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Rechtsanwältin Gabriele Heinecke spricht mit Schülern über Entschädigungen für Opfer von NS-Verbrechen Von Recht und Gerechtigkeit

Landkreis Osterholz. Da soll noch mal jemand sagen, junge Leute interessieren sich nicht für Geschichte oder die Vergangenheit Deutschlands. In der Integrierten Gesamtschule Osterholz-Scharmbeck (IGS) ist davon nichts zu erkennen.
26.01.2017, 00:00 Uhr
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Von Recht und Gerechtigkeit
Von Jan-Felix Jasch

Landkreis Osterholz. Da soll noch mal jemand sagen, junge Leute interessieren sich nicht für Geschichte oder die Vergangenheit Deutschlands. In der Integrierten Gesamtschule Osterholz-Scharmbeck (IGS) ist davon nichts zu erkennen. Die gesamten Schüler des zwölften und 13. Jahrgangs haben sich in der Mehrzweckhalle der Schule versammelt, zusätzliche Stühle müssen herbeigeschafft werden. Und als Gabriele Heinecke zum Rednerpult geht, wird es schlagartig still.

Gabriele Heinecke ist Anwältin, sie vertritt Opfer von nationalsozialistischen Kriegsverbrechen wie Argyris Sfountouris, der aus dem kleinen griechischen Dorf Distomo bei Delphi stammt. Das Dorf ist 1944 von deutschen Soldaten überfallen worden. Mindestens 218 Menschen waren ums Leben gekommen, darunter die Eltern und rund 30 weitere Familienangehörige des damals Vierjährigen. Ebenso wie seine drei älteren Schwestern und Großeltern überlebte er den Überfall.

Vor Gericht versucht er mithilfe von Gabriele Heinecke, Entschädigungszahlungen in Höhe von 27 Millionen Euro zu erstreiten – bisher erfolglos, weil die Bundesregierung immer wieder Schlupflöcher gefunden habe, einer Zahlung zu entgehen, erzählt Heinecke. Manchmal sei auch diplomatischer Druck auf die griechische Regierung ausgeübt worden. Der Rechtsstreit endete beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dieser entschied, dass eine Staatenimmunität auch bei Kriegsverbrechen gelte. Demnach können Betroffene von NS-Kriegsverbrechen nicht mehr im Land des Verbrechens gegen die Bundesrepublik Deutschland klagen, da dies dem Grundsatz der Staatenimmunität widerspreche. In Deutschland ist eine Klage jedoch möglich, aber bisher wurden alle abgelehnt.

Die Schüler der IGS bewegt das Thema. Nach anfänglichem Zögern entwickelt sich eine lebhafte Debatte. Die meisten sind sich einig: Reparationszahlungen müssen geleistet werden. Sie fangen an zu überlegen, wie das geschehen könnte. Kann man vielleicht die Hilfszahlungen der Bundesrepublik an Griechenland im Zuge des Euro-Rettungs-Fonds damit verrechnen? „Aber eine Zahlung hat auch immer etwas mit Anerkennung der Schuld zu tun“, ergänzt Heinecke. Ob das bei solch einer Verrechnung der Fall sei, sei fraglich. Die Schüler nehmen Anteil, beschäftigen sich mit der Vergangenheit Deutschlands. Auch wenn es sie nicht betrifft, wie Heinecke ihren Vortrag einleitet, oder eben doch. Denn schließlich, erklärt die Juristin, geht ein Anspruch auf Reparationszahlungen auf Erben über. Also auf die Bundesrepublik Deutschland als Nachfolgestaat – und somit auch auf die Schüler der IGS. Denn vorbei ist der Kampf von Heinecke und Argyris Sfountouris noch nicht.

Der deutsche Anwalt Joachim Lau lebt in Italien, in der Nähe von Florenz. Durch einen Nachbarn wurde er ebenfalls auf das Problem aufmerksam. Auch er klagte bis zum Verfassungsgericht in Rom. Und anders als der Internationale Gerichtshof entschied die Kammer in Rom, dass eine Vollstreckung der Entschädigungen in Italien rechtens sei. Das bedeutet, dass deutsches Staatseigentum in Italien gepfändet werden darf, da Deutschland der Zahlung nicht nachkommt. Auf dem Konto sind bisher rund 100 Millionen Euro, die in Italien gepfändet worden sind – nur ausgezahlt wird dieses Geld bisher nicht. Denn nach Argumentation der Regierung sind alle Ansprüche auf Zahlungen verfallen, erklärt Heinicke. Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 sind Reparationszahlungen bis zum Abschluss eines Friedensvertrages auf Eis gelegt worden. Ein solcher wurde jedoch bisher nicht geschlossen – zumindest heißt er nicht so, auch wenn der Zwei-plus-Vier-Vertrag ein Friedensvertrag sei. Darauf habe der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher sehr genau geachtet, so Heinecke. „Es war also erst zu früh für Zahlungen, ab 1990 war es dann schlagartig zu spät.“ Wie es weitergehen wird, weiß die Anwältin nicht.

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