Für einen Moment tauchen der Falkner und sein Greifvogel in den Blick des jeweils anderen ein. Es scheint, als hielten sie stumm Zwiesprache. „Warum halten sich Menschen Greifvögel?“, lautet die Frage der Redaktion. Norbert Nowka bricht den Blickkontakt, antwortet: „Es ist ein Stück weit Kumpanei, und es ist die Faszination am Flug dieser Vögel.“ Bereits sein Vater habe Greifvögel gehalten. Nowka schmunzelt: „Frühkindliche Prägung“ sei das bei ihm gewesen. Wie aufs Stichwort öffnet der Lanner-Falke auf Nowkas behandschuhter Faust die Schwingen und stößt einen Ruf aus. Man könnte es für Zustimmung halten. Nowka winkt ab. So wichtig die Partnerschaft zwischen Falke und Falkner für die Beizjagd sei: „Vermenschlichen darf man sie nicht“.
3500 Jahre gehen Menschen nachweislich mit Falken auf die Jagd. 2016 wurde die Deutsche Falknerei gar von der Unesco zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Als er ihr verfiel, war Norbert Nowka 28 Jahre. Nach einer Auszeit in jungen Jahren fand er über sein Engagement für den Naturschutz zurück zu den Greifvögeln und damit zur Falknerei. „Wir haben damals das letzte Wanderfalken-Paar Norddeutschlands in einem Leuchtturm an der Küste gefunden“, erinnert sich der heute 63-Jährige. Das Paar habe vergeblich versucht, zu brüten. „Da haben wir ihm Jungvögel untergeschoben; die hat das Paar adoptiert.“ Nowkas Augen blitzen. „Das war die Initialzündung für mich.“
Norbert Nowka wurde Mitglied im Deutschen Falknerorden (DFO), dem Bund für Falknerei, Greifvogelschutz und Greifvogelkunde, und engagierte sich in der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz Nordseeküste. Als der Bestand der Greifvögel in den 1960er-Jahren durch das Umweltgift DDT einbrach, begann der DFO mit der Nachzucht. „Vom Ende der 60er- bis Anfang der 90er-Jahre haben wir gut 2000 Wanderfalken ausgewildert.“ Auch Seeadler wurden nachgezüchtet. Aber erst als DDT weltweit verboten wurde, konnte sich der Bestand der Wanderfalken erholen. „Heute sind wir wieder bei etwa 1500 Tieren – so viele wie vor dem Einsatz von DDT“, sagt Nowka. Das Nachzuchtprogramm wurde eingestellt.
Zwei Vögel je Falkner
Gezüchtet wird nun für die Falknerei. Die Regeln seien streng. „Jeder Falkner darf zwei Vögel halten.“ Zum Wohl der Tiere. „Für jeden Vogel braucht man pro Tag etwa zwei Stunden“, erklärt er. Ausnahmen würden für die Zucht gemacht: „Aber mit strengen Auflagen.“ Und die Zahl der Falkner in Deutschland sei überschaubar: „Es gibt vielleicht 1500 organisierte Falkner bei uns; davon 500 aktive.“ Er selbst bilde Falkner aus. Jährlich legten 30 Schüler die Prüfung ab. Längst nicht alle würden aktive Falkner. Immer öfter nähmen die Prüflinge allein aus Interesse an den Vögeln teil, berichtet er.
Auch sei nicht jeder Mensch für die Falknerei geeignet. „Man muss für diese Tiere Ruhe ausstrahlen und viel Geduld haben“, erklärt Nowka. „Nervöse Menschen haben es schwer mit ihnen.“ Auch funktioniere die Arbeit mit ihnen allein über positive Verstärkung, über Belohnung. Nur so könne man eine Bindung aufbauen, Vertrauen schaffen. „Bestrafen kann man sie nicht.“
Die angehenden Falkner, deren Ziel tatsächlich die Beizjagd ist, müssen vor der Prüfung bereits den regulären Jagdschein erworben haben. Denn auch für die Beizjagd gilt das Jagdgesetz. „Im Augenblick herrscht zum Beispiel Schonzeit; erst ab Herbst darf ich deshalb mit den Falken wieder auf die Jagd gehen“, erzählt Nowka. „Bis Januar.“
Dann beginnen die Vögel mit der Balz, und die Falkner stellen die Brutpaare zusammen, mit denen sie züchten. „Die Vögel sind sehr eigen bei der Partnerwahl.“ Das Weibchen entscheide. Halte sie das Männchen nicht für geschickt genug, die Familie mit Beute versorgen zu können, lehne sie ihn ab. In Gefangenschaft sei das für die kleineren Männchen gefährlich. „Die Falkner müssen ihre Vögel deshalb lange beobachten“, sagt Nowka. Nur so könnten sie den richtigen Partner finden. Meist sei das ein Vogel, der einem anderen Falkner gehöre und für die Zeit der Brut ausgeliehen werde.
Der junge Lanner-Falke ist inzwischen alt genug für die Ausbildung. „Er muss mich mit Futter in Verbindung bringen“, erklärt Nowka, während „Baron“, so der Name des Vogels auf seiner Faust, einen leisen Bettelruf ausstößt. „Er muss lernen, dass ihm das nun nicht mehr die Eltern bringen, sondern ich.“ Über diese Gewöhnung entstehe die Bindung, die Beziehung, die bei der Jagd zur Kumpanei werde.
Dass der Vogel nach erfolgreicher Beizjagd zu ihm zurückkomme, sei trotzdem nicht selbstverständlich. Norbert Nowka grinst: „Wenn ich zu spät komme und er sich bereits den Magen mit seiner Beute vollgeschlagen hat, dann sitzt er oben auf dem Baum und sagt: Ich bin satt, kannst mich morgen abholen.“ Nur einmal sei ihm ein Falke tatsächlich weggeflogen. „Aber auch da war ich selbst schuld dran“, räumt er unumwunden ein. An einem schönen Herbsttag mit speziellen Winden und besonderem Licht habe bei seinem Falken der Instinkt die Überhand gewonnen. Statt Beute zu machen, ging er auf Wanderschaft. „Zwei Tage später bekam ich aus Dänemark einen Anruf. Mein Falke war dort gelandet – auf dem Haus eines Falkners.“ Nowka schüttelt den Kopf, als könne er es noch immer nicht glauben: Nur zwei Tage habe sein Falke für die Strecke benötigt. „Zurück ging‘s dann im Auto.“ Falken seien schließlich keine Brieftauben.
Norbert Nowkas Wissen über Greifvögel und die Jagd mit ihnen ist unerschöpflich, spannend, unterhaltsam und stimmt nachdenklich. Dass er nicht wirklich Zeit hat, zu verreisen, hat seine Familie längst akzeptiert. Norbert Nowka scherzt gut gelaunt: „Dass ich einen Vogel habe, wusste meine Frau von Anfang an.“ Damit könne sie umgehen, auch wenn sie kein Vogelmensch sei. Seine Frau habe dafür ihre Pferde, meint er, und wieder blitzt der Schalk in seinen Augen auf als er sagt: „So hat jeder von uns seinen Spleen.“