Osterholz-Scharmbeck. Wie viel Tempo 30 braucht Osterholz-Scharmbeck? Das fragen sich derzeit einige Bürger angesichts der Ausdehnung von verkehrsberuhigten Zonen im Stadtgebiet. Denn seit einigen Tagen sind weitere Tempo-30-Zonen in Osterholz-Scharmbeck entstanden. Und zwar auch an Stellen, an denen niemand damit rechnet – so wie auf der Westerbecker Straße im Bereich von Autohaus und Auffahrt zur B74.
Die neuen Schilder am Straßenrand können anfangs leicht aus dem Blick geraten. Deshalb sollten Autofahrer derzeit genau hinsehen, wenn sie im Stadtgebiet unterwegs sind. Die Verwaltung hat die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf weiteren Straßenabschnitten gesenkt.
Seit 17. Juli gilt unter anderem zwischen Börde- und Rübhofstraße durchgehend die neue Verkehrsberuhigung. Somit ist auch das frühere Zeitfenster im Bereich von Kinderdorf-Kita und Grundschule aufgehoben worden. Jetzt ist Tempo 30 rund um die Uhr angesagt. Und auch auf der Westerbecker Straße ist in weiten Teilen nur noch 30 Stundenkilometer erlaubt.
Die Änderungen gehen zurück auf einen Ratsentscheid vom März dieses Jahres. Demnach folgte eine Mehrheit im Rat dem Antrag der SPD-Fraktion, der Initiative „Lebenswerte Städte und angemessene Geschwindigkeiten“ beizutreten. Ziel ist es, den Tempo-30-Flickenteppich in der Stadt zu schließen. „Um die Zukunftsfähigkeit von Städten zu gewährleisten und die Verkehrswende voranzutreiben, empfiehlt die Initiative eine stadt- und umweltverträgliche Mobilität“, teilt die Sprecherin der Stadtverwaltung in einer Pressemitteilung dazu mit. „Als ein wesentliches Instrument gilt laut dem Positionspapier ein stadtverträgliches Geschwindigkeitsniveau, das ebenfalls auf Hauptverkehrsstraßen eingeführt werden kann.“
Grüne mit Antrag erfolgreich
Die Diskussion über das Ausweisen von mehr Tempo-30-Bereichen läuft bereits seit mehr als zehn Jahren, wie ein Blick ins Zeitungsarchiv belegt. Vor allem die Mitglieder der Grünen-Fraktion hatten immer wieder darauf gedrängt, flächendeckend Tempo 30 für das Stadtgebiet vorzuschreiben. Im Oktober 2022 beantragte die Stadtratsfraktion von Bündnis90/Die Grünen eine durchgehende, zeitlich unbegrenzte Anordnung von Tempo 30 zwischen Bördestraße, Rübhofstraße und Findorffstraße. Dieser Antrag sei vergangene Woche umgesetzt worden, teilt Verwaltungssprecherin Lisanne Matthiesen am Mittwoch mit.
Die Grünen machten im Antrag geltend, dass in der teils engen Ortsdurchfahrt Überholvorgänge mit einem Mindestabstand von 1,50 Meter aufgrund der Kurven und des zeitweise hohen Verkehrsaufkommens nicht möglich seien. Zudem herrsche dort starker Fuß- und Radverkehr, der Straßenverlauf sei unübersichtlich. Ein weiterer Punkt: Die schmalen Gehwege, die überwiegend direkt an die Fahrbahn angrenzen.

Von der Bördestraße bis zur Rübhofstraße gilt das Tempolimit inzwischen rund um die Uhr.
Längst nicht alle Bürger sind mit der Entscheidung im Stadtrat einverstanden. Im Gespräch der Redaktion mit verschiedenen Bürgern stellt sich heraus, dass viele von der Neuerung nichts halten. Und auch das Rathaus-Team verzeichne dieser Tage verschiedene Anrufe von erbosten Anwohnern, die die neuen Regelungen für unverhältnismäßig halten, sagt Lisanne Matthiesen.
Es gibt aber auch lobende Anrufe, betont Uwe Schleucher, Leiter der unteren Verkehrsbehörde bei der Stadt. „Die eine Hälfte ist dafür, die andere Hälfte ist dagegen“, so sein Eindruck.
Schleucher verweist auf die Gründe, die auf Vorschlag der Unfallkommission zu einer Ausdehnung der geltenden Tempo-30-Regelung auf der Westerbecker Straße geführt haben. Das Gremium, das sich aus Vertretern von Polizei und Verwaltungsabteilungen zusammensetzt, führt das bereits bestehende Tempolimit auf der Hunde-, Sandberg- und Wesermünder-Straße bis hin zur Kreuzung Käthe-Kollwitz-Straße an. Auf der weiterführenden Westerbecker Straße stellten der kurvige Straßenverlauf, inklusive der Auf- und Abfahrten zur B 74, Unfallschwerpunkte dar. Zum anderen würden an der Schulbus-Haltstelle in Höhe des Wohngebiets Am Pferdekamp vermehrt Kinder die Fahrbahn überqueren, heißt es zur weiteren Begründung. So betrachtet, sei Tempo 30 auf der Westerbecker Straße nachvollziehbar.
CDU: Bürger verärgert
Das wiederum sehen viele Bewohnern der Stadt ganz anders, betont Marie Jordan, Fraktionsvorsitzende der CDU im Rat der Stadt. Sie würden derzeit diverse Anrufe von verärgerten Bürgern erreichen. Demnach stelle sich die tatsächliche Meinung in der Bevölkerung offensichtlich anders dar, als es in städtischen Ausschüssen seitens der Befürworter von flächendeckendem Tempo 30 den Anschein habe.
„Die CDU-Fraktion spricht sich strikt gegen die flächendeckende Ausweisung von 30 Stundenkilometer auf allen innerstädtischen Straßen und insbesondere auch Hauptverkehrsstraßen aus, wie sie von der Mehrheit der Ratsfraktionen gefordert und häufig im Ausschuss beantragt wird“, teilt Marie Jordan dazu mit. „Die für den Autofahrer als anlasslos bis willkürlich wahrgenommenen Geschwindigkeitsreduzierungen, wie sie aktuell vorgenommen werden, führen dazu, dass die Akzeptanz für die Reduzierungen abnimmt“, ist sie überzeugt. Passendes Beispiel sei das 30er-Tempolimit auf der Westerbecker Straße.
„Nach Ansicht der CDU-Fraktion sollte an Gefahrenpunkten die Geschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde reduziert werden, um Unfälle zu verhindern“, erläutert sie im Gespräch mit der Redaktion. Diese Reduzierung müsse auf echte Gefahrenpunkte begrenzt bleiben wie zum Beispiel Schulen und Kindergärten. Schwierig werde es aber, wenn sie gegenüber erbosten Bürgern nicht in der Lage sei, die betreffende Verkehrsberuhigung plausibel zu erklären. In einem Fall habe sie der Anruf eines Pendlers erreicht, der allmorgendlich um fünf Uhr morgens zur Arbeit fahre und zu dieser Zeit kaum jemanden auf der Straße antreffe. Auch er müsse sich ja an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometer halten, ruft sie in Erinnerung. „Nur die Tempo-30-Zonen auszuweiten, ohne ein Konzept zu haben, wie Autos am besten in die Stadt oder aus der Stadt kommen, führt zu Frust bei Pendlern und zum Ausweichen auf andere Einkaufsmöglichkeiten bei Anwohnern benachbarter Ortschaften.“
Weitere Tempo-30-Zonen
Die Stadtverwaltung kündigt derweil an, weitere Straßenabschnitte mit Tempo 30 zu belegen. So soll auch in Höhe des Gymnasiums an der Loger Straße sowie im weiteren Verlauf der Straße, vor dem Kindergarten Ritterhuder Straße, die Verkehrsberuhigung greifen. Die entsprechenden Verkehrsschilder sollen voraussichtlich bis Mittwoch, 16. August, montiert werden, kündigt die Verwaltung nun an.