Kneipe. „Man konnte sich immer in die Augen gucken.“ So, wie es einst im Fernsehen die „alten Männer“ getan hatten. Seinerzeit faszinierte sie im Gemeinderat der knapp 70-jährige Johann Warnken. Heute lacht sie über den „ziemlichen Spagat“ zwischen ihnen. Nicht nur rund 40 Altersjahre trennten sie. Beim Thema Kindergarten und wann Frauen wieder arbeiten gehen, vertraten sie „völlig unterschiedliche Auffassungen“. Beide nahmen sie kein Blatt vor den Mund. Aber nach der Sitzung saßen sie bei Cola und Jägermeister wieder zusammen, und er lehrte sie das Streiten ebenso wie das Sich-wieder-vertragen.
Marion Schorfmanns Blick wandert zum Fenster und von da nach innen. „Ja, wenn ich von etwas überzeugt bin, dann streite ich gerne um die Dinge.“ Sie sei ein emotional gesteuerter Mensch und auch nett, aber am Ende wolle sie die Themen auf den Punkt bringen. Dieses Anpacken hat sie von der Mutter gelernt. Die war 34 Jahre alt, als sie mit drei Kindern Witwe wurde. Marion Schorfmann lernte sie nie als Hausfrau kennen. Eher saß sie mit ihr auf dem Laster. „Das prägt einen ein Stück weit, wenn keiner da ist, der einem was abnimmt.“ Begleitet von ihrem hellen Lachen fügt sie hinzu: „Ich arbeite gerne.“ Dazu gehört für sie Hintergründe zu erklären, damit den Menschen deutlich werde: „Die machen sich wirklich Gedanken.“ Liebevoll weitet sie diesen Ansatz auf den gesamten Grasberger Gemeinderat aus und lobt alle Fraktionen: „Die arbeiten unheimlich gut und kriegen viel vom Tisch, weil sie alle gut vorbereitet sind.“ Mit diesem Maßstab misst sie auch die Verwaltung. Sitzungsvorlagen müssen für sie alle Informationen enthalten, denn ganz moorpragmatisch sagt sie: „Es nützt nichts, die Zeit mit ungelegten Eiern zu verbringen.“
An der Politik habe ihr immer gefallen, dass völlig unterschiedliche Menschen aufeinander treffen. Menschen, die nicht alles beklagen, sondern die bewegen wollen. „Ich mag, wenn Sachen in Bewegung sind“, sagt die Bürgermeisterin. Trotzdem weiß sie: Die nächste Generation lebt einen anderen Lebensalltag. „Ich würde mich sehr freuen, wenn junge Leute da sind, die sich trauen, ihre Meinung zu sagen und zuzuhören, warum andere andere Ansichten haben.“ Sie weiß: „Politik ist nicht das Bequemste". Aber sie weiß auch, dass die jungen Leute in Grasberg, ob in der Dorfjugend oder im Jugendparlament, viel bewegen.