Osterholz-Scharmbeck. Dass es das „Spiel seines Lebens“ werden würde, kristallisierte sich erst sehr spät heraus. Weil: Torwart Florian Leschnik war bis kurz vor Anpfiff gar nicht klar, dass er im Bezirkspokalfinale überhaupt eingesetzt werden würde. „Ich hatte mich mit dem Spiel vorher überhaupt nicht beschäftigt“, erzählt der heute 44-Jährige. Gut zwei Stunden später an jenem Dienstagabend im Mai des Jahres 2004 war er der Held des Spiels. Der Held des VSK Osterholz-Scharmbeck, der mit 4:3 gewann.
Leschnik, damals 28 Jahre alt, hatte nach dem 1:1 nach regulärer Spielzeit drei der fünf Versuche des TSV Neuenkirchen im Elfmeterschießen pariert. Und damit den Gästen im Stadion am Klosterholz einen Albtraum mit Spätfolgen beschert, wovon noch die Rede sein wird. Die Gäste standen als Meister der Niedersachsenliga Ost fest, der VSK lag knapp dahinter auf Platz zwei. „Aber“, schränkt Leschnik ein, „Neuenkirchen war mit voller Kapelle angereist und von seinen Einzelspielern her wie Milakovic oder Morgenstern viel stärker besetzt.“

Pokal, wem Pokal gebührt: Florian Leschnik mit dem glänzenden Henkelmann nach dem gewonnenen Bezirksfinale.
Und wie war das jetzt mit der Aufstellung durch Trainer Günter Hermann in der Besprechung kurz vor Spielbeginn? „Günter hat die Aufstellung nach und nach an die Wand gepinselt“, erinnert sich Leschnik, „erst die Feldspieler mit der Abwehr zuletzt.“ Die Einser-Position war gar nicht erwähnt worden, sodass einer in der Kabine fragte: „Und wer steht im Tor?“ – „Leschi natürlich“, soll Hermann gesagt haben. Das überraschte den Betreffenden: „Ich hatte gedacht, dass Dennis Budach ins Tor geht. Es gab damals so ein Gentleman’s Agreement für Pokal- und Punktspiele. Ich weiß es nicht mehr ganz genau. Aber vielleicht war Dennis beruflich verhindert.“
Allgemein habe Günter Hermanns Aufstellung überrascht, zum Beispiel mit Nils Larionovs im linken Mittelfeld, wo das doch eigentlich einer für die Abwehr gewesen sei. Es hätten einige Youngster in der Startelf (Leschnik: „Eine 1b-Elf“) gestanden, dafür seien Stammkräfte wie Mutalip Bucuka oder Frank Ordenewitz geschont worden. Letzterer habe ihm, Leschnik, dann noch einen Tipp gegeben: „Tja, Langer, dann kauf dir mal schnell noch ein zweites Paar Handschuhe. Du musst halt zwei mehr halten als sonst.“
Sooo viel mehr zu halten gab es für den 1,99-Meter-Mann aber gar nicht: „Das Spiel war ganz okay. Aber wir haben es defensiv überragend gemacht. Eben als Team.“ Und ausgerechnet Larionovs brachte die Gastgeber in Führung. Schon in der sechsten Spielminute. Leschnik sah die Aktion so: „Eine Bogenlampe aus 80 Metern. Okay, ich übertreibe ein wenig. Aber Björn Müller im Neuenkirchener Tor hatte den Ball jedenfalls unterschätzt.“
Ausgerechnet Björn Müller, auch eine Kante von Mann und ein Jahr später die neue Nummer 1 im VSK-Tor (er kam vom SC Weyhe). Gleichzeitig war Leschnik zum SV Blau-Weiß Bornreihe gewechselt. Aber zurück zum Pokalspiel. Die VSK-Führung hatte nicht allzu lange Bestand. Gleich in der ersten Minute nach Wiederanpfiff erzielte Olaf Klamm den 1:1-Ausgleich für den TSV Neuenkirchen aus spitzem Winkel. „Dann ging’s bei uns ein wenig durcheinander“, so Leschnik, „gleich danach konnte ich einen Schuss parieren und einer flog knapp über die Latte.“
Der Teamgeist habe aus dem VSK einen verschworenen Haufen gemacht, erzählt der Keeper und liefert das Motto gleich hinter: „Anschnallen, Gang rein, Gas geben.“ Ein weiterer Treffer war dem VSK zwar nicht vergönnt. In der eigenen Hälfte blieben die Gastgeber aber auch fehlerfrei. 1:1 also der Stand noch 90 Minuten - Elfmeterschießen! Hatte Leschnik das überhaupt geübt? – „Ach was.“ Dabei hatten die Grün-Weißen seinerzeit mit Wolle Stöhr und Eddi Meier zwei ausgesprochen fähige Co-Trainer dafür.

Der Spielbericht in dieser Zeitung in der Ausgabe vom 27. Mai 2004.
„Wir haben überhaupt nicht auf das Pokalfinale hin trainiert.“ Zwei Tage zuvor hatte der VSK nämlich sein letztes Punktspiel absolviert, ein 5:2-Erfolg beim SC Goslar 08. Und nur vier Tage später musste der VSK schon wieder fit sein. „Der Pokal interessiert mich überhaupt nicht. Kein Stück“, zitierte diese Zeitung damals Trainer Hermann. Nein, der Ex-Profi und -Nationalspieler war in Gedanken längst bei der Relegationsrunde zur Oberliga mit drei Partien. Deshalb die Schon-Aufstellung im Pokalfinale.
Das war am Pokalabend längst auch Leschnik & Co. klar geworden. Das Finale wollten sie natürlich dennoch gewinnen. Im Elfmeterschießen trat als Erster der zur Pause eingewechselte Peer Jakel an – und verschoss. Neuenkirchens Barudi trat als Nächster an den Punkt – und Leschnik hielt. So wie später auch bei Milakovic und Morgenstern. Nur Akgül und Seega bezwangen den VSK-Tormann, während für seine Farben Nowotny, Krohn und Gonzales erfolgreich waren. Kapitän Axel Wilckens indes traf nicht. Aber egal.
Der Mannschaftsführer nahm als Erster den Pott entgegen, der kurz darauf bei Leschnik landete, dem gefeierten Pokalhelden. Der erklärte seine überragenden Reaktionen mit einem Schmunzeln so: „Das war nicht nur Glück. Ich habe mir mein Gegenüber genau ausgeguckt, bin dann pantherartig zur Seite gehechtet. Als Torwart kannst du nur gewinnen.“ Und wie war das mit dem Feiern hinterher? In der Stadionkneipe fand eine von vielen legendären Partys statt. Eine der heftigsten. Und Leschnik stellte – zwar unter Kopfschmerzen, aber doch erleichtert – fest, dass er noch „alle Klamotten an hatte“.
Alle VSK-Akteure waren vier Tage später übrigens wieder fit für das dann beginnende Relegationsspiel. Da schlugen sie den FC Schüttorf, den Zweiten der Niedersachsenliga West, mit 3:2 und waren somit qualifiziert für die Oberliga-Aufstiegsrunde. Dort bezwangen sie erneut den TSV Neuenkirchen mit 2:0 und den Buxtehuder SV mit 5:2. An den Amateuren des VfB Lübeck aber kamen sie nicht vorbei, 0:4 lautete das klare Ergebnis. Nach einer „überragenden Saison“ räumte Leschnik damals ein: „Gegen die Lübecker war nicht mehr drin. Wir waren auch in allen Bereichen unterlegen.“ Auch im nicht sonderlich attraktiven NFV-Pokal (von den Gegnern her) kassierte der VSK übrigens schon in der ersten Runde eine ziemliche Klatsche: Am Abend des 4. August setzte es ein 0:5 gegen den Oberligisten SV Wilhelmshaven.

Florian Leschnik
Florian Leschnik (44)
Stationen als Spieler: Bei der SG Aumund-Vegesack verbrachte Florian Leschnik seine Juniorenjahre. Er spielte im Herrenteam des Bremer Verbandsligisten, ehe er im Sommer 2005 zur SG Oslebshausen wechselte. Zwei Jahre später schloss er sich dem VSK Osterholz-Scharmbeck an, um im Sommer 2005 zum SV Blau-Weiß Bornreihe zu wechseln, wo er im November 2008 kurzzeitig nach dem Rücktritt von Andreas Rüter im Trainer-Triumvirat mit seinen Mitspielern Jan Meyerdierks und Marcel Baake erste Coaching-Erfahrungen sammelte (bis Sommer 2010). Ab Sommer 2011 stand er für eine Saison beim MTV Bokel zwischen den Pfosten. Zwischenzeitlich hütete Leschnik für die Ü32 des SV Komet Pennigbüttel das Tor.
Stationen als Trainer: Im Sommer 2010 führte ihn sein Weg zum Brinkumer SV, wo er zunächst als Co.- und Torwarttrainer arbeitete, um im Herbst als Alleinverantwortlicher den Bremen-Ligisten zu trainieren. Beim FC Oberneuland war er als rechte Hand von Peter Moussalli Co-Trainer in der Saison 2012/13. Zur Saison 2013/2014 übernahm Florian Leschnik den damaligen Bezirksliga-Spitzenreiter FC Hagen/Uthlede, mit dem er eine Saison in der Landesliga spielte. Leschnik arbeitet als Kaufmännischer und Standortleiter für den französischen Automobilhersteller PSA (Citroën, Peugeot) in Lokstedt. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Scharmbeckstotel.
Der bejubelte Aufstieg oder ein tränenreicher Abstieg. Ein unvergessener Sieg, oder die bittere Niederlage in letzter Sekunde. In unserer Serie „Spiel meines Lebens“ erinnern sich Sportlerinnen und Sportler an den größten Moment ihrer Laufbahn – ganz egal, ob positiv oder negativ.
Weitere Informationen
Bezirkspokal-Finale am 25. Mai 2004
VSK Osterholz-Scharmbeck – TSV Neuenkirchen nach Elfmeterschießen 4:3 (1:1)
VSK Osterholz-Scharmbeck: Leschnik; Nowotny, Parnitzke (61. Krohn), Torben Meyer, Schitz (46. Jaekel), Wilckens, Gonzales, Larionovs, Dennis Meyer, Stefan Meyer (67. Grube), Taube
TSV Neuenkirchen: Müller; Barudi, Basei, Seega, Schmidt, Klamm (75. Sieben, 85. Prüfer), Radevic, Kucevic (70. Akgül), Milakovic, Jagla, Morgenstern
Tore: 1:0 Larionovs (6.), 1:1 Klamm (46.)
Elfmeterschießen: Jaekel verschießt, Barudi verschießt, 2:1 Nowotny, 2:2 Seega, 3:2 Krohn, 3:3 Akgül, Wilckens verschießt, Milakovic verschießt, 4:3 Gonzales, Morgenstern verschießt
Schiedsrichter: Thomas Rosin (Oberbullenhausen)
Zuschauer: 500
Oberliga-Aufstiegsrunde, Gruppe A
VSK Osterholz-Scharmbeck - TSV Neuenkirchen 2:0, VSK Osterholz-Scharmbeck - Buxtehuder SV 5:1, VfB Lübeck (A) - VSK Osterholz-Scharmbeck 4:0
1. VfB Lübeck (A) 7:0 Tore, 9 Punkte; 2. VSK Osterholz-Scharmbeck 7:5, 6; 3. TSV Neuenkirchen 3:6, 1; 4. Buxtehuder SV 4:10, 1
Oberliga-Aufstiegsrunde, Gruppe B
1. SV Barmbek-Uhlenhorst 7:2, 9; 2. VfL Osnabrück (A) 3:3, 4; 3. SV Henstedt/Rhen 4:6, 3; 4. FC Bremerhaven 1:4, 1
Oberliga-Aufsteiger: VfB Lübeck (A) und SV Barmbek-Uhlenhorst