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Geschenkt Alles aus Beton

Zwei schlimme Unfälle kurz hintereinander brachten Melanie Clausen eine Querschnittslähmung ein. Doch die agile Frau lässt sich nicht unterkriegen, hat sich vor einem Jahr sogar selbstständig gemacht.
25.12.2022, 08:00 Uhr
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Alles aus Beton
Von Iris Messerschmidt

Melanie Clausen wuselt in ihrer Küche hin und her, kocht Kaffee, holt die Dose mit selbst gebackenen Keksen hervor, stellt sie auf den Küchentisch. "Nein, ist keine spezielle Anfertigung", gesteht sie. "Wir haben eine ganz normale Küche eingebaut und einfach ein paar Unterschränke weg gelassen." Melanie Clausen sitzt im Rollstuhl. Über ihre Geschichte spricht sie ganz gelassen; und darüber, dass nichts von alleine kommt. "Man muss gucken, wo man bleibt", hat die 42-Jährige im Lauf der Zeit erfahren. Sich alles selbst erarbeiten, das ist ihr Motto. So hat sie sich vor gut einem Jahr auch einen Traum erfüllt, ist selbstständig geworden – fertigt Kunsthandwerk aus Beton.

Dass sich das Leben von heute auf morgen ändern kann, hat Melanie Clausen schon mehrfach erfahren müssen. "Schwer ist beispielsweise, dass Linus gerade einen viel längeren Schulweg hat", sagt sie und lacht, während ihre zweijährige Berner Sennenhündin "Bella" ihre Streicheleinheiten einfordert. Die alleinerziehende Mutter eines elfjährigen Sohnes managt den Alltag mit Bravour. Kaum verwunderlich, denn selbst schwere Schicksalsschläge haben sie nicht entmutigt.

Im Oktober 1999 beispielsweise, die junge Nordbremerin hatte gerade ihr Abi gemacht, "in Innenarchitektur und Grafikdesign", da hatte sie den ersten Unfall – halbseitige Lähmung. Sie war gerade sechs Wochen aus Krankenhaus und Reha in Friedehorst zurück, da hatte sie im Mai 2000 den zweiten Unfall. Mit gerade mal 20 Jahren. Absturz mit der Cesna, die ihr Onkel flog. "Die Halbseitenlähmung war weg, dafür hatte ich einen Querschnitt", gibt Melanie Clausen pragmatisch an. Die gerade unterschriebene Ausbildungsstelle als Hotelkauffrau im Parkhotel Bremen hatte sich damit erledigt, "mein räumliches Sehen hatte ich auch verloren", ein entsprechendes Studium schloss sich aus.

Nach fünf Monaten im Krankenhaus und einigen Überlegungen entschloss sie sich zu einer kaufmännischen Ausbildung bei der Arbeitnehmerkammer – und zog von heute auf morgen bei ihren Eltern aus. "Die waren anfangs gar nicht begeistert." Doch Melanie Clausen wollte ihr Leben selbst gestalten, auch im Rollstuhl. Erst gab es eine kleine Wohnung in der Nähe ihrer Eltern, sie heiratete, bekam ein Kind, trennte sich vom Mann, suchte ein Grundstück, fand es im Bremer Speckgürtel, in Beckedorf. Sie baute 2002 – "ganz alleine, ab und an war mein Vater mit der Baustelle". Ihre Eltern trugen ihre Entscheidungen mit, standen zu jeder Zeit hinter ihr.

Während der mehr als zwei Jahrzehnte, die sie schon an den Rollstuhl gefesselt ist, gab es aber auch immer wieder Momente, die sie geärgert haben: "Besetzte Behindertenparkplätze beispielsweise. Ruft man die Polizei, dauert es, bis die vor Ort sind. Dann dauert es, bis der Halter des falsch parkenden Autos ermittelt ist, dann wird gegebenenfalls abgeschleppt. Egal wie, am Ende war ich die Dumme, denn mehr als eine Stunde zu spät zur Arbeit, weil jemand falsch geparkt hat – wer bezahlt mir den Verdienstausfall?" Dabei noch im Regen stehen und "pitschnass werden", oder dumme Sprüche anhören, weil man schräg in andere Parklücken fahren muss, um mit dem Rollstuhl aus dem Auto zu kommen, zu enge Toiletten, "und, und, und". Melanie Clausen ließ sich nicht unterkriegen, entwickelte Eigeninitiativen, beispielsweise mit Stehrollstuhl oder Fahrrad. "Ich wollte trotzdem weiterleben", erzählt sie. Dieses Engagement brachte ihr sogar Fernsehauftritte ein, eine Dokumentation zeigt, wie sie ihren Alltag meistert und sollte anderen Rollstuhlfahrern Mut machen.

Mut, den brauchte Melanie Clausen in ihrem Leben öfter – erneut hat sich einiges geändert. Wieder war es eine Krankheit, die sie zwei Jahre aus ihrem gewohnten Alltag riss. "Dennoch wusste ich immer, irgendetwas werde ich machen, nur was, das wusste ich noch nicht. Büro kam auf jeden Fall nicht mehr in Frage." Denn auch, wenn ihr das einst die Zukunft sicherte, "ich bin so gar nicht glücklich hinter dem Schreibtisch", gesteht sie, während die Erinnerungen hoch kommen. Erinnerungen, wie sie als junges Mädchen geritten ist, wie sie verschiedene Jobs übernahm, um das Taschengeld aufzubessern: auf dem Grünmarkt, im Catering, im Grauen Esel. Und jetzt? "Man kann nicht mal eben dies oder das machen", nur leicht ist mit dieser Aussage ein Anflug von Melancholie zu hören.

Denn, seit einem Jahr ist Melanie Clausen selbstständig, erstellt Kunstwerke aus Beton. "Mittlerweile sogar schon als Auftragsarbeiten." Ein Bekannter hat ihr die Feinheiten des Betonmischens näher gebracht. Seitdem arbeitet sich Melanie Clausen durch große und kleine Objekte, von Schriftzügen über Säulen mit Schriftzügen, von jahreszeitlich geprägten Werken wie Engel, Leuchter und Wichtel, bis hin zur regionale Werken wie "Moin", als kleines Objekt für die Fensterbank oder als Hingucker und großes Objekt im Vorgarten. "Mein Augenblick", unter dem Titel hat sie sich auch ein kleines Holzhaus im Garten mit fertigen Werken erschaffen, das sie gern auch Besuchern zeigt. "Und wenn ich die Tür öffne, dann ist es auch genau das: ,mein Augenblick'", gesteht sie und tut das, was man häufig auf Melanie Clausens Gesicht entdeckt: sie lächelt.

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