Seit mehr als 40 Jahren überspannt die Dammbrücke in Sichtweite der Ritterhuder Schleuse die Hamme im Landkreis Osterholz. Sie ist 63 Meter lang, 13,5 Meter breit und sorgt für Probleme.
Seit wenigen Wochen steht fest: Dieses Bauwerk gehört zu den Spannbetonbrücken, deren stählernes Innenleben zu Korrosion und Rissen neigt. Sie muss ersetzt werden. Um ihre Lebensdauer zu verlängern, darf sie bis dahin nur von Fahrzeugen befahren werden, die weniger als 3,5 Tonnen wiegen.
Die Dammbrücke an der K 44 ist bundesweit kein Einzelfall. „Allein in Niedersachsen sind etwa 100 der 8000 Brückenbauwerke an Landes- und Bundesstraßen von dieser Problematik betroffen“, schätzt Harald Freystein von der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr in Hannover. Ein Spezialfall innerhalb des weit größeren Hauptproblems: die völlige Überlastung der Brücken. Dieses, so Freystein, treffe auf gut zwei Drittel aller Brücken in Niedersachsen zu. „In den 50er-Jahren konnte sich niemand vorstellen, wie schwer einmal die Fahrzeuge würden; hätte es ihnen jemand gesagt, wäre er in eine Zwangsjacke gesteckt und weggesperrt worden.“ Eine Dampfwalze mit
24 Tonnen war damals der Richtwert. Bis Anfang der 80er-Jahre wurde den Berechnungen noch ein Gewicht von 60 Tonnen plus etwas Flächenlast drumherum zugrunde gelegt. Selbst mit dem heute europaweit angesetzten Last-Modell, glauben die Experten nur weitere zehn bis 20 Jahre auf der sicheren Seite zu sein.
Nachrechnen der Tragfähigkeit
Die betroffenen Spannbetonbrücken der Kommunen und Landkreise sind in den von Freystein geschätzten 100 Sonderfällen unter Niedersachsens 8000 Brücken nicht enthalten. Im Landkreis Osterholz gehört nur die Dammbrücke zu ihnen – bei insgesamt 32 Brücken an Kreisstraßen, wie Richard Eckermann, Baudezernent beim Landkreis Osterholz, sagt. Eine Nachfrage beim Kreis Diepholz ergab, dass dort derzeit die Nachrechnung der Tragfähigkeit für die Brücke im Zuge der Kreisstraße 30 läuft. Sie führt in Diepholz-Aschen über die Hunte. Bei der Spannbetonbrücke über die Große Aue zwischen Varrel und Scharringhausen (K 20) werde sich das Thema erledigen, weil auch aus anderen Gründen dort ein Neubau anstehe, sagt Franz Vogel, Fachdienstleiter Umwelt und Straßen beim Kreis Diepholz. Andere Landkreise in der Region scheinen nicht betroffen zu sein: Weder im Landkreis Verden, noch im Kreis Rotenburg oder Cuxhaven gibt es entsprechende Bauwerke.
Das Problem, das bei Spannbetonbrücken wie der Dammbrücke auftritt, betrifft Bauten aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Bemerkt wurde der Fehler erstmals an einem Betonträger in einem Hallenbau. Das im Beton verbaute Spannglied aus Stahl versagte. Der Binder stürzte ab. „Zum Glück wurde niemand verletzt“, so Harald Freystein. Eine Überprüfung ergab, dass der Stahl überfestigt war. Freystein: „Beim Herstellungsprozess wurde des Guten zu viel getan.“ Der für die Spannglieder genutzte Stahl sei zu fest und dadurch spröde gewesen. „Diese Spannstähle neigen zu vorzeitiger Rissbildung“, erklärt der Leiter des Dezernats 31, Straßen und Seilbahnen. Anders als bei dem Binder, seien in den Spannbetonbrücken nicht nur ein, sondern mindestens acht bis zehn solcher Spannglieder verarbeitet. Reißt eins, stürzt nicht gleich die Brücke ein. Doch da der Stahl im Beton liegt, ist er von außen nicht sichtbar. Nur Risse weisen auf das Problem hin – und selbst die entstehen nicht immer. Visuelle Prüfverfahren reichen daher nicht aus. Neben einem Blick in die Bauunterlagen, denen die Experten die Art des verbauten Stahls entnehmen, bedienen sie sich deshalb der Mathematik. „Am Anfang steht immer eine Rechnung“, so Freystein.
Die Experten berechneten nicht nur, ob ein Bauwerk überlastet ist, sondern auch, ob es zu Korrosion- und Rissbildung neigt. Außerdem verrieten ihnen die Zahlen, wo die Risse entstehen, sagt Freystein. Auf diese Weise wüssten sie, wo sie nach ihnen bei einer Überprüfung suchen müssten. Und die Mathematik kann noch mehr: Mit ihrer Hilfe wird berechnet, ob eine Spannbetonbrücke überhaupt ihren Einsturz ankündigt – oder ob alle Spannglieder im Innern des Bauwerks reißen können, ohne dass sich Risse bilden. In diesem Fall würde die Brücke ohne Vorwarnung einstürzen.
Diese „bösartigen“ Brücken, wie Kreisdezernent Richard Eckermann sie nennt, werden nach Auswertung der Berechnung beprobt. Mit einem aufwendigen Verfahren wird aus dem Spannstahl im Beton eine Probe entnommen, um den aktuellen Zustand des Stahls zu ermitteln. Da dies nur eine Momentaufnahme sei, werde gleichzeitig das Verfahren zum Bau einer neuen Brücke als Ersatz für den „bösartigen“ Vorgänger angeschoben, so Harald Freystein von der Landesbehörde. Bisher sei in allen Fällen der beprobte Stahl in Ordnung gewesen. Er betont aber: „Diese Kisten muss man im Auge behalten.“ Und genau das mache die Landesbehörde, versichert er.
Die Dammbrücke in Ritterhude gehört indes zu den „gutartigen“ Spannbetonbrücken, wie Kreisdezernent Eckermann bemerkt. Und sie weist noch keine Risse auf. Aber nachdem sie rechnerisch als Problem-Fall erkannt wurde, werde sie nun alle eineinhalb Jahre – statt wie bisher alle drei Jahre – per Sonderprüfung kontrolliert, teilt Eckermann mit.
Gleichzeitig hat der Landkreis mit einer eine Tonnagereduzierung die Last von der Brücke genommen. So soll ihre Lebensdauer verlängert werden. Denn es sei nicht klar, wann die Neue gebaut wird. „Ich kann schließlich nicht sehenden Auges in den Abgrund fahren“, begründet er die Lasten-Reduzierung, die durchaus für Unmut und Probleme bei Verkehrsteilnehmern sorgt. Trotzdem: „So weiterzumachen, wie bisher, geschähe ausdrücklich gegen meinen Rat“, sagt Eckermann. Die Osterholzer Kreisverwaltung hat inzwischen einen Neubau beim Land Niedersachsen angemeldet und hofft auf Fördermittel. Denn die Gesamtkosten werden auf mehr als fünf Millionen Euro geschätzt.