Sie läuft noch immer. Aber es ist anders als früher. „Die Läufe sind langsamer, die Strecken dafür länger geworden“, sagt Kristin Behrens. Im Kreis Osterholz haben die Sportinteressierten sie ganz anders in Erinnerung: als Sprinterin, die regelrecht über die Hürden zu fliegen schien. Am besten über 400 Meter. Die heute 41-Jährige ist Rekordhalterin, ehemalige Kaderathletin des Deutschen Leichtathletikverbandes, Weltmeisterschafts-Teilnehmerin. Behrens, bekannt geworden als Kristin Ringel, hat dem Kreis ihren Stempel aufgedrückt. Ihre Laufbahn hat sie zwar beendet und auch Osterholz-Scharmbeck verlassen, dem Sport aber ist sie noch immer treu.
Der Bezug zum Kreis und zur Kreisstadt, er ist immer noch da. „Meine Eltern wohnen noch in Osterholz-Scharmbeck, und auch mit Reinhard Wagner habe ich noch Kontakt“, verrät die Schwerinerin Behrens, deren Schwester Stephanie ebenfalls einige Erfolge beim VSK beziehungsweise für die Startgemeinschaft Osterholzer Leichtathleten einfuhr. Wagner, nicht nur Trainer, sondern auch Chef der Kreis-Leichathleten, formte aus Behrens eine Spitzensportlerin. Den Weg zur Leichtathletik hatte das Talent schon zuvor gefunden, in ihrer alten Heimat Eisenhüttenstadt.
Die prägendste Zeit ihrer Laufbahn aber verbrachte Behrens in Osterholz-Scharmbeck, wo sie im Jahr 1993 in die Leichtathletik-Abteilung des VSK eintrat. Bereits im Folgejahr gewann sie Bronze bei den Deutschen Schülermeisterschaften. Zu dieser Zeit war längst klar: Sie ist ein Talent, eines der größten, das der Kreis in der jüngeren Vergangenheit hervorgebracht hat.

Beim VSK fühlte sich Kristin Behrens (2. von links) heimisch: Diese Aufnahme zeigt sie gemeinsam mit (v. l.) Julia Richter, Ilka Vormelker und Naomi Fritt nach den Hallen-Landesmeisterschaften 1995.
Besonders angetan hatten es Behrens die Hürden-Disziplinen. Sie liebte das hohe Tempo, „wie ein Hochgeschwindigkeitszug, der auf den ersten 200 Metern Fahrt aufnimmt“, aber auch die Technik und die Sprünge. Selbst die Momete nach 300 bis 350 Metern, „wenn der Hammer fällt und das Laktat in die Beine schießt“, haben ihr immer gefallen. „Die Auseinandersetzung zwischen Kopf und Körper habe ich immer als besondere Herausforderung empfunden. Da habe ich mich einfach abgeholt gefühlt“, sagt sie. Was andere er- und abschreckte, zog Behrens an. „Ich bin überzeugt davon, dass die Sportart, die wir wählen, Ausdruck der Persönlichkeit ist“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich bin zum Beispiel kein Ellbogentyp.“ Längere Läufe über 800 oder 1500 Meter seien deshalb nichts für sie. Statt eines engen Pulks mit Körperkontakt wollte sie ihre eigene Bahn haben und damit die Chance, ihr eigenes Rennen zu laufen.
In Osterholz-Scharmbeck fand sie das perfekte Umfeld vor, um sich zu entwickeln. „Ich hatte großartige Menschen um mich herum, eine tolle Trainingsgruppe und mit Reinhard Wagner einen exzellenten Trainer und Wegbegleiter, der mich mit viel Herz und Hingabe gefördert hat“, sagt Behrens. Wagner baute die Brücke zwischen den körperlichen und mentalen Herausforderungen des Leistungssports und dem Spaß an der Bewegung. Er verstand es, das Talent auch dann zu motivieren, wenn es hart war, wenn die Freude mal auf der Strecke zu bleiben drohte, wenn Tiefschläge kamen.
Aber diese Momente waren selten. Vor allem aber waren sie lehrreich. Ziele setzen und diese mit Nachdruck verfolgen, das sind Eigenschaften, die sie über das sportliche Leben hinaus mitgenommen hat. Sie sagt: „Ich finde keine Ruhe im Erhalt des Status quo. Ich habe immer den Drang, mich nach vorne zu bewegen.“ Dabei, auch das habe sie der Sport gelehrt, gehe sie strukturiert vor. Der nächste Schritt gelinge nur dann, wenn alle Abläufe aufeinander abgestimmt seien.
Das taten sie in Behrens' Laufbahn. Die Tür zur Spitze musste sie allerdings selbst aufstoßen. Bereits 1995 stieg sie in den D/C-Kader Langhürden des Deutschen Leichtathletikverbandes auf, ein Jahr später holte sie ihren ersten Deutschen Meistertitel über 300 Meter Hürden. 1998 folgte der zweite, dieses Mal über die 400-Meter-Distanz. „Die beiden Meisterschaften werden immer etwas Besonderes bleiben“, sagt Behrens und nennt einen weiteren Höhepunkt: die Weltmeisterschaft im französischen Annecy 1998, bei der sie es bis ins Halbfinale schaffte. Nur, wie die damals für die SG Emden-Harsweg in einem Team mit Vize-Europameisterin Silvia Rieger startende Athletin anfügt: „Ich hatte damals eine extrem gut Form, aber ich habe einen technischen Fehler gemacht, der mich ganz viel gekostet hat.“ Das habe sie viele Jahre lang beschäftigt, aber sie auch eines gelehrt: mutiger zu sein. „In Annecy war ich nicht mutig genug. Das hat mich mitgenommen, aber ich habe den Mut in vielen Rennen danach gezeigt.“ Dieser Rückschlag, wenn man davon bei einer WM-Teilnahme überhaupt sprechen kann, hat sie stärker gemacht.

Die Hürdendisziplinen hatten es Kristin Behrens besonders angetan.
Die Weltmeisterschaft fiel in eine Zeit der Veränderung: Behrens hatte gerade ihr Abitur geschafft. Hatte sie ursprünglich Pharmazeutin werden wollen, entschied sie sich doch für ein sportwissenschaftliches Studium in Halle an der Saale. So konnte sie Studium und Leistungssport miteinander verbinden. Vor Ort betreute sie Harald Werner, der damalige DLV-Trainer der 400-Meter-Frauen. Heute fußt Behrens' Berufsleben auf ihrem Studium: Sie ist Professorin an einer Berufsakademie und dort für die Gesundheitsfachberufe zuständig. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit der Sportentwicklung und der Frage, wie Verbände und Vereine sich den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen können. Der Sport spielt also noch immer eine große Rolle im Leben der zweifachen Mutter.
Seit 2017 ist sie zudem Präsidentin des Leichtathletikverbandes Mecklenburg-Vorpommern (LVMV). „Ich habe also einfach die Seite gewechselt“, sagt sie. Von der Sportlerin zur Funktionärin. 2013 war sie zur Vizepräsidentin Breitensport gewählt worden. Weil ihr Vorgänger Andreas Bluhm den Verband in Richtung des Landessportbundes verlassen hatte, leitete sie die Geschicke des LVMV zunächst kommissarisch, ehe sie endgültig in den Chefsessel gehoben wurde. Sie war nach Rita Girschikofsky (Niedersachsen) und Anja Wolf-Blanke (Hessen) die bundesweit dritte Frau an der Spitze eines Leichtathletik-Landesverbandes. Und mit 37 Jahren eine der Jüngsten überhaupt in einer Führungsrolle im Sport. Mittlerweile steht fest, dass sie weitere vier Jahre an der Spitze des LVMV bleiben wird.
Von der Tartanbahn selbst hat sich Behrens bereits in ihren Zwanzigern etwas entfernt. „Während meiner Promotion hat sich der Fokus verändert“, erklärt sie. Die Hürden standen nicht mehr im Mittelpunkt. Mit 26 Jahren beendete sie 2005 ihre Laufbahn. Unter dem Strich standen etliche Titel auch auf Landes- und norddeutscher Ebene, Rekorde, aber vor allem „tolle Menschen, die ich kennenlernen, und tolle Momente, die ich erleben durfte“. Der Schlussstrich sei ihr nicht schwergefallen. „Es war für mich der richtige Moment. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasst hatte, sondern dass ich aus meinen Möglichkeiten alles gemacht habe, was ging“, sagt sie. „Man muss ehrlich sein: Ich hatte Talent, aber nicht das Überfliegertalent, um die höchste Spitze zu erreichen. Dazu braucht man auch körperliche Robustheit. Die habe ich nicht mitgebracht“, stellt sie mit Blick auf ihre Verletzungshistorie fest.

Auf der großen Bühne durfte sich Kristin Behrens einige Male zeigen. So auch im Jahr 2003 bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig.
Der Rücken streikte bereits vor der Weltmeisterschaft in Frankreich, die Probleme kehrten hartnäckig zurück. Ihretwegen verabschiedete sie sich von den 400 Meter Hürden und wechselte auf die kürzeren 100 Meter. Auch in dieser Disziplin stellte sie einen Kreisrekord auf. Zu dieser Zeit hatte sie den Traum von der großen Karriere bereits aufgegeben. „Anfang 20 war relativ schnell klar, dass es für das absolute Top-Niveau nicht reichen wird“, ordnet Behrens ein. Es gab Bessere - wenn auch nicht viele.
Als Makel empfindet sie das nicht. Im Gegenteil: Behrens denkt gern an ihre Laufbahn zurück. Auch bei der einen oder anderen längeren Laufrunde. „Wir haben ein wunderbares, wildes Waldgebiet. Da kracht durchaus mal ein Baum um, der dann im Weg liegt. Da kann ich die alte Hürdentechnik nochmal auspacken“, sagt sie und lacht. Sie hat also nichts verlernt.
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Sorge um die Talente der Zukunft
Es ist sicherlich nicht die leichteste Zeit, um Präsidentin eines Sportverbandes zu sein. Das gilt für die Leichtathletik, aber auch für die anderen Sportarten. Ihrem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern bescheinigt Kristin Behrens allerdings, gut durch die Krise zu kommen. „Wir haben momentan eine sehr stabile Struktur mit sehr viel Bindungskraft. Deshalb bin ich sehr optimistisch, dass wir uns gut durch diese Zeit manövrieren“, sagt sie. Sprich: Die Leichtathleten bleiben ihren Klubs treu. Rund 6000 Sportler sind es in etwa 85 Vereinen.
Vor allem die Klubs kämen besser durch die Pandemie, „denen es gelungen ist, trotz der Distanz in Kontakt mit ihren Mitgliedern zu bleiben“. Es gehe darum, greifbar zu bleiben. Die Vereine Mecklenburg-Vorpommerns seien in dieser Hinsicht sehr kreativ und deshalb gut aufgestellt.
Sorgen macht sich Behrens dennoch. Um diejenigen Sportler nämlich, die die Leichtathletik momentan nicht für sich gewinnen und schon gar nicht fördern kann. „Uns gehen im Bereich des Nachwuchs-Leistungssport viele Talente durch die Lappen. Wir finden keine Talente, weil wir sie nicht in den Schulen oder in Wettbewerben sehen.“ Ein Problem, das nicht nur die Leichtathletik betreffe: „Das werden wir im gesamten Sport erleben.“