Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Krankheit Zöliakie Wie der zehnjährige Lilienthaler Joshua ohne Gluten lebt

Der zehnjährige Joshua aus Lilienthal verträgt kein Gluten. Er hat die Krankheit Zöliakie. Was steckt dahinter, wie findet man das raus und wie sieht sein Alltag aus?
21.07.2025, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Irene Niehaus

Kurz nach der Einschulung ging es bei Joshua los. Er litt an Bauchschmerzen und lag morgens nach dem Anziehen nur noch auf dem Fußboden. "Ich fühlte mich ganz schlecht", erinnert sich der Zehnjährige. Hinzu kamen Durchfall, ständige Müdigkeit und immer häufiger auch Wutanfälle. Fiel ihm vielleicht der Wechsel vom Kindergarten zur Schule besonders schwer?, fragten sich seine Eltern. "Daran denkt man ja in so einer Situation als erstes", erzählt Joshuas Mutter Jule Kern. Parallel starb auch noch die Katze der Familie, was ihm sehr nahe ging. Doch auch das war nicht der Grund, warum es Joshua so schlecht ging. Erst Monate später sollte er die Diagnose erhalten: Zöliakie.

Heute muss der Lilienthaler streng glutenfrei leben. Das ist nicht immer einfach. Was für die Freunde normal ist, muss sich der Viertklässler oft verkneifen. Im Alltag lauern manche Fallen. Joshua und seine Mutter wissen, welche Einschränkungen mit der Krankheit mit dem seltsamen Namen verbunden sind. Sie möchten, dass sie bekannter wird. Deshalb berichten die beiden Lilienthaler gerne über ihre Erfahrungen. Jule Kern hat außerdem eine Selbsthilfegruppe gegründet.

Von den ersten Beschwerden nach dem Schulstart bis zur eindeutigen Diagnose dauerte es bei Joshua vier Monate. Weil die Schmerzen auch an den Wochenenden anhielten, machten sich Jule Kern und ihr Mann Matthias zunehmend Sorgen. "Wir hatten Angst, etwas zu übersehen", so Jule Kern. Ihre Mutter brachte sie schließlich auf die Idee, dass es sich vielleicht um eine Fruktose-Intoleranz handeln könnte. Ein Atemtest beim Kinderarzt bestätigte diese Vermutung. Joshua ließ den Zucker weg, es ging ihm tatsächlich besser, er hatte weniger Bauchschmerzen und weniger Durchfälle. Doch schlapp blieb er. "Er bekam auch schnell Wutanfälle und weinte viel", so Jule Kern.

Angst vor Leukämie

Da musste noch etwas anderes dahinter stecken, sagte sich Jule Kern und ging mit Joshua erneut zum Kinderarzt. Sie hatte Angst, dass es Leukämie sein könnte. Beim Kinderarzt fühlte sie sich allerdings nicht ernst genommen und musste auf einem Bluttest beharren. Gleich am nächsten Tag kam dann der Anruf aus der Praxis, Joshuas Blutwerte seien auffällig, ein sicheres Zeichen für Zöliakie. "Ich war erleichtert, dass es nichts Lebensbedrohliches war." Für eine eindeutige Diagnose brauchte Joshua weiterhin Glutenkontakt. Zwei Monate lang musste er für die Bluttests weiter glutenhaltige Lebensmittel essen. "Das war eine schlimme Zeit", erinnert sich seine Mutter.

Einfach ist das Leben mit der Krankheit nicht. Die ganze Familie musste sich umstellen. "Wir haben unsere Küche auf den Kopf gestellt, den Großteil der Lebensmittel verschenkt und alles gereinigt." Denn schon ein Krümel Brot kann für Joshua schädlich sein. Auch gibt es viele verarbeitete Produkte, bei denen man gar nicht denkt, dass sich darin Gluten verstecken könnte, zum Beispiel Schokolade und andere Süßigkeiten. Man müsse beim Einkauf Produkte also immer auf Glutenfreiheit prüfen, sagt Jule Kern. Es gebe zwar glutenfreie Alternativen, die speziell gekennzeichnet und damit sicher für Zöliakie-Betroffene sind. Aber die Auswahl könnte größer sein, wünscht sie sich.

In ihrem Fünf-Personen-Haushalt, in dem nur der Zehnjährige Zöliakie hat, achten alle Mitglieder penibel darauf, dass er nicht mit Glutenhaltigem in Berührung kommt. Es gilt: Oberflächen sauber halten und immer wieder die Hände zu waschen. Die Hauptmahlzeiten der ganzen Familie sind komplett glutenfrei, nur Brot und Brötchen vom Bäcker gibt es noch. Deshalb hat Joshua seine eigene Butter und sein eigenes Marmeladenglas, damit er nicht über das Besteck der anderen aus Versehen Weizen oder Dinkel zu sich nimmt. "Es war anfangs nervig, immer aufpassen zu müssen, aber daran gewöhnt man sich", erzählt Joshuas 13-jährige Schwester Carlotta.

Zwei Toaster und zwei Mixer

In dem gemischten Haushalt lagern Joshuas glutenfreie Produkte in seiner eigenen Schublade über den glutenhaltigen. Für seine Lebensmittel nutzt Joshua auch eindeutige Aufkleber. Brettchen und Löffel aus Holz findet man in dem Haushalt nicht, weil das Risiko, dass Gluten daran kleben bleibt, groß ist. Für den Ofen hat Joshua sein eigenes Backblech, im Haushalt gibt es außerdem zwei Toaster, zwei Handrührgeräte und zwei Waffeleisen. Wenn Joshua zu Geburtstagen eingeladen ist, gibt Jule Kern ihm glutenfreies Essen mit.

Als betroffene Mutter hat sie eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Anfangs waren es nur fünf Familien, die teilnahmen, inzwischen tauschen sich 21 Familien aus Lilienthal und Umgebung über die chronische Erkrankung aus. Sie geben sich gegenseitig Tipps und teilen ihre Erfahrungen mit den anderen. Den Kontakt halten sie über Whatsapp, hinzu kommen Treffen in Lilienthal. Wer sich der Gruppe anschließen möchte: Jule Kern ist per E-Mail an jule.kern85@gmail.com zu erreichen.

Zur Sache

Was ist Zöliakie?
Gluten - so heißt ein Eiweiß, das in Weizen, Dinkel, Gerste und Roggen steckt. Menschen mit Zöliakie kann es schon in kleinen Mengen große gesundheitliche Probleme bereiten. Denn nehmen Betroffene dieser Autoimmunerkrankung Gluten auf, kommt es zu einer Entzündungsreaktion, die unter anderem dafür sorgt, dass ihre Darmschleimhaut Nährstoffe nicht mehr richtig aufnehmen kann. Bauchweh, Durchfall, Muskelschmerzen, Abgeschlagenheit: Sie können auf eine Zöliakie hindeuten. Die Symptome sind vielfältig und können sich unspezifisch äußern. Steht die Diagnose, ist eine Umstellung auf glutenfreie Ernährung ein Muss - und zwar konsequent und dauerhaft. Regelmäßige Blutanalysen sind wichtig, weil sich nicht selten auch ein Mangel an lebenswichtigen Stoffen entwickelt hat. Laut der Zöliakie-Gesellschaft (DZG) ist davon auszugehen, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung betroffen ist. Hinzu komme noch eine hohe Dunkelziffer. Der Ausbruch der Erkrankung ist in jedem Lebensalter möglich. Im Kindesalter bleibt sie nach DZG-Einschätzung wegen manchmal schwacher Symptome jahrelang unentdeckt.

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Einwilligung und Werberichtlinie

Das kompakte Nachrichten-Update für den Landkreis Osterholz und umzu. Lesen Sie Montag bis Freitag jeden Abend die wichtigsten Nachrichten aus Ihrer Region.

Schließen

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)