Tarmstedt. Keine Frage, dieser Mann liebt die Herausforderung. Mit dem Fahrrad ist Henry Michaelis von Flensburg zum Bodensee gefahren, vor zwölf Jahren war das. Die Massivholzmöbel in seinem Haus, alle selber gebaut, einschließlich Sessel und Sofa. Und beruflich ist der Geschäftsführer der Tarmstedter Diakonie-Sozialstation auch nie stehen geblieben. Diesen Sonnabend feiert „Schwester Henry“, wie ihn einige nennen, seinen 65. Geburtstag, am Sonntag wird er mit einem Bläsergottesdienst feierlich verabschiedet. Beginn ist um 10 Uhr in der Martin-Luther-Kirche. Anschließend ist noch Kirchencafé und gemeinsames Mittagessen im Gemeindehaus.
Der gelernte Krankenpfleger ist über Umwege zu dem Beruf gekommen, den er seit 44 Jahren mit Leidenschaft ausübt. Nach der Schule wollte der gebürtige Tarmstedter nicht wie seine drei Brüder vor ihm Tischler im väterlichen Betrieb lernen. Michaelis ging stattdessen bei der Bäckerei Schnackenberg in die Lehre – in dem Gebäude hat heute die Tarmstedter Tafel ihren Sitz. Nach der Ausbildung wurde er Saisonbäcker auf der Insel Baltrum, ein Jahr arbeitete er im Bremer Steintorviertel. Dann bekam er eine Mehlallergie und Asthma – und wusste erst mal nicht, wie es weiter gehen sollte.
Die Eingebung kam, als er bei einem Fußballturnier verletzt wurde und zwei Wochen ins Krankenhaus musste: Michaelis wollte fortan Krankenpfleger werden. „Klaus Steffens, ein guter Freund aus der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit, hat mir gut zugeredet, und unser Hausarzt Dr. Walbaum ebenfalls“, erinnert er sich. Michaelis machte im Lilienthaler Hospital eine Helferausbildung und hängte noch die „große Krankenpflege“ dran, insgesamt sieben Jahre dauerte die Ausbildung. Es folgten zwei Jahre Intensivstation an der Medizinischen Hochschule Hannover, bevor er für weitere fünf Jahre nach Lilienthal zurückkam.
Wirtschaftlich arbeiten
Erneut quälten Michaelis Atemprobleme, diesmal ausgelöst durch die Dämpfe der Desinfektionsmittel. Im Februar 1984 wechselte er daher zur Schwesternstation in Wilstedt, wurde Nachfolger der Gemeindeschwester Elisabeth Kelm, die in Rente ging. Die Einrichtung mit Michaelis als einzigem Mitarbeiter wurde in Gemeindepflegestation umbenannt, später nach Tarmstedt verlegt und kontinuierlich ausgebaut. „Heute haben wir 50 Mitarbeiter“, sagt Michaelis, der einstweilen als ehrenamtlicher Geschäftsführer der Sozialstation weitermacht.
Wurde die Sozialstation früher durch die Kirchen- und die politische Gemeinde finanziert, brachte die Einführung der Pflegeversicherung 1995 einen grundlegenden Wandel mit sich: „Wir mussten sehen, dass wir auf eigenen Füßen stehen, dass wir wirtschaftlich arbeiten“, so Michaelis. Er belegte Management-Kurse, so dass er 1999 die Leitung übernehmen konnte. „Die Zentrale war damals noch in unserem Wohnhaus“, sagt seine Frau Ulrike, die als Büroangestellte bei der Sozialstation arbeitet. Die private Telefonnummer 1234 habe sich als so praktisch erwiesen, „dass wir sie später an die Sozialstation abgegeben haben“.
Seit 2013 ist die Station in einem Neubau an der Bremer Landstraße untergebracht. Im Erdgeschoss der Jan-Reiners-Seniorenresidenz, so Michaelis, werde es der Diakonie-Sozialstation mittlerweile auch schon wieder zu eng. „Eigentlich bräuchten wir neue Räume“, meint er. Die Entwicklung gehe weiter, der Bedarf an ambulanter Alten- und Krankenpflege in den eigenen vier Wänden steige. Seit 2016 sei die Einrichtung auch im Palliativbereich tätig, biete die Begleitung Krebskranker in den letzten Lebensmonaten an. „Wir leisten das gemeinsam mit dem Arzt-Ehepaar Riedesel, das ebenfalls eine spezielle Fachweiterbildung absolviert hat“, berichtet Michaelis.
2013 wurde die Diakonie-Sozialstation in eine gemeinnützige GmbH überführt. Das sei der Umstrukturierung im Gesundheitswesen geschuldet, sagt Michaelis. „Wir müssen Vergütungen mit den Kassen aushandeln und Verträge mit den Patienten machen. Wir mussten ganz schön viel lernen, denn wir waren keine Kaufleute.“ Aber das Non-Profit-Unternehmen muss das gut hingekriegt haben, denn zu Beginn dieses Jahres konnte Michaelis sich und vielen anderen Menschen in der Samtgemeinde Tarmstedt einen großen Wunsch erfüllen, indem er eine Tagespflegestation eröffnete. Sie sei mit 38 Patienten „voll belegt“, freut er sich. Gut 725 000 Euro haben Bau, Einrichtung und das behindertengerechte Fahrzeug mit seinem Rollstuhl-Lift gekostet. Den Eigenanteil habe die Diakonie über Darlehen sowie gezielt für dieses Vorhaben gebildeten Rücklagen finanziert, so Michaelis. „Wir haben 30 Jahre dafür gespart.“
Dass er im Ruhestand in ein „Loch“ fällt, glaubt Michaelis nicht. Seit 33 Jahren leitet er den Posaunenchor seiner Kirchengemeinde, als Mitglied der Hermannsburger Missionsbewegung kümmert er sich um Projekte in Russland und in Afrika, und auch seine Bienenvölker brauchen seine Aufmerksamkeit. Seit November ist er Mitglied im Gemeinde- und im Samtgemeinderat, trat nach der Wahl in die FDP ein. Außerdem ist da noch die Familie, zu der vier Kinder und mittlerweile fünf Enkel gehören. Und Fahrrad fahren, das macht er immer noch gerne.