Zwei gelbe Boote weisen den Weg, dann führt ein langer Feldweg von der Kreisstraße zu dem im Wald gelegenen Natur-Campingplatz Waakhausen. Mehr als zehn große Wohnzelte, Jurten und Koten stehen zwischen Tannen. Der Duft nach Bratöl zieht durch das Zeltlager, denn jetzt ist Essenszeit bei den Blankenburger Pfadfindern. Fast 50 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 20 Jahren der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg Stamm St. Josef haben ihr Sommerzeltlager auf dem Campingplatz von Pascal Radon aufgeschlagen. Unter dem Motto „Moor und more“ erkunden sie sieben Tage lang die nähere und weitere Umgebung von Worpswede. „Hier ist es ideal“, stellt die aus Blankenburg stammende FSJlerin Lisa Stöckicht auf ihrem täglichen Weg zum SOS-Kinderdorf fest. Ausreichend Platz für Zelte und zum Rumtoben, die Möglichkeit für ein Lagerfeuer und zum Sammeln von Feuerholz wie auch Platzwart Pascal Radon, der auf alle speziellen Anfragen freundlich reagierte, ließ die Entscheidung für Worpswede leicht werden.
„Man lernt hier, anders zu kochen und mit kreativen Mitteln alle satt zu machen“, sagt der 19-jährige Valentin, der auf einem Gaskocher mit einfachem Campinggeschirr Zwiebeln für das Abendessen karamellisiert. Denn heute gibt es im Pfadfinderlager Kartoffelbrei mit Würstchen. Bei der „Essensausgabe“ holt sich jede einzelne Zeltgruppe, die aus sechs bis acht Kindern plus Leiter besteht, die Zutaten. Was die „Köche“ dann daraus zusammenbruzzeln, bleibt ihnen überlassen. Denn der Rezeptvorschlag, so Valentin, muss nicht umgesetzt werden. „Man kann auch kreativ sein.“
Kochen unter einer Plane
Dann kommt Alexander, der den Wölflingen bei der Essenszubereitung helfen musste, zu seiner Zelt- und Kochgruppe zurück. “Ich werde kein Wölflingsleiter werden“, kündigt er lautstark an. Denn das gemeinsame Kochen und Essen mit den sieben- bis zehnjährigen Wölfingen war anstrengend. So anstrengend wie auch er als Wölfling gewesen sei, sagt er schmunzelnd. Dass Kochen und Saubermachen zusammengehört, das lernen die kleinen Pfadfinder von Anfang an.
Gekocht wird geschützt unter einer Plane, eine Zeltgruppe nach der anderen ist dran. Gegessen wird im großen Gemeinschaftszelt, eine Gruppe nach der anderen. Manche kochen noch, da spielen andere schon nach getanem Abwasch unter den Bäumen. Alle zusammen, altersgemischt.
„Alle finden ein Sommerlager in einer großen Gemeinschaft mit gemischten Altersgruppen cool“, erklärt Rudolf Jackisch, einer der Leiter der Pfadfinder. Die tragen als Zeichen ihrer Stufe ein grünes Tuch, Wölflinge hingegen orange. Ab sieben Jahren heißen sie Wölflinge, mit zehn Jahren Jungpfadfinder. Darauf folgt mit 13 Jahren die Stufe der Pfadfinder und ab 16 Jahren nennen sich die jungen Pfadfinder Rover.
Seit der ersten Klasse ist Charlotte (20) mit dabei. Sie wollte ein anderes als ein klassisches langweiliges Hobby und wählte die katholische Pfadfinderschaft. „Zeltlager ohne Eltern war cool“, sagt sie. Hier bei den Pfadfindern aber läuft Charlotte noch als „Kind“. Denn die aus Großbritannien stammende Bewegung hat auch das englische Volljährigkeitsalter von 21 Jahren übernommen. Das stört aber die „Kinder“ eher weniger.
Spaß am Zelten und draußen sein und etwas anderes als Stadtleben erleben, das ist für viele Antrieb, sich den Pfadfindern anzuschließen. Obwohl der Gründer Baden-Powell ein britischer General war, hat die Pfadfinderschaft mit paramilitärischem Drill nichts zu tun, sagt Rudolf Jackisch. Natürlich laufen sie auch mal Strecken von zehn Kilometern, so wie beim Hajk, dem Pfadfinderlauf. Für Mittwoch ist der geplant. Dann laufen Kinder ab der fünften Klasse mit Kompass, Karte, Rucksack und Verpflegung für einen Tag los auf der Suche nach einem „wilden“ Schlaflager. Einzige Bedingung an die Übernachtungsmöglichkeit ist, dass sie nichts kosten darf.
Traditionen müssen sein, auch im Sommerzeltlager in Waakhausen. Nicht wegzudenken aus dem Pfadfinderleben sind Lagerfeuer, Gitarrenmusik und die klassischen Geländespiele. „ Pfadfinder bieten aber mehr als nur Freizeitcamps, sie vermitteln Werte“, sagt Rudolf Jackisch. Jeder hilft jedem, der Starke dem Schwachen, Schutz der Natur, Teamgeist und Verantwortung übernehmen sind nur einige Aspekte der Pfadfinderschaft. Feste Strukturen gehören auch mit dazu. So ist der Tagesablauf fest gegliedert, die Aufgaben jedem bewusst. Es gibt klare Weckzeiten, altersgemäße Schlafenszeiten und morgens und abends die großen gemeinschaftlichen Runden, in denen nach einem kurzen Gebet der Tag besprochen wird. Spielerisch lernen hier Kinder, sich zu organisieren und für ihr eigenes, aber auch das Wohl anderer zu sorgen.
Tradition ist eine Sache. Jeder Leiter aber muss entscheiden, was cool ist und in die Zeit passt, um die Kinder von heute mitzunehmen. Und daher dürfen Kinder in diesem Lager Handys benutzen und die Rover (16 bis 20 Jahre) auch mal ein Bier trinken. Zuviel, das gibt es hier nicht. „Wir sind doch alle verantwortungsvoll und Pfadfinder“, erklärt der 19-jährige Cornelius. Dass der Stamm St Josef das richtige Maß findet und die richtige Sprache für Kinder von heute spricht, zeigen dessen Mitgliederzahlen. Es ist der größte Stamm in Sachsen-Anhalt. „Wir haben eher das Problem von zu wenigen Leitern als von zu geringem Interesse“, sagt Rudolf Jackisch. War zu DDR-Zeiten die Pfadfinderschaft verboten, erfahren sie jetzt in den neuen Bundesländern einen großen Zulauf.
Und dann öffnet nach dem Abendessen der „Lagerkiosk“ seine Türen. Die allerdings nur sinngemäß, denn es sind zwei Klappkisten, deren Inhalt Leiterin Andrea Rubrecht auf dem Tisch ausbreitet. Süßigkeiten und „Pfadfinderdinge“ wie Knoten sind es, die die Kinder begeistern. „Für die Kleinen ist es ein wichtiger Tagesordnungspunkt, die Öffnung wird immer sehnsüchtig erwartet.“ Zu den festen Regeln gehört allerdings, dass vor Öffnung des Lagerkiosks die Kochstellen aufgeräumt sein müssen.
Zu den festen Ritualen zählt auch das große Abschlusskochen am letzten Tag. Dann werden alle Reste der zu verkochenden Lebensmittel verteilt, jede Gruppe denkt sich etwas aus und jeder kostet von jedem.
Es ist ein friedliches Miteinander auf dem Campingplatz von Pascal Radon, obwohl die Gruppe so groß und unterschiedlich ist. Über die Anfrage der Blankenburger Pfadfinder freut sich der Campingplatzbetreiber sehr, weil es den Platz wieder in seine alten Bahnen lenke. „Wir wollen mit einem vielfältigen Angebot wieder Anlaufpunkt für Gruppen werden, um Gruppenaufenthalte spannend zu gestalten.“ Pfadfinder seien da ein guter Testballon. Noch kämpft Radon mit alten Infrastrukturen auf dem Platz, hofft aber auf eine baldige Baugenehmigung.