Grasberg. „Komm her, komm her!“, ruft Jürgen Bellmann die Stallgasse hinunter. 150 Köpfe pro Seite heben sich wie auf Kommando. Eben noch hatten die Milchkühe genüsslich mit ihren Schnauzen im Futter gewühlt. Jetzt schreien sie ihr vielstimmiges Muh-Konzert in die Winterluft und schauen – offenbar etwas irritiert – in Richtung Mensch. Dieser Ruf gehört doch auf die Weide. Neulinge lernen, ihm binnen vier Wochen zu folgen, erklärt Bellmann. „Da kann man doch nicht sagen, dass ein Tier dumm ist.“ Er liest in ihren Augen. Von klein an lebt er Landwirtschaft, inzwischen in einer GbR mit dem ältesten Sohn Christian. Gemeinsam mit ihren Frauen und zwei Auszubildenden versorgen sie in dem Eickedorfer Familienbetrieb mehr als 900 Tiere vom Kalb bis zum Mastbullen. Ihre Leidenschaft für die Tiere zahlt sich aus. Seit kurzem dürfen sie sich zu den 15 besten niedersächsischen Milcherzeugern zählen.
An der Milchzapfstelle direkt am Hofeingang kann sich jeder direkt vom Geschmack der Bellmann-Milch überzeugen. Da gibt es jetzt im Winter von 7 bis 20 Uhr frische Rohmilch auf Knopfdruck. 4,5 Grad kühl fließt das mit einer Urkunde ausgezeichnete Weiß in die Glasflasche. Die eigene Rohmilch steht in der Bellmannschen Küche auf dem Frühstückstisch. 11000 Kilogramm pro Kuh und Jahr produziert der Hof. In der Pressemitteilung zum Milchlandpreis liest sich das so: „Die Herde erbringt eine weit über dem Landesdurchschnitt liegende Milchleistung.“ Wie sie das schaffen, erklären Vater und Sohn unisono: „Eine Kuh, der es gut geht, die gibt auch viel Milch.“
Die Verbundenheit mit seinen Tieren zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch. Einmal sagt Jürgen Bellmann: „Wenn man Landwirt ist, dann ist man das mit Leib und Seele.“ 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. In wechselnden Schichten teilen sie sich die Dienste auf dem Hof. Im Sommer steht um 5 Uhr Tag für Tag jemand im Stall. Für Jürgen Bellmann normaler Alltag. Er schwärmt, es gebe nichts Schöneres, als morgens in die zufriedenen Augen der Kühe zu gucken. „Die Tiere sind alle verschieden. Wenn man mit ihnen gut umgeht, kommt Dankbarkeit zurück.“ Anders von den Menschen. „Heute ist vieles so selbstverständlich mit den Lebensmitteln“, bedauert Jürgen Bellmann. Manchmal werde gar nicht darüber nachgedacht, wie viel Liebe darin stecke, gerade in der Weihnachtszeit, wo alles üppig vorhanden sei. Dabei ist für ihn klar: „Ohne Landwirte wären in den Lebensmittelgeschäften die Regale leer.“
Auch ihnen hat die Milchpreiskrise zugesetzt, sagt Sohn Christian. Aber der neue Stall war da schon auf den Weg gebracht. Also bauten sie ihn. Der Milchlandpreis für nachhaltiges Wirtschaften gibt ihnen Recht. „Nachhaltig heißt, wie man mit den Tieren umgeht“, erklärt er. Partnerin Kirsten Schumeier ergänzt ein wichtiges Wort: „Tierwohl.“ Nach diesen Vorgaben sei ihr neuer Stall konzipiert: größere Liegeboxen, viel Luft, viel Licht, in allen vier Ecken Kuhbürsten und Ventilatoren für heiße Sommertage. „25 Grad bedeuten für sie Hitzestress“, sagt Christian Bellmann. „Fünf Grad plus ist die optimale Temperatur für Kühe.“ Anders als für uns Menschen, die an solchen Tagen fröstelnd ihre Reißverschlüsse bis unter die Nase ziehen, halten die Tiere ihre Nasen gerne in den kühlen Wind und fressen am liebsten direkt am Stalleingang. Jürgen Bellmann zeigt die Stelle, an der das Futter am schnellsten weg sei.
Kreißsaal mit Kamera
Der neue Stall bietet noch mehr: „Kreißsaal“ mit Kameraüberwachung, Kälberhäuschen, Melkanlage und Milchtank. Auch aus den anderen Ställen muhen hin und wieder Kälber und Mastbullen. Hinter den Stallungen liegen die Silage-Haufen. Gras, Heu und Silagen produzieren die Bellmanns selber. Auf auf rund 220 Hektar Fläche bauen sie außerdem Getreide und Kartoffeln an. Für einen Liter Milch erhalten die Eickedorfer derzeit um die 40 Cent als Grundpreis bei vier Prozent Fettgehalt und 3,4 Prozent Eiweiß, so Landwirtschaftsmeister Christian Bellmann. „Momentan geht das, aber die Prognosen sehen für nächstes Jahr schon wieder schlechter aus.“ Also gehen sie auch andere Wege. Seit ein paar Wochen bietet der Hof als zweiter im Landkreis Osterholz eine Milchzapfstelle. „Frische, unbehandelte Rohmilch, direkt von der Kuh“, so Kirsten Schumeier, fließt aus dem Automaten. Pro Liter ein Euro. Sie freut sich: „Das wird gut angenommen.“
Nicht nur die Milch direkt vom Bauernhof komme wieder in Mode. Aus der Siedlung gegenüber kommen hin und wieder Großeltern mit ihren Enkeln zum Kälbchen-Streicheln. Christian Bellmann: „Viele wollen wissen, wo alles herkommt.“ Kirsten Schumeier ergänzt: „Wir sind dafür offen.“ Genau wie sich um den Milchlandpreis zu bewerben. „Das war eine spontane Idee“, erzählt sie. Im Urlaub habe sie dafür die Formulare ausgefüllt. Seit 17 Jahren schreibt die Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen den Preis jährlich aus.
Von 150 möglichen Betrieben hatten sich diesmal 70 um den Preis beworben. Der Bellmann-Hof landete unter den besten 15, nachdem zwei Prüfer einen Tag lang „den Betrieb komplett auseinandergenommen“ hatten, erinnert Elke Bellmann. Sie habe davor Prüfungsangst wie in der Fahrschule gehabt. Bewertet wurden Unternehmensführung, Herdenmanagement, Qualitätssicherung, Betriebsergebnis, Tier- und Umweltschutz und soziales Engagement.
Landwirt Jürgen Bellmann wusste, dass sie den Vergleich mit anderen Betrieben nicht zu scheuen brauchten. Er habe die Prüfung eher als Routine empfunden. Die Preis-Urkunde wollen sie demnächst im Stallbüro aufhängen.