Zahlen lügen nicht – und deshalb fangen Julian Gelies' Augen regelrecht an zu leuchten, wenn er die jüngsten Statistiken aufzählt: 80 Prozent Ballbesitz, 403 gespielte Pässe, 45 Torschüsse und elf Ecken. So lautet die Bilanz seines VSK Osterholz-Scharmbeck im Testspiel beim TSV Gnarrenburg. Dass der Trainer des Fußball-Bezirksligisten ein solch fundiertes Zahlenmaterial zur Verfügung hat, liegt an den Trainingswesten, die die Kreisstädter seit einiger Zeit nutzen und die normalerweise nur im Profisegment zum Einsatz kommen.
In der Bundesliga sind die Westen, die so unglaublich viel Möglichkeiten bieten, mittlerweile ein gewohntes Bild. Im Amateurfußball jedoch sind sie eigentlich kaum anzutreffen. "Ich kenne weder einen Bezirks- noch einen Landesligisten, der solche Westen nutzt", sagt Julian Gelies. Selbst in der Oberliga Niedersachsen, so der frühere Hamberger Coach, habe er noch nichts Vergleichbares gehört. Das mag vor allem auch an dem stolzen Preis liegen, den man für die Nutzung der Westen auf den Tisch legen muss.
50 Westen, beziehungsweise 50 sogenannte Tracker, die in die Westen eingebaut sind und das Zahlenmaterial liefern, hat der VSK Osterholz-Scharmbeck für zweieinhalb Jahre angemietet und muss für diesen Zeitraum 15.000 Euro zahlen. "Das war natürlich nur mithilfe von Sponsoren möglich", sagte Thorsten Westphal. Der VSK-Coach hat die Anschaffung der Westen maßgeblich vorangetrieben und dafür gesorgt, dass auch die A-Jugend in den Genuss dieser außergewöhnlichen Trainingshilfe kommt. Aus einem ganz bestimmten Grund.

Dustin Hirsch (links) und Tim Bormann während des Trainings.
"Wir wollen uns mit solchen Dingen ganz von anderen Vereinen abgrenzen und hervorheben", sagt Westphal und fügt hinzu: "Wir wollen eben nicht einfach nur das Geld auf den Tisch legen und die Spieler damit zu uns locken, sondern andere Reize schaffen." Und offenbar geht die Rechnung auf. Denn besonders die jungen Spieler, so die ersten Erfahrungen, seien sehr offen für und interessiert an der neuen Technologie. Und für die Trainer liegen die Vorteile auf der Hand.
"Vorher haben wir von gefühltem Dingen gesprochen. Gefühlter Ballbesitz, gefühltes Übergewicht, gefühlte Zweikampfquote. Jetzt können wir die Dinge mit Fakten unterfüttern", sagt Julian Gelies. Denn die Westen liefern zu fast jedem Bereich ausführliche Informationen. "Insgesamt gibt es 20 unterschiedliche Messwerte, wir konzentrieren uns in der Anfangsphase aber auf fünf bis sechs, die für uns am wichtigsten sind", erklärt Thorsten Westphal. Die absolute Laufleistung in einem Spiel beispielsweise, oder aber das höchste Tempo in einem Sprint. Diese Daten werden nach einer Einheit ausgelesen und von einer speziellen Software ausgewertet und den Spielern dann zur Verfügung gestellt.
"Alle können die Daten hinterher einsehen und natürlich wird dann auch genau geschaut, wer beispielsweise am meisten oder am schnellsten gelaufen ist", sagt Julian Gelies. Genau dieser Faktor führe am Ende zwangsläufig auch zu einer Leistungssteigerung. "Du kannst dich halt nicht mehr so leicht verstecken auf dem Feld", gibt Westphal mit einem Schmunzeln zu Protokoll und fügt hinzu: "Wenn der einen Innenverteidiger ständig zwei Kilometer mehr läuft als der andere, dann haben wir das vorher ja auch schon so wahrgenommen und empfunden. Aber jetzt haben wir ganz andere Argumente gegenüber den Jungs."
Heatmaps geben Aufschluss
Julian Gelies ist vor allem auch von den sogenannten Heatmaps angetan. Diese zeigen, welcher Spieler sich wo auf dem Feld aufgehalten hat und wie seine Laufwege waren. Und nicht nur das: "Es wird exakt angezeigt, in welcher Intensität gelaufen wird. Man kann sich hinterher genau auswerten lassen, welcher Spieler in der Rückwärtsbewegung nach hinten sprintet und welcher Spieler nur nach hinten trabt."
Ergänzend zu den Westen hat der Bezirksligist bereits seit einiger Zeit eine Stabkamera bei jeder Partie dabei, die die Spiele komplett aufzeichnet. Mit einer in der entsprechenden Software hinterlegten KI werden die Spiele dann komplett analysiert und in unterschiedlichsten Rubriken ausgewertet. Auch hier haben die VSK-Fußballer alle Zugriff auf die Daten, das Trainerteam kann sich bei Bedarf jede einzelne Szene eines Spielers herausziehen und damit arbeiten. Und auch in puncto Gegneranalyse ist die Stabkamera ein schier unendlich großer Informant, wie Julian Gelies an einem kleinen Beispiel eindrucksvoll verdeutlich.
"Ich kann der Software sagen, dass sie alle Abstöße des Gegners heraussuchen und nacheinander zeigen soll. Anhand dieser Infos bekomme ich sehr schnelle ein genaues Bild davon, welche Spieleröffnung ein Gegner in der Regel spielt und kann mein System daraufhin auslegen." Zwar sei der Aufwand für die Auswertung der Daten durchaus erheblich, lohnen tut es sich laut Gelies und Westphal aber auf jeden Fall.
"Und wir haben ja auch einige Jungs im Kader, die durchaus noch mal weiter oben angreifen wollen. Da können wir das genau ins Verhältnis setzen und sagen, in den Bereichen müsst ihr arbeiten, sonst wird es schwer", erklärt Thorsten Westphal. Auch deshalb kommen die Westen permanent auch im Training zum Einsatz, was sich ebenfalls durchweg positiv auf die Intensität der Einheiten ausgewirkt hat. Und auf die Spiele sowieso. Im Testspiel in Gnarrenburg hatte Dominik Meinert mit ??,? km/h das Topspeed des Tages, was natürlich hinterher entsprechend stolz von dem jungen Stürmer kommentiert wurde. "Das ist das Tolle an der Technologie", sagt Julian Gelies, "selbst wenn wir die Werte bislang noch gar nicht kommentiert haben, die Jungs gucken da drauf und wollen sich entsprechend gut präsentieren."