Osterholz-Scharmbeck. „Fortüne“, sagt der frühere Oberkreisdirektor Hans-Dieter von Friedrichs. „Fortüne hatte ich wohl.“ Mit dem bildungssprachlichen Lehnwort aus dem Französischen bilanziert der ehemalige Osterholzer Verwaltungschef seine bemerkenswerte berufliche Laufbahn. Bis heute hält von Friedrichs einen besonderen Rekord: 1974 übernahm er sein Amt als jüngster OKD Niedersachsens, Anfang 2005 übergab er es als dienstältester. Fortüne als Merkmal einer fast 31-jährigen Dienstzeit, in der er stets „gestalten und nicht nur verwalten“ wollte.
Der studierte Jurist, der an diesem Freitag 80 Jahre alt wurde, erinnert mit dem Begriff nicht zufällig an Friedrich, den Großen. Der Alte Fritz soll gesagt haben: „Ich brauche Generäle, die nicht nur tüchtig sind, sondern auch Fortüne haben.“ Das bedeutet Tatkraft, Urteilsvermögen, Glück des Tüchtigen. Manches, setzt der Pensionär im Unruhestand hinzu, sei auch schierer Zufall gewesen. Vielleicht nicht Dusel, aber doch irgendwie beinahe Schicksal.
Ein militärischer Zug mag von Friedrichs dabei in die Wiege gelegt worden sein: Die Vorfahren väterlicherseits waren fast ausnahmslos Offiziere; im Wohnzimmer hängen zwei gemalte Porträts an der Wand, daneben eine Urkunde, die bezeugt, dass die Adelsfamilie von Friedrichs im 17. Jahrhundert der schwedischen Krone diente. Nach dem Wiener Kongress blieb die Linie der Vorväter dann im heutigen Mecklenburg-Vorpommern und wurde preußisch.
Der Verlust des Vaters im Zweiten Weltkrieg, der von italienischen Partisanen getötet wurde, verlieh einer womöglich vorgezeichneten Bahn eine andere Wendung. „Ich war damals viereinhalb Jahre alt und plötzlich Sohn einer Kriegerwitwe“, erinnert sich von Friedrichs. Unvergesslich sei ihm eine Szene im ausgebombten Hildesheim, kurz vor Kriegsende, als ihn die Mutter davor bewahrte, in einen Eimer Phosphor vor der Haustür zu tappen. Es hätte schlimmste Verbrennungen bedeutet.
Aus Überzeugung Sozialdemokrat
Der kleine Hans-Dieter kam mit seiner Mutter und seinem wenige Monate alten Bruder bei einer Tante und deren Freundin unter. Sein Bruder, inzwischen verstorben, wurde später Pastor. Er als der Ältere war derjenige, der früh Verantwortung übernehmen musste. „Es waren sehr beengte, bescheidene Verhältnisse; ein Klo für drei Familien.“ Kein Fernseher, kein Auto bis fast in die 60er-Jahre hinein. Stattdessen hörte er als Kind und Jugendlicher den Tischgesprächen zu, wenn befreundete frühere Wehrmachtsoffiziere ins Haus kamen und über die Rechtmäßigkeit des Hitler-Attentats vom 20. Juli gestritten wurde. „Ich habe über das Thema einen Schulaufsatz geschrieben.“ Der niedergeschlagene Aufstand des 17. Juni 1953 sollte den Heranwachsenden weiter politisieren, desgleichen ein Workcamp-Einsatz als 18-Jähriger in Verdun.
Es erschien ihm folgerichtig, sich während des Jura-Studiums in Göttingen und Bonn im Sozialdemokratischen Hochschulbund zu engagieren. Die antifaschistische Tradition, das Bekenntnis zu Europa und das Thema soziale Gerechtigkeit: Dieser Dreiklang ließ von Friedrichs 1961 in die SPD eintreten, der er mit Überzeugung bis heute treu geblieben ist. „Das habe ich übrigens mit Gerhard Schröder gemeinsam, zu dem ich eine gute Verbindung habe.“ Schröder war, von Friedrichs blieb Halbwaise. Das Jura-Studium, der Aufstiegswille, das Selbstbild eines Polit-Managers, die Liebe zu Worpswede – es gebe so manche Parallelen zum späteren Bundeskanzler. Nur sei der viel häufiger liiert gewesen, setzt von Friedrichs lachend hinzu.
Mit Ursula von Friedrichs, einer promovierten Juristin, ist Hans-Dieter von Friedrichs seit 1966 verheiratet. Sie, Jahrgang 1942, stammt aus Diepholz, war früher Richterin am Osterholzer Amtsgericht und ist bis heute anwaltlich für eine Bremer Kanzlei tätig. Die beiden haben zwei Söhne und zwei Töchter; ein Sohn und eine Tochter haben körperlich-geistige Behinderungen. „So etwas prägt“, sagt der ehemalige OKD nachdenklich. Bis heute gebe es regelmäßig Sorgen um den Gesundheitszustand, Verhandlungen mit der Sozialbürokratie und den Kassen wegen nötiger Hilfsmittel.
Mitte der Sechziger begegnet der Referendar von Friedrichs in Bonn einem gewissen Helmut Schmidt. Noch so eine Zufallsbegegnung, der weitere folgen werden. Als Mitarbeiter des SPD-Fraktionsvorsitzenden und späteren Bundeskanzlers soll von Friedrichs 1964/65 für Schmidts Büro ein Pressearchiv aufbauen. „Wenn Sie etwas werden wollen in der Politik, dann gehen Sie da hin, wo Sie herkommen. Auf der kommunalen Ebene lernt man was“, habe der Kettenraucher aus Hamburg zu ihm gesagt und auf den eigenen Werdegang verwiesen. Von Friedrichs tut, wie ihm geraten – mit einem manierlichen Examen in der Tasche, wie er mit hanseatischer Untertreibung hinzufügt. Bei Schmidt kann der Hildesheimer das Mit- und Gegeneinander über Parteigrenzen hinweg studieren, in seiner Heimatstadt hat er zudem Präsenz und Nahbarkeit des damaligen OKD Ernst Kipker erlebt und Gefallen an Schmidts Ratschlag gefunden. Nach Stationen im Regierungspräsidium in Hannover und dem damaligen Landkreis Grafschaft Schaumburg wechselt von Friedrichs ins sozialdemokratisch geführte Innenministerium zu Richard Lehners. „Wieder so ein Zufall, dem ich sehr viel verdanke.“
Binnen zweier Jahre steigt von Friedrichs zum Oberregierungsrat auf und so wagt er es, sich 32-jährig auf die Stelle des Osterholzer Oberkreisdirektors zu bewerben. „Ich hatte die Anzeige in der Zeitung gesehen und gerade sechs Wochen vorher mit meiner Mutter die Vogeler-Weberei im Haus im Schluh besichtigt“, schildert der 80-Jährige. Als er dann mit seiner Frau noch vor der Zusage das Kreisgebiet bereist, sind beide regelrecht begeistert: von Landschaft und Lebensqualität, der Nähe zu Bremen und nicht zuletzt von Worpswede.
Am 1. Juni 1974 nimmt er den Chefsessel im Osterholzer Kreishaus ein. Fortüne. „Meine Mutter war so stolz“, sagt von Friedrichs. „Mit Fahrer und Mercedes“, bestaunt sie den Aufstieg ihres Sohnes.Der wiederum beschließt wegen seiner behinderten Kinder, dass dies zugleich das Ende der Karriereleiter sein soll. Zwei verlockende Angebote wird es geben, die von Friedrichs nicht wahrnimmt, einmal als Regierungspräsident und einmal als Vize im Kulturministerium. Er bleibt OKD und stellt so den Amtszeit-Rekord auf. Sollte Marco Prietz, Jahrgang 1988, im nächsten Jahr zum Rotenburger Landrat gewählt werden, wäre von Friedrichs zwar den Titel „jüngster Verwaltungschef“ los, aber nur, was das Alter bei Dienstantritt angeht, nicht das zum Zeitpunkt der Wahl.
„Ich hatte im Kreishaus immer gute Leute um mich herum“, betont von Friedrichs und bezieht auch die ehrenamtlichen Landräte Walter Schlüter, Heinrich Blanke und Ludwig Wätjen mit ein. „Es ist immer eine Teamleistung.“ Besonders aber nennt er den im Vorjahr verstorbenen CDU-Mann Klaus von Düring, als Kulturreferent ein geradezu kongenialer Partner: der Stendorfer als schlitzohriger Strippenzieher im Hintergrund, er selbst als parkettsicherer Netzwerker nach außen. Das Parteibuch spielt keine Rolle: loyal, unbestechlich, zuverlässig – darauf komme es an und das passe auch zum Menschenschlag der Region. Gemeinsam sichern sie 1980 das damals in US-Besitz befindliche Ensemble der Großen Kunstschau für den Landkreis und betätigen sich als Geburtshelfer der Barkenhoff-Stiftung, um mit Beteiligung von Bremen und Niedersachsen das Vogeler-Domizil vor dem Verfall zu retten. Der Landkreis ist dabei durchaus nicht auf Rosen gebettet. „Mit Leidenschaft und Augenmaß“, sei stets die Devise gewesen.
Gerade zu den Bremer Bürgermeistern pflegt von Friedrichs ein gutes Verhältnis; einzig Klaus Wedemeier nimmt Anfang der 90er-Jahre die Verlegung der Nachschubschule von Grohn nach Garlstedt offensichtlich übel. List und Tücke der Osterholzer? Seit den Straßenschlachten um die Gelöbnisfeier 1980 im Weserstadion haben die Bremer im Verteidigungsministerium das schlechtere Blatt. Stichwort Militär: Dass die US-Streitkräfte für ihre Division „Hell on Wheels“ Mitte der Siebziger die Garlstedter Kaserne bauen lassen wollen, sei auch so ein Zufall, von dem er aus der Zeitung erfahren habe. Durchaus ein glücklicher Zufall für Stadt und Landkreis, wie der OKD a.D. meint; ihn persönlich werden die Amerikaner später mit einer Medaille ehren.
Als Meilensteine erweisen sich 1996 die Gründung des Verkehrsverbunds Bremen/Niedersachsen („die einzige länderübergreifende Zusammenarbeit, die wirklich funktioniert“) sowie zwei Jahre später die Gründung der Abfallservice Osterholz GmbH. Mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Arne Börnsen werden Fördermillionen für das Naturschutzprojekt Hammeniederung in den Landkreis geschleust. Auch der Ausbau des Schulwesens von der Förderschule bis zum Gymnasium ist dem OKD ein Anliegen, bis er Ende 2004 in den Ruhestand versetzt wird. Dass ihm zum Abschied als erstem Nicht-Bremer die Senatsmedaille für Kunst und Wissenschaft verliehen wird, bedeute ihm sehr viel, sagt von Friedrichs heute. Es gibt aber auch Tiefpunkte. Als solchen bezeichnet von Friedrichs die Entlassung von Professor Wolfgang Meyer-Marcotty als Chirurgie-Chefarzt im Kreiskrankenhaus; Image und Belegung der Klinik hatten sich 1991/92 bedenklich verschlechtert; man habe sich trennen müssen. Auch die gegen ihn gerichtete Kampagne einiger Grünen-Politiker wegen einer angeblich fehlerhaften Vergabe der Schulbus-Konzession zählt der einstige Hauptverwaltungsbeamte zu den dunkleren Stunden. „An der Sache war nichts dran, aber die übrigen Fraktionen waren merklich verunsichert.“