Lilienthal. Karl-Heinz Sammy erinnert sich noch an alte Zeiten, als die Truper Blänken eine Sumpflandschaft waren. „Da guckten die Binsen raus“, sagt der Archivar des Heimatvereins. Die Überschwemmungen des Winterhalbjahrs verwandelten Teile des Sumpfes in eine Seenplatte, die Scharen von Wildenten anzog. Für die Bauern war die Entenjagd wie der Fischfang ein Zubrot, um ihre Familien zu ernähren. 60 Jahre später sehen die Truper Blänken ganz anders aus. Nach und nach sind sie als Teil des St. Jürgenslandes immer stärker entwässert worden. Die Bekassine und den Großen Brachvogel, die Uferschnepfe und den Kampfläufer hat das den Lebensraum gekostet. Die Wiesenvögel mit den langen Schnäbeln sind weg. Der Kiebitz nistet nur noch an den Rändern.
„Früher waren die Truper Blänken ein Naturparadies“, erklärt Johannes Kleine-Büning, Leiter des Planungs- und Naturschutzamtes im Kreishaus. „Da war es gar kein Problem, wenn die Jäger Enten entnahmen.“ Wildenten gab es in Hülle und Fülle, da fiel die Jagdbeute nicht ins Gewicht. „Heute verwalten wir nur noch die Reste“, sagt Kleine-Büning. „Im Zuge der Entwässerungsmaßnahmen im St. Jürgensland hat sich die Landschaft gravierend verändert. Es gibt nur noch kleine Wasserflächen.“
Das Wasser hat den Blänken den Namen gegeben. „Eine Blänke ist eine flache Wasserstelle, ein Tümpel“, erklärt der Naturschutz-Experte im Kreishaus. Jahrhunderte lang bildete ein großer flacher See den Kern der Truper Blänken, mit sumpfigen Schilfgürteln drum herum. Vögel, die heute auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten stehen, gab es im Überfluss. Die großen und langbeinigen Bekassinen, Brachvögel und Uferschnepfen stocherten mit ihren langen Schnäbeln im weichen Grund. Sie mussten nicht lange suchen, die Natur deckte ihren Tisch im Überfluss.
In den 1930er-Jahren begann die großflächige Entwässerung des St. Jürgenslandes, zu dem die Truper Blänken gehören, durch Gräben und Schöpfwerke. Das geschah zum Schutz der Siedlungen, die von Überschwemmungen heimgesucht wurden, und um Weide- und Ackerland zu gewinnen. Das Wasser wich zurück, in den 1950er-Jahren waren die Truper Blänken ein schilfreicher Sumpf, der im Laufe der Jahrzehnte austrocknete.
„Können das Rad nicht zurückdrehen“
Landschaftlich sind die Blänken, deren 214 Hektar große Naturschutzzone gleich hinter Trupe und Feldhausen beginnt und fast bis zur Höge mit der Freilichtbühne reicht, immer noch reizvoll. Der Schutz soll dafür sorgen, dass die letzten nassen Nischen erhalten bleiben, die stillen Wasser und kleinen Röhrichte, Bruchwälder und Feuchtwiesen. In den Augen von Jonas Linke, Vogelkundler der Biologischen Station in Osterholz-Scharmbeck, ist es höchste Zeit. Das Areal trockne sonst weiter aus, warnt der Ornitologe und Landschaftsökologe. Bäume und Büsche breiteten sich aus, am Ende stehe ein Wald. „Wir haben es mit Resten zu tun und wollen wenigstens die Reste erhalten“, sagt Johannes Kleine-Büning. Als untere Naturschutzbehörde ist der Landkreis für die Pflege aller Schutzzonen im Kreisgebiet zuständig. Die Entwässerung rückgängig machen? Dafür sieht Kleine-Büning keine Chance. „Wir können das Rad nicht zurückdrehen. Die Truper Blänken sind ein kleiner Teil des großräumigen St. Jürgenslandes, ihr Wasserhaushalt ist untrennbar mit dem Wasserhaushalt des St. Jürgenslandes verbunden.“
Lilienthals Naturschützer wollen die Blänken in den Blick rücken, als Naherholungsgebiet. Am Donnerstag, 24. August, wird der Naturschutzbund (Nabu) am Eingang zum Schutzgebiet hinter dem Ortsteil Trupe um 15 Uhr eine Schautafel über die Bodenbrüter in den Feuchtwiesen und die Geschichte der Truper Blänken enthüllen. Die Tafel zeigt die Rohrweihe und den Kiebitz, die Schafstelze und die Feldlerche in Wort und Bild. „Feuchtwiesen gibt es noch, nasse Wiesen, die nur einmal im Jahr gemäht werden“, sagt Heike Behrens, Sprecherin der Nabu-Ortsgruppe. Ein, zwei kleine Bruchwälder und Röhricht-Reste seien auch noch da.
Eine heile Welt sind die Blänken nicht. Das Artensterben lässt sich auch hier beobachten, zum Leidwesen von Jonas Linke und Johannes Kleine-Büning. Der Kiebitz ist ein Beispiel, ein Vogel, der die offene Landschaft braucht. „In Deutschland ist der Bestand zwischen 1990 und 2013 um 80 Prozent zurückgegangen“, klagt Linke. „Es ist eine der Arten, bei der wir zugucken können, wie sie ausstirbt.“ In den Blänken brüteten die Kiebitze nur noch an den Rändern, sagt der 34-Jährige. Oft wählten sie im März offene Schwarzackerflächen, nicht ahnend, dass Bauern später mit großen Traktoren zur Feldbearbeitung anrückten. Das sei dramatisch, denn die Vögel hätten keine Chance, ihre Gelege würden zerstört. Bei den Feldlerchen sei das ähnlich. Inzwischen markieren die Bios-Experten die Gelege mit Bambusstangen. So würden sie geschont, und die Landwirte bekämen einen finanziellen Ausgleich für den Verlust an Wirtschaftsfläche, erklärt Linke.
Kleine-Büning bestätigt das. Früher sei der Kiebitz ein Allerweltsvogel gewesen. Die Bauern hätten seine Eier gesammelt, kein Problem. Die Kiebitze hätten ein zweites Mal gebrütet. Bei Tausenden von Kiebitzen fielen selbst 100 gesammelte Eier nicht ins Gewicht. Heute geht es um die letzten Eier, die der Kiebitz in den Blänken legt. „Die Uferschnepfe steht kurz vor dem Aussterben“, klagt Kleine-Büning. „Die Rotschenkel-Bestände gehen ganz stark zurück. Die Feldlerche, früher ein Allerweltsvogel, ist auch sehr selten geworden. Man sieht, dass die Natur auf dem Rückmarsch ist.“ Um so wichtiger sei es, die Reste zu schützen. Immerhin gebe es in den Truper Blänken noch seltene Tier- und Pflanzenarten.
Die Rohrweihe sucht in den Blänken nach Beute, ist aber nur noch „Nahrungsgast“, so nennt der Ornitologe Jonas Linke das. Der Greifvogel brütet in den Schilfgürteln der Wümme. Das Blaukehlchen, das auch im Schilf nistet, sehen die Bios-Mitarbeiter im Naturschutzgebiet häufiger als früher, ebenso das Schwarzkehlchen. Die Schafstelze ist nach Linkes Worten immer noch eine typische Art: „Sie kann wie die Feldlerche in Randbereiche ausweichen.“ Und den Pirol gibt es in den Blänken auch noch. „Ein Gehölzbrüter, stark gefährdet“, urteilt der Vogelkundler. Der Pirol stehe ziemlich weit oben auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten.
Im Archiv des Heimatvereins hat Karl-Heinz Sammy ein paar alte Bilder ausgegraben. Eines zeigt Grete Roschen als junges Mädchen im Kahn auf dem Wasser der Truper Blänken. Auf anderen Aufnahmen aus den 1930er-Jahren posieren Jäger stolz mit ihrer Enten-Beute. Bilder aus einer Zeit, als die Truper Blänken noch ein Naturparadies waren.