Landkreis Osterholz. „Der Feuerwehrmann darf keine Schwächen zeigen. Dabei ist er ja auch nur ein Mensch.“ Olaf Marggraff, Brandschützer aus Lübberstedt, spricht ein Dilemma an, in das viele Rettungskräfte geraten können. Zwar sind sie darauf trainiert, mit Stress umzugehen. Doch es gibt Einsätze, solche mit Toten und Verletzten etwa, die auch robuste Naturen überfordern und im Extremfall zu dauerhaften Beschwerden führen. Nicht nur die Opfer von Unfällen, Katastrophen und Gewalt sind dem Risiko ausgesetzt, traumatisiert zu werden. Auch die Helfer brauchen Menschen, denen sie sich in einer krisenhaften Situation, einer seelischen Notlage anvertrauen können. Eine institutionalisierte psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) für Einsatzkräfte der Feuerwehr gab es aber noch 2016 in ganz Niedersachsen nicht. Im Rettungswesen herrscht bisweilen noch immer die Ansicht vor, dass der Indianer keinen Schmerz kennt.
Das im Frühjahr 2017 gegründete PSNV-Team der Kreisfeuerwehr Osterholz ist landesweit das erste. „In den Kreisen Nienburg und Diepholz gibt es Initiativen, aber da sind sie noch nicht so weit“, weiß Volker Schenk, der seit 2006 der Lübberstedter Ortswehr angehört, als Sozialarbeiter beruflich mit traumatisierten Menschen zu tun hat und Initiator des lokalen Anti-Einsatzstress-Projekts ist. In Schleswig-Holstein seien sie da viel besser aufgestellt, in Bayern und Nordrhein-Westfalen („Dort ist es noch Flickwerk!“) ebenfalls.
Prävention ist wichtig
Dabei ist es höchste Zeit, dass die PSNV für Einsatzkräfte sich bei der Feuerwehr etabliert. Die Kreisosterholzer leisten Pionierarbeit, andere Feuerwehren werden ihnen folgen. „Die Grundausbildung bei der Feuerwehr ist sehr technisch. Es wird nie reflektiert, was mit einem im Einsatz passiert. Echte Schmerzensschreie sind aber etwas anderes als das Herumgeschraube am Feuerwehrauto“, berichtet Franziska Manek, Lagerlogistikerin aus Schwanewede, die ebenfalls dem PSNV-Team der Kreisfeuerwehr Osterholz angehört. Es ist an Kopfzahl so stark wie eine Fußballmannschaft, acht Männer und drei Frauen. „Der Frauenanteil ist höher als bei der Feuerwehr üblich“, sagt Rainer Stelten, Tischler aus Grasberg, und schmunzelt. „Ich glaube, wir haben einen guten Querschnitt, was das Alter angeht, aber auch bei den Berufen und bei den Wohnsitzen der Einzelnen, die übers ganze Kreisgebiet verteilt sind.“
Bei der Feuerwehr sind sie alle. Volker Schenk: „Die Idee bei der PSNV ist die Hilfe zur Selbsthilfe.“ Er erklärt, warum das wichtig ist. „Die Kollegen können effektiver helfen als Fachleute, weil nur sie wissen, wie ein Einsatz abläuft. Nur so können sie sich in die Lage der Betroffenen hineinfühlen.“ Auch seien Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Kollegen höher als bei einer noch so qualifizierten Fachkraft. Der Bereich PSNV sei scharf zu trennen von der Therapie und der Seelsorge. Es sei sogar so, versichert Schenk, dass die mitfühlenden Einwirkungen des Seelentrösters auf einen gestressten Feuerwehrmann in der Regel kontraindiziert seien. „Das kann volle Kanne durchschlagen und den Kollegen glatt in eine posttraumatische Belastungsstörung hineinlaufen lassen.“
Stress, erklärt Schenk, der eine zwölftägige Peer-Ausbildung in Schleswig-Holstein hinter sich hat (seine Mitstreiter sind 2018 dran), sei ja im Grunde ein „positives steinzeitliches Muster“. Er helfe, Belastungen besser zu ertragen oder letztlich durch eine entsprechende Stresstoleranz zu neutralisieren. Stress sei ein normaler Schutzmechanismus, der in einer unnormalen Situation aktiviert werde. Der Trauerbegleiter wird in einer so außergewöhnlichen Befindlichkeit eher nicht gebraucht. „Stress hilft uns dabei, zu funktionieren. Die Kurve muss dann allerdings langsam abflachen, gleich einem seelischen Muskelkater, der spätestens nach vier Wochen weg sein sollte.“ Das PSNV-Team bietet Gespräche an, kurze direkt nach dem Einsatz und ausführliche einige Tage nach belastenden Einsätzen, bei denen beispielsweise Kinder zu Schaden gekommen sind oder das Leben von Kameraden in Gefahr geriet. Ein wichtiges Thema ist die Prävention. Es gibt Informationsveranstaltungen, bei denen Wege zur Bewältigung von Stress aufgezeigt werden. Wohl jeder erfahrene Feuerwehrmann hat irgendwann bedrückende oder gar schreckliche Bilder im Kopf gehabt, die ihn verfolgten und die er erst einmal loswerden musste.
Auf belastende Einsätze reagiert jeder Mensch anders. Anzeichen einer akuten Belastung könnten unter anderem sein: Zittern, Schwitzen, Herzklopfen, Erinnerungslücken bezüglich des Einsatzes, Niedergeschlagenheit und Interessenverlust. Auch dafür, dass sich aus einer akuten Belastung eine chronische Erkrankung entwickelt, gibt es Warnsignale, die von einer depressiven Verstimmtheit, körperlichen Erschöpfung, Antriebslosigkeit bis zum erhöhten Konsum von Medikamenten oder Alkohol reichen.
Wenn solche Symptome von den Betroffenen selbst ignoriert werden, dann fallen sie hoffentlich den Kameraden auf. Rainer Stelten von der Ortsfeuerwehr Otterstein in der Gemeinde Grasberg hat erlebt, wie Feuerwehrleute schweißgebadet am Einsatzort eingetroffen sind. „Die waren auf gar keinen Fall einsatzfähig.“ Das wiederum kann Leben kosten, das der Unfallopfer, des Betroffenen oder von Kameraden. Darum ist eben die Prävention von herausragender Bedeutung. Die Kollegen müssen wachsam und informiert sein, um die Anzeichen für ein Problem deuten zu können.
Das PSNV-E-Team hält Ratschläge für den Umgang mit einsatzbedingtem Stress vor: Abstand gewinnen, aktive Entspannung, Pausen machen, über das Erlebte sprechen und Unterstützung bei der Familie oder im Kreis der Freunde und Kameraden suchen.
Die Peer-Schulung wollen die Feuerwehrleute übrigens „urlaubsneutral“ am Wochenende abhalten. Für den PSNV-Dienst ist bisher keine Freistellung durch den Arbeitgeber vorgesehen. Es fehlt offenbar das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung. Zwar gibt es Statistiken, die das Erkrankungsrisiko bei der Freiwilligen Feuerwehr im Vergleich zu den Profi-Brandbekämpfern als niedrig ausweisen. Doch Schenk hält die Vermutung von einer hohen Dunkelziffer dagegen. „Außerdem verabschieden sich viele Belastete aus dem Freiwilligen-Dienst, bevor sie auffällig werden.“