Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Flüchtlingscafé Grasberg Mit einem Koffer und zwei Schultaschen in Sicherheit

Im Café International in der Grasberger Kirchengemeinde treffen sich Geflüchtete und Alltagshelfer. Bei Kaffee und Kuchen soll der Austausch gelingen.
23.04.2022, 10:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Mit einem Koffer und zwei Schultaschen in Sicherheit
Von Sandra Bischoff

Grasberg. Später Nachmittag, 16 Uhr. Langsam füllt sich der Gemeindesaal der evangelischen  Kirchengemeinde in Grasberg. Das Café International ist wieder geöffnet. Frauen und einige Kinder stehen erst zögerlich am Eingang, setzen sich dann an die gedeckten Tische. Lediglich ein Mann ist auch dabei. "Wie schön, dass ihr da seid!", begrüßt Diakonin Kerstin Tönjes jeden einzelnen Besucher herzlich, egal, ob aus der Ukraine geflüchtet oder alteingesessener Grasberger.

Das Café soll als Treffpunkt für die Geflüchteten dienen, um sich austauschen und Kontakte zu knüpfen, sagt die Diakonin. Aber auch, um mit den sogenannten Alltagshelfern ins Gespräch zu kommen, organisatorische Fragen zu klären und Hilfestellung bei den tagtäglichen Herausforderungen in der fremden Umgebung zu bekommen. Leise unterhalten sich die Besucher an den Tischen, Wörter auf Ukrainisch und Deutsch schwirren durch den Gemeindesaal.

Wichtigstes Hilfsmittel, wenn kein Dolmetscher zur Seite steht, ist die Übersetzungsapp des Smartphones, die die gesprochenen Worte in der jeweils anderen Sprache wieder ausspuckt. "Das klappt super, die App benutze ich auch regelmäßig", sagt Kerstin Tönjes, bevor sie die nächsten Gäste in Empfang nimmt. Auf den Tischen stehen mit Kaffee gefüllte Kannen, und zwei verschiedene Kuchensorten liegen auf jedem Teller. Eine Ukrainerin erklärt, welche Zutaten in den Backwaren stecken.

Mit dem Bus nach Polen

Auch Natalia Iskra sitzt mit ihrem 13 Jahre alten Sohn Svatoslav und ihrer sechsjährigen Tochter Sofia am Tisch. Die 37-Jährige lebt mit ihrer Familie in Winnyzja, eine Stadt mit rund 370.000 Einwohnern, die relativ zentral in der Ukraine liegt. Als der dortige Flughafen bombardiert wurde, flüchtete Natalia Iskra Mitte März mit ihren beiden Kindern in den Westen. Mit dem Bus ging es nach Polen, von dort aus weiter nach Berlin und dann nach Bremen, berichtet die Grundschullehrerin. Dass sie in Grasberg gelandet seien, war kein Zufall. "Eine Freundin von mir lebt hier, ich wollte hierher", sagt die zweifache Mutter.

Ihren Mann musste sie in der Ukraine zurücklassen, ebenso ihren Bruder. "Alle Männer von 18 bis 60 Jahren dürfen die Ukraine nicht verlassen", erklärt Svitlana Lachmund, die das Gespräch übersetzt. Nach wie vor habe Natalia Kontakt zu ihrem Mann in der Ukraine, der noch nicht zum Militär eingezogen worden sei. "Noch hat er Glück", sagt sie. Anders als ihr jüngerer Bruder, der seit einigen Woche in der Armee kämpft. Die Ukrainerin ringt um Worte, so sehr belastet sie das Schicksal und die Ungewissheit. "Als Natalia die Nachricht erhalten hat, dass ihr Bruder eingezogen wurde, hat sie sehr viel geweint", erinnert sich Svitlana Lachmund. Die gebürtige Ukrainerin lebt seit 15 Jahren in Grasberg. Der Krieg in ihrem Heimatland lässt auch ihr die Tränen in die Augen steigen. "Es ist so furchtbar, was dort passiert. Ich muss weinen, wenn ich daran denke", sagt sie leise. Sie versuche deshalb, ihren Landsleuten so gut es geht vor Ort zu helfen.

Besuch in der DRK-Kleiderkammer

Rund 60 Geflüchtete sind ihr zufolge zurzeit in Grasberg. "Die Unterstützung für die Menschen ist sehr gut, alle sind so hilfsbereit, und es ist alles sehr gut organisiert", sagt Svitlana Lachmund. Ihre Freundin Jana Maack-Segelken, die neben ihr sitzt, nickt zustimmend. Die Grasbergerin engagiert sich als Alltagshelferin für die Geflüchteten. "Es hat mich so getroffen, dass in Europa Krieg herrscht, ich wollte unbedingt helfen", sagt sie. Die ersten zweieinhalb Wochen haben Natalia Iskra und ihre beiden Kinder bei ihr und ihrer Familie gewohnt. "Wir haben sie so sehr ins Herz geschlossen, es sind so tolle, herzliche Menschen", sagt die Alltagshelferin.

Mittlerweile sind die Drei in eine kleine Einliegerwohnung in einem Haus eines älteren Ehepaares gezogen. Der Kontakt ist geblieben, und Jana Maack-Segelken unterstützt, wo sie kann. So war sie bereits mit einigen in der DRK-Kleiderkammer, wo sich die Geflüchteten einkleiden konnten, denn viele hätten auf der Flucht kaum etwas bei sich gehabt. "Natalia kam mit einem Koffer und den beiden Schultaschen für die Kinder", erinnert sich Jana Maack-Segelken.

"Wir wurden hier sehr gut aufgenommen, fast wie zu Hause", sagt Natalia Iskra, die bereits ein paar Brocken Deutsch spricht. Ihr Sohn und ihre Tochter gehen zurzeit noch nicht in Grasberg zur Schule, denn das Schuljahr in der Ukraine endet erst am 25. Mai. Bis dahin verfolgen sie den Unterricht online. Meistens. Denn wenn Sirenenalarm ausgelöst oder ihre Heimatstadt bombardiert wird und sich der Lehrer in Sicherheit bringen muss, endet die Schulstunde abrupt.

Ab Juni sollen Svatoslav und seine kleine Schwester den Unterricht in Grasberg besuchen. "Für die Kinder ist es sehr wichtig, das Schuljahr in der Ukraine abzuschließen", weiß Svitlana Lachmund aus Gesprächen. Denn die meisten der Geflüchteten sehen ihre Zukunft nicht in Grasberg oder anderswo in Deutschland, sondern in der Ukraine. "Wenn möglich, wollen sie alle so schnell es geht wieder zurück", sagt die Übersetzerin. "Sie alle warten auf eine Lösung."

Zur Sache

Café International

Das Café International ist jeden Donnerstag von 16 bis 17.30 Uhr im Gemeindehaus an der Speckmannstraße in Grasberg geöffnet. Ab Montag, 25. April, findet ab 15 Uhr ein Deutschkurs für die geflüchteten Erwachsenen im Dorfgemeinschaftshaus Tüschendorf statt. Ab Dienstag, 26. April, soll es einen Kurs in der Grundschule geben. Das Angebot richtet sich laut Diakonin Kerstin Tönjes in erster Linie an Erwachsene. Eine Kinderbetreuung gibt es nicht, die Mädchen und Jungen können ihr zufolge auf dem Schulhof spielen oder einfach mitlernen. 

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Einwilligung und Werberichtlinie

Das kompakte Nachrichten-Update für den Landkreis Osterholz und umzu. Lesen Sie Montag bis Freitag jeden Abend die wichtigsten Nachrichten aus Ihrer Region.

Schließen

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)