Osterholz-Scharmbeck. Wenn man Marcus Meckes nach seinem persönlichen Spiel des Lebens fragt, dann muss selbst der sonst um keine Antwort verlegene Kreisstädter eine ganze Weile grübeln. Was keine Überraschung ist, bei der schier endlosen und erfolgreichen Laufbahn des langjährigen Cheftrainers der Ritterhude Badgers, der wohl wie kein Zweiter den American Football im und um den Landkreis Osterholz geprägt hat.
Schon vor 30 Jahren, als der knallharte US-Sport in Deutschland längst nicht so populär war wie heutzutage, startete Meckes seine Karriere bei den Bremen Buccaneers – bereits Mitte der 1990er begann er nebenbei auch als Trainer zu arbeiten. „In der ganzen Zeit waren wirklich viele Spiele dabei, bei denen man sich denkt: Wow, das war schon was“, erzählt Meckes. In der Tat hat der aktuelle Coach der Oldenburg Knights viele unglaubliche Momente erlebt, er kann Dutzende spannende Geschichten aus drei Jahrzehnten American Football erzählen: Punktspiele vor fast 5000 Zuschauern, eine Halbzeitshow im ausverkauften Weserstadion oder der Zweitligaaufstieg mit den Badgers im Jahr 2015. Und trotz aller Erfolge ist es ein Jugendspiel aus dem Jahr 1998, welches seine persönliche Bestenliste weiterhin anführt: Das Spiel um die Norddeutsche Flag-Meisterschaft gegen die Hamburg Blue Devils.
Zu diesem Zeitpunkt steckte der Ritterhuder Football noch in den Kinderschuhen, die Nachwuchsabteilung war erst ein Jahr zuvor ins Leben gerufen worden. Zwar waren die ersten Monate bereits sehr erfolgreich und die „Dachse“ durften sogar als deutscher Vertreter bei der Europameisterschaft starten, dennoch gingen sie als krasser Außenseiter in die Partie gegen den Hamburger Traditionsverein. „Es war schon wirklich eine Überraschung, dass wir in das Finale gekommen sind, aber spätestens da waren die Rollen ganz klar verteilt. Auf der einen Seite die Blue Devils, ein super Team, das gefühlt seit 35 Millionen Jahren ungeschlagen war, auf der anderen Seite die Ritterhuder Bauerntruppe“, erinnert sich der 51-Jährige schmunzelnd an die damalige Vorberichterstattung.
So fuhren die Hammestädter an einem trockenen Oktobermorgen ohne große Hoffnungen nach Braunschweig, wo im weitläufigen Fußballstadion der Eintracht das Finale steigen sollte. Auch vor Ort sollte sich die Ausgangslage zunächst einmal nicht bessern – ganz im Gegenteil: Denn die Kulisse von über 500 Fans war nicht nur äußerst beeindruckend, sie stand auch wie eine Wand hinter dem Favoriten aus der Hansestadt. „Hamburg hatte ohnehin viele Anhänger, die mit uns konkurrierenden Braunschweiger wollten lieber einen weiteren Titel der Devils, als einen Erfolg des frechen Emporkömmlings“, so Meckes. Und auch mit Blick auf das Spielfeld schienen die Rollen klar verteilt.
Während die Badgers gerade einmal mit 21 Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und 15 Jahren anreisten, stand den „Blauen Teufeln“ die Maximalanzahl von 50 Spielern zur Verfügung. Weitere 30 Akteure tummelten sich in der Coaching-Zone, sodass sich der Meckes-Truppe ein eindrucksvolles Bild bot. „Das war schon wirklich krass, unsere mitgereisten Eltern sahen da wenig Chancen. Und auch die Hamburger mit ihrem amerikanischen Trainer gaben sich vor dem Kick-off sehr siegessicher“, schildert der Osterholz-Scharmbecker die damaligen Rahmenbedingungen.

2015 führte Meckes die Ritterhude Badgers sogar in die GFL2.
Einschüchtern ließ sich der Underdog davon aber nicht, was auch am speziellen Charakter der Mannschaft lag. „Das war eine ganz besondere Truppe. Alle Spieler waren extrem lernwillig, jeder hatte richtig Bock auf Football. Selbst in der Schule haben die Jungs in den Pausen gemeinsam Spielzüge gepaukt“, denkt Meckes gerne an den verschworenen Haufen zurück. Statt sich im Endspiel dem scheinbar übermächtigen Kontrahenten zu ergeben, zogen die Hammestädter so Motivation aus der Situation und füllten das von Meckes vorgelebte Credo „Mehr sein als Schein“ von Beginn an mit Leben.
Gerade die Defensive um den überragenden Führungsspieler und Mannschaftskapitän Benjamin Fischer zeigte sich in absoluter Höchstform. Gemeinsam mit seinen Teamkollegen räumte der spätere GFL-Spieler Fischer dabei als Linebacker ordentlich auf. Versuchten die Hamburger einen Pass, war oftmals Safety Dennis Schlegelmilch auf der Hut und unterband die Angriffsbemühungen prompt. Doch auch in der Offensive agierten die Ritterhuder mutig. Der pfeilschnelle Runningback Vincent Kanbach – der später zum Final-MVP gewählt werden sollte – riss immer wieder Löcher in den Hamburger Abwehrverbund, Quarterback Tobias Jörissen verteilte zudem clever den Ball. Kurz vor der Pause wurden die Bemühungen dann tatsächlich belohnt. Meckes, der damals noch komplett ohne Assistenztrainer auskommen musste, sagte einen Trickspielzug an – der stark aufspielende Tight End Nils Zander trug das Leder in die Endzone. Da Fischer den anschließenden PAT verwandelte ging es mit einer überraschenden 7:0-Führung in die Kabine. Dort war der Respekt vor den Gegnern zwar weiterhin groß, mittlerweile war der Glaube an die Sensation aber förmlich zu greifen.
In der zweiten Hälfte bliebt die Partie eng, mit zunehmender Spieldauer stieg die Intensität immer weiter an. Es ging hin und her, beide Teams schenkten sich in einem immer hitziger werdenden Duell keinen Meter. Allerdings schwanden bei den „Dachsen“, bei denen etliche Spieler auf beiden Seiten des Balles auflaufen mussten, merklich die Kräfte. Der Druck der Blue Devils wurde immer größer, durch einen Touchdown und zwei Field Goals drehte der Titelaspirant das Spiel – kurz vor Schluss führte Hamburg mit 12:7. Was dann passierte, könnte auch aus dem Drehbuch eines Hollywoodstreifens stammen.
Mit letzter Kraft kämpften sich die Ritterhuder noch einmal quer über das Spielfeld, allerdings blieben nur noch fünf Sekunden auf der Uhr. Showdown um den Meistertitel, ein Spielzug entscheidet über Sieg oder Niederlage. Mehr Druck geht wohl nicht – doch einer blieb ganz ruhig: Marcus Meckes. Statt sich von der Atmosphäre anstecken zu lassen, vertraute er seinem Matchplan und entschied sich für einen schnellen Pass durch die Mitte. „Diesen Spielzug haben wir in solchen Situationen immer gespielt. Jeder im Stadion wusste, was kommt. Wir haben es trotzdem gemacht“, erinnert sich Meckes.
Spielmacher Jörissen fand Zander, der tankte sich mit auslaufender Uhr zum Touchdown durch und sorgte für den umjubelten 13:12-Endstand. Und die Meisterschaft der Ritterhude Badgers. „Es war ein unglaubliches Gefühl, wirklich realisieren konnten wir das alles aber noch gar nicht. Erst als wir ein paar Wochen später ausgelassen unsere Saisonabschlussfeier zelebrierten, konnten wir begreifen, was wir da erreicht haben. Dann kam der Stolz auf diese unglaubliche Leistung“, strahlt Meckes, während er auf das Spiel seines Lebens zurückschaut.
Wenn er manchmal an dieses legendäre Duell aus dem Jahr 1998 denkt, dann kann er das übrigens gemeinsam mit seinem Offensivkoordinator in Oldenburg tun. Denn Robert Schulz, der in der vorletzten Saison als Ritterhuder Headcoach agierte, war vor über 20 Jahren als Spieler selber mit dabei. „Es ist schön, dass so etwas aus der Zeit damals entstanden ist und immer noch Kontakte bestehen“, freut sich Meckes. Möglicherweise kommen die beiden dann auch auf ihre zweite gemeinsame EM-Teilnahme zu sprechen, die sie als Belohnung für die Norddeutsche Meisterschaft erlebten. Das ist aber eine andere Geschichte.
Marcus Meckes (51)
ist wohl das Gesicht des American Footballs im Landkreis Osterholz. Nachdem er einige Sportarten ausprobiert hatte, fand er bereits 1990 seine Liebe zum US-Sport und begann als Wide Receiver bei den Bremen Buccaneers. Ab 1994 begann auch seine Trainerlaufbahn. Weil sich die Struktur beim Bremer Verein änderte und Meckes die Perspektive fehlte, wechselte er zu den neugegründeten Ritterhude Badgers. 1997 war er dabei nicht nur der erste Trainer, der eine Mannschaft aus dem Landkreis Osterholz in einem Football-Punktspiel coachte, sondern auch Vorsitzender des Vereins. Im Herren- und Jugendbereich feierte er in der Folgezeit große Erfolge, unter anderem gewann er als Headcoach der Nationalmannschaft im Flagfootball zwischen 1998 und 2005 vier Medaillen bei internationalen Meisterschaften. Nach einer Station bei den Weyhe Vikings kehrte er 2011 als Jugendtrainer zu den Badgers zurück, erst vier Jahre später beendete er mit 46 Jahren seine Karriere als aktiver Spieler. 2015 wurde er erneut Cheftrainer der Ritterhuder Herrenmannschaft und feierte umgehend seinen wohl größten Erfolg: Den Aufstieg in die 2. Bundesliga. 2017 übernahm er dann als Offensivcoach bei den Oldenburg Knights, stieg aber schon 2018 zum Headcoach auf und führte das Team sofort zur Regionalligameisterschaft.
Weitere Informationen
Der bejubelte Aufstieg oder ein tränenreicher Abstieg. Ein unvergessener Sieg, oder die bittere Niederlage in letzter Sekunde. In unserer neuen Serie „Spiel meines Lebens“ erinnern sich Sportlerinnen und Sportler an den größten Moment ihrer Laufbahn – ganz egal, ob positiv oder negativ.