Landkreis Osterholz. Als der Worpsweder Museumsverbund im Winter-Lockdown 2020/21 sein Mehrjahresprojekt "Zeitenwende" entwarf, hatten die vier Ausstellungshäuser dabei globale Zukunftsthemen wie Klimawandel und digitale Transformation im Sinn. Zwar besetzte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Begriff am 27. Februar – nach Russlands Überfall auf die Ukraine – für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Doch damit, sagt Verbundsgeschäftsführer Matthias Jäger, wurde der Grundgedanke des Zeitenwende-Projekts eigentlich erst recht ins Bewusstsein der Menschen gehoben.

Matthias Jäger, Geschäftsführer des Worpsweder Museumsverbunds.
"Kunst im Aufbruch in einer Welt im Umbruch" lautet denn auch der Untertitel, der schon im Vorjahr für das Ausstellungs-, Kunst- und Forschungsprojekts gewählt wurde. Kunst und Kultur haben nach Jägers Überzeugung bestimmende Aspekte von Wandel und Krise aufzugreifen, um sich den Fragen gemeinsam mit dem Publikum zu stellen. Für die beteiligten Museen – Barkenhoff, Kunsthalle, Kunstschau und Haus im Schluh – habe "Zeitenwende" außerordentlich vielversprechend begonnen.
Worum geht es?
Im Mittelpunkt des Projekts stehen die 150. Geburtstage von Heinrich Vogeler (2022), Bernhard Hoetger (2024) und Paula Modersohn-Becker (2026) sowie das 100-jährige Jubiläum der Eröffnung der Großen Kunstschau (2027). Den Auftakt markiert die Ende März eröffnete Ausstellung "Heinrich Vogeler. Der
Neue Mensch".
Die Retrospektive soll – wie auch die Folgeveranstaltungen - Leben und Werk ausführlich darstellen und zugleich Brücken in die Gegenwart schlagen. Beinahe exemplarisch für eine fast schon beklemmende Aktualität steht Vogelers Friedensappell vom Januar 1918 an den Kaiser sowie die im Barkenhoff gezeigte "Kriegsfurie" von 1919.
Welche Akzente setzen die vier Häuser?
Der Barkenhoff war drei Jahrzehnte lang Vogelers Lebens- und Arbeitsstätte; dort lässt sich nachvollziehen, wie Leben und Werk, Kunst und Weltanschauung einander durchdringen. Die Große Kunstschau zeigt mit dem Gemälde "Sommerabend" den Universalkünstler in Beziehung zu seinen Worpsweder Malerkollegen. Ein Hingucker sind Vogelers Schrift-Typen, die in die Kuppel der Rotunde projiziert werden. Das Haus im Schluh widmet sich der angewandten Kunst in Vogelers vom Jugendstil geprägten Werk: Buchkunst, Möbel, Silber, Glas, Porzellan. Die Kunsthalle fokussiert sich auf grafische Arbeiten unterschiedlicher Werkphasen aus Vogelers Werkstatt.
Welche Rolle spielt aktuelle Kunst?
Im neuen Teil der Großen Kunstschau befassen sich 19 zeitgenössische Künstler mit Themen wie Gerechtigkeit im globalen Maßstab. Besondere Aufmerksamkeit erregte "The fragile balance of utopia", eine Installation von Katharina Mischer und Thomas Traxler.

Eine Ausstellungsbesucherin betrachtet auf dem Barkenhoff Vogelers ”Die Geburt des Neuen Menschen” aus dem Jahre 1923.
Jäger erklärt: "Bei den zeitgenössischen Positionen geht es um Fragen wie: Welche Werte sind uns wichtig? Was sind wir bereit zu geben?" Ähnliche "Vergegenwärtigungen" planen die Verantwortlichen auch in den Folgejahren mit Hoetger ("Zwischen den Welten: Interkulturelle Brückenschläge") und Modersohn-Becker ("Der unteilbare Himmel: Universelle Gleichberechtigung in einer diversen Welt).
Wie ist das Echo?
Die vier Häuser haben die Vermarktung der Vogeler-Jubiläumsausstellung in die Hände des Museumsverbunds gelegt. Als Glücksfall fürs Marketing erwies sich dabei der um ein Jahr verschobene Kino-Start der Doku-Fiction "Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers", der im Mai in die Kinos kam und im Dezember auf Arte gezeigt wird (Hauptrolle: Florian Lukas, Regie: Marie Noëlle).

Vorsichtig anfassen erlaubt: Die Installation ”The fragile balance of utopia”.
Die Bremer Produktionsfirma Kinescope-Film und der Berliner Farbfilm-Verleih, die Worpsweder Museen und ihre Bremer Netzwerk-Partner (Kunsthalle, Böttcherstraße, Focke-Museum) bündelten ihre Kräfte, fanden weitere Kultur- und Medienpartner und registrierten bis zum Pfingstwochenende bundesweit 689 Medienberichte über Film und Ausstellung; damit seien fast 250 Millionen Menschen erreicht worden, sagt Matthias Jäger. Drei Wochen lang warben allein in Bremen 40 große Plakate für Vogeler (Infos unter www.vogeler22.de).
Wie entwickeln sich die Besucherzahlen?
"Im Augenblick sieht es sehr gut aus", sagt der Geschäftsführer des Museumsverbunds. "Endlich können wir wieder machen, wofür wir da sind." Ob 2022 zum Neustart für die Worpsweder Museen taugt, sei trotzdem noch nicht sicher, und das habe mit der Pandemie und den Vorjahren zu tun. Schon 2018 und 2019 seien wegen der heißen Sommer schwierige Jahre gewesen, mit Besucher-Rückgängen von 20 bis 30 Prozent. Seit April aber lägen die Zahlen erstmals wieder über denen von 2017 und im Mai reichten sie erstmalig an die Spitzenwerte aus 2012 und 2014 heran. "Zeitenwende" habe das Zeug zum Erfolgsprojekt, das die Museen auch dringend bräuchten.
Wie geht es weiter?
Die Bausteine der Vogeler-Schau sind noch bis 6. November zu sehen, doch schon jetzt liegt die Messlatte für die nächsten Zeitenwende-Beiträge hoch; da macht sich Jäger nichts vor. "Wir sind mit der stärksten Position gestartet, und wir haben die ganzen Werke ja auch." Im Alleingang hätte der Verbund, der die Film-Verantwortlichen zunächst von einer gemeinsamen Wort-Bild-Marke überzeugen musste, auch kaum eine solche Breitenwirkung erzielen können. Der Film habe auch neues Publikum nach Worpswede gebracht; für Ende Juli sei dazu eine Besucherbefragung geplant. Und im Herbst folgen Umfragen in Bremen, Hannover und Hamburg, wie man Nicht-Besucher anlocken könne.

Zum Auftakt der Vogeler-Ausstellung hatte der Museumsverbund in die Bötjersche Scheune eingeladen.
Trotzdem sei er guter Dinge: Für Hoetger und Modersohn-Becker gebe es bereits "tolle Partner in der Region", mit denen der Verbund ebenfalls eng zusammenarbeiten wolle. Besondere Hoffnungen richten sich für 2024 und 2026 auf die Worpsweder Künstlerhäuser, wo sich zeitgenössische Künstler in den Ateliers einbringen könnten. Bei Projektkosten von rund einer Viertelmillion Euro hofft der Verbund von 2024 bis 2027 auf Landkreis-Mittel von drei mal 10.000 Euro.