Das Schaufenster im Salon Timm versprüht in diesen Tagen Retro-Charme: Trockenhauben aus den 50er-Jahren, ein Handhaarschneider und ein uraltes Alpecin-Werbeplakat hat Inhaber Michael Timm hervorgeholt, um alle darauf einzustimmen, dass bei ihm ein seltenes Jubiläum ansteht: Der Friseur-Salon im Herzen von Lilienthal besteht seit 100 Jahren. Am 7. April wollen es die Timms aus diesem Anlass richtig krachen lassen und planen für Freunde, Kunden, Nachbarn und viele andere eine große Gartenparty mit Bühne und Live-Musik. "Ich rechne mit etwa 300 Gästen. Es wird ein Kommen und Gehen bei uns sein", sagt der Friseurmeister.
Der 7. April – ein Montag – ist mit bedacht gewählt: Denn genau an diesem Tag vor 100 Jahren eröffnete Hans Timm sein "Barbier- und Friseurgeschäft" in der Bahnhofstraße. Höflich bat er damals in einem Inserat in der WÜMME-ZEITUNG darum, dass die Lilienthaler sein junges Unternehmen unterstützen mögen. Der geborene Elmshorner hatte sich zuvor in Osterholz-Scharmbeck bei einem Friseur, mit dem seine Schwester leiert war, das Handwerk beibringen lassen. Als ihn Landwirt Dehlwes vom Feldhauser Orthhof bei einem Besuch fragte, ob er sich nicht als "Putzbüdel" in Lilienthal niederlassen wolle, ergriff der junge Mann die Chance. Mit einem Friseurstuhl vom alten Chef, Spiegel, Schere, Kamm und 50 Reichsmark in der Tasche ging es 1925 in der Bahnhofstraße los. "Tagsüber hat mein Opa im Geschäft gearbeitet, nachts hat er dort geschlafen", berichtet Michael Timm.
Der 61-Jährige kann die Geschichte des Salons aus dem Effeff erzählen, Fundstücke aus früheren Jahren, Zeitungsartikel oder Fotos vergangener Tage bewahrt er wie ein Schatz in einem schwarzen Koffer und einem dicken Album auf. Auch der Heimatverein Lilienthal hat sich schon dem Traditionsgeschäft gewidmet und in seinen Lilienblättern eine Chronik des Friseursalons veröffentlicht. Die wichtigsten Etappen: Frisch verheiratet, zog Gründer Hans Timm mit seiner Frau Adele 1928 an die Hauptstraße 33 – dort, wo sich heute der Pizza-Dienst befindet. 1938 kaufte er dann das Haus an der Hauptstraße 85, dem jetzigen Standort des Salons.

Der Friseur-Salon Timm in Lilienthal feiert sein 100-jähriges Bestehen. Das Bild zeigt den Gründer Hans Timm senior bei der Arbeit.
Die drei Kinder halfen schon früh im Salon mit: Tochter Wilma kümmerte sich um den Verkauf von Zigaretten, Alkohol, Putzmittel und Zahnpasta und anderen Dingen des täglichen Bedarfs, was damals zum Friseurgeschäft dazu gehörte – Supermärkte wie heute gab es damals noch nicht. Hans Timm junior wurde wie der Vater Friseur, machte seinen Meister und übernahm Anfang 1969 die Verantwortung für den Betrieb. Der Salon wurde erweitert. Anfang der 80er-Jahre lernte dann Sohn Michael Timm das Handwerk, machte fünf Jahre nach dem Abschluss ebenfalls seinen Meister, um schließlich am 1. Januar 1997 den elterlichen Betrieb zu übernehmen – an seiner Seite Ehefrau Silvia, die ebenfalls Friseurmeisterin ist. Mittlerweile steht die vierte Generation in den Startlöchern, um den Familienbetrieb mit seiner hundertjährigen Geschichte weiter zu führen: Tochter Alicia ist in die beruflichen Fußstapfen der Eltern gestiegen und will den Salon übernehmen. Michael Timm will noch eine Weile bleiben, um seine Tochter an die Aufgaben als kommende Chefin heranzuführen. "So war es bei uns immer: Der eine zieht sich langsam heraus, der andere wächst hinein", sagt er.
Wenn Michael Timm auf den 100-jährigen Geburtstag des Friseursalons blickt, erfüllt ihn das mit Stolz. Dass der Betrieb bis heute gut dastehe, sei als Ergebnis von beständigem Fleiß und viel Liebe zum Beruf. "Wenn man als Friseur arbeiten möchte, muss das von Herzen kommen", sagt der Inhaber. Auf die Wünsche der Kunden eingehen zu können, ihnen zuzuhören, sodass sie das Geschäft zufrieden wieder verlassen, sei ein täglicher Ansporn. "Was wir hier bieten, ist mehr als Haare waschen und schneiden. Es ist eine Art Wellness, die wir anbieten", ist der Chef überzeugt. Und zu diesem Wellnessprogramm gehört wohl auch, dass sich manche Kunden nicht scheuen, beim Friseurbesuch auszuschütten, was ihnen auf der Seele brennt. Michael Timm fasst es scherzhaft so zusammen: "Ich kenne mehr Krankheiten als so mancher Doktor", sagt der 61-Jährige.
Im Salon Timm gehört es quasi zur DNA, sich immer wieder auf andere Zeiten und Trends einzustellen. Aktuell beobachtet der Firmenchef, dass die Menschen allgemein im Schnitt weniger zum Friseur gehen: Viele junge Frauen würden es bevorzugen, die Haare lang wachsen zu lassen, bei den "jungen Burschen" seien kurze Schnitte mit dem Haartrimmer beliebt. Zugleich gebe es aber auch Kundinnen, die viel Wert auf ihre Frisur legen und dafür auch bereit seien, Geld auszugeben. Timm hält die Fahne jener Friseure hoch, die großen Wert auf die handwerkliche Qualifikation legen. Jahrelang hat er sich in der Handwerksinnung engagiert, auch dafür, dass der Nachwuchs fundiert ausgebildet wird. Im Mai will sich Timm aus der ehrenamtlichen Tätigkeit für die Innung nach 37 Jahren zurückziehen.

So sah der Friseur-Salon Timm an der Hauptstraße vor der Erweiterung aus.