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Isländer erklärt Erfolg bei EM Teamgeist liegt in den Genen

Was ist das Geheimnis des Erfolgs der isländischen Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft? Der Isländer Angantyr Thordarson, der in Grasberg lebt, hat eine Erklärung dafür.
02.07.2016, 00:00 Uhr
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Von Lars Fischer

Was ist das Geheimnis des Erfolgs der isländischen Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft? Der Isländer Angantyr Thordarson, der in Grasberg lebt, hat eine Erklärung dafür.

Natürlich hat Tyri als kleiner Junge Fußball gespielt, so wie Millionen andere auf der ganzen Welt auch. Dann kamen die Pferde und das Reiten und wurden zu seinem Beruf. Tyri heißt in Wirklichkeit Angantyr Thordarson, und der Name lässt schon erahnen, dass er eigentlich nur aus Island stammen kann. Seit 1990 lebt er in Deutschland, und gemeinsam mit seiner Tochter Lilja betreibt er in Huxfeld das Gewerbe, für das seine Landleute am berühmtesten sind: einen Hof mit Islandpferden.

Aber wie vermutlich jeden der rund 300.000 Isländer holt ihn dieser Tage der Fußball wieder ein. Das, was sie isländische Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Frankreich leistet, bewegt und begeistert die Menschen in beinahe allen Ländern. Außer vielleicht in England, denn deren Team schied gerade gegen den absoluten Underdog, dem überhaupt noch nie zuvor die Qualifikation zu einem großen Turnier gelang, im Achtelfinale aus. Am Sonntag bekommt es Gastgeber Frankreich mit dem Überraschungsteam zu tun, um 21 Uhr spielen sie gegen Island in Paris.

Natürlich will Angantyr Thordarson das Spiel im Fernsehen sehen, aber ein besonderes Event macht er daraus nicht. Für eine große Party wohnten zu wenig Isländer in der Nähe, und auch Liljas Gesellschaft ist nicht sicher. Bislang habe sie noch kein Spiel geguckt, gibt die junge Frau, die sowohl die deutsche wie die isländische Staatsangehörigkeit hat, zu. Im Ernstfall – sollte es zu einem Finale Deutschland gegen Island kommen – wäre aber auch ihr Herz bei der Mannschaft aus der Heimat ihres Vaters.

Dessen Verwandte sind da schon enthusiastischer, sein Bruder sei mit der ganzen Familie und seinen drei kleinen Kindern nach Frankreich gefahren, erzählt er. „Das ist typisch für uns, wir machen immer alles zusammen. Dieser Teamgeist ist in den Genen“, beschreibt Thordarson die isländische Volksseele und muss grinsen. Sein Bruder sei Schuldnerberater und hatte während der Finanzkrise, die Island zwischen 2007 und 2011 hart gebeutelt hat, viel zu tun. „Jetzt ist es etwas weniger geworden, aber nach dem Turnier ändert sich das vielleicht wieder.“ So wie der Bruder sind rund zehn Prozent der Einwohner, rund 30000 Isländer also, zur Zeit in Frankreich. Natürlich habe niemand für länger als die Vorrunde gebucht, und auch seine Verwandten seien danach zurück nach Hause gefahren, um dann zum Achtel- und jetzt zum Viertelfinale wieder anzureisen. „Das geht ganz schön ins Geld!“ Außerdem, so berichten die Verwandten, habe der Alkoholverkauf daheim kräftig angezogen. Ein Bierchen zum Spiel? Nein, wehrt Thordarson ab, da müsse schon etwas Kräftigeres her. Wodka vielleicht.

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Wirklich überrascht ist Angantyr Thordarson aber vom Erfolg der Mannschaft nicht. „Wir sind eine sportbegeisterte Nation“, sagt er. Und dass er schon bei den Hymnen vor dem Achtelfinale die Angst in den Gesichtern der englischen Spieler gesehen habe. „Da war glasklar, dass wir gewinnen!“

Diese Sportbegeisterung teilt auch Lilja, die als Reiterin äußerst erfolgreich ist und in die großen Fußstapfen ihres Vaters tritt, der früher sein Land bei Weltmeisterschaften vertrat. Im vergangenen Jahr war sie zum ersten Mal längere Zeit auf Island und lebte in einer Gastfamilie. Deren Sohn betreibt den zweiten großen Nationalsport Handball, mittlerweile in der ersten Liga. „Da war es keine Frage, dass alle jedes Wochenende mit ihm zu irgendeinem Spiel fuhren und ihn anfeuerten.“

Mit dieser Mentalität erklärt Angantyr Thordarson auch den Erfolg der Fußballer. „Du brauchst deinen Nachbarn und deine Freunde, wenn du auf dieser Insel lebst. Wir haben gelernt, einander zu helfen." Die Häuser sind weit gestreut, Island ist nur dünn besiedelt und die äußeren Bedingungen sind hart. Er sagt: „Isländer sind keine gewöhnlichen Menschen.“ Damit meint er, das Leben erfordert dort eine andere Körperlichkeit. Die raue und schroffe Umgebung präge die Bewohner und die hätten keine andere Wahl, als Kämpfer zu sein. Thordarsons Urgroßvater ist noch mit einem Ruderboot auf Fischfang gegangen, er selber hat in seiner Jugend auch als Seefahrer gejobbt. Der Walfang war für den Pferdeliebhaber nie etwas, erst im vergangenen Jahr hat er überhaupt zum ersten Mal Wal gegessen. Der sei erstaunlich lecker gewesen, müsse er zugeben, ganz anders als das Seehundfleisch, das er als Kind bekam. „Das war ekelig.“

Die Thordarsons stammen aus Vestfirðir, zu deutsch Westfjorde, eine Halbinsel im äußersten Nordwesten Islands. Als Tyri 17 war zog die Familie nach Keflavík im Süden, wo der Flughafen der Hauptstadt Reykjavík liegt. Seine Kindheit sei unendlich frei gewesen, erinnert er sich. Sie waren draußen in der Natur, alle Türen waren immer offen, jeder kannte jeden in den kleinen Dörfern. Und immer spielten die robusten, allgegenwärtigen Islandponys eine große Rolle.

Seit er zwölf ist hat er in den Ferien gejobbt, aber mit 18 Jahren ist er professioneller Reiter geworden. Er ist Trainer und Reitlehrer, doch vor allem bildet er Tiere aus. Auch da ist Durchsetzungsvermögen und Zusammenarbeit gefragt, genauso wie Respekt vor dem Gegenüber. „Den Teamgeist der Isländer kann man nicht kopieren“, sagt er, und es ist egal, ob er jetzt den Menschen und das Tier meint.

Viele Chancen haben die Fußballer in Frankreich sich nicht rausgespielt, aber das sei auch gar nicht notwendig. „Wir nutzen die, die wir bekommen“, weiß Angantyr Thordarson. Nur eins ärgert ihn: Ein Trikot seiner Mannschaft hat er nicht mehr abbekommen, und jetzt sind sie alle ausverkauft.

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Wie weit das Team mit dem großen Kämpferherz noch kommt, mag er nicht prognostizieren, und auch einen Tipp für Sonntag gibt der Isländer lieber nicht ab. „Für uns geht es immer nur ums Gewinnen, an etwas anderes denken wir gar nicht. Das ist beim Reiten genauso, früher bei mir oder heute bei meiner Tochter. Wir müssen gar nicht darüber reden. Wenn man dann nicht gewinnt, macht das nichts. Aber erstmal wollen wir das Maximum. Zu verlieren haben wir ja nichts!“

Trotz aller Robustheit und allem Kampfeswillen sei die isländische Mentalität doch eine entspannte, findet der Reitlehrer. Das hatte er schon fast vergessen, bis er 2015 nach acht Jahren zum ersten Mal wieder heim geflogen ist. Eigentlich nur für eine Woche, aber dann ist er drei Wochen später gleich nochmal hin, weil er wieder seine Wurzeln spürte, den Kontakt mit dem Urwüchsigen, das so viel stärker ist als jede wohldurchdachte Taktik. „Egal, wie das morgen ausgeht“, sagt Tyri noch, „wir schreiben eine wunderbare Geschichte.“

„Auf Island brauchst du deinen Nachbarn. Wir müssen einander helfen.“ Angantyr Thordarson
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