Tarmstedt. Dass Henry Michaelis in diesen Tagen als Geschäftsführer der Diakonie-Sozialstation Tarmstedt grüßt, mag den einen oder die andere wundern, denn der Tarmstedter ist seit 2017 Rentner. Andererseits erscheint der Hobby-Imker, Musiker und Lokalpolitiker in dieser Rolle doch sehr vertraut, denn der 70-Jährige ist so etwas wie die personifizierte Sozialstation. Die Sache ist die: Michaelis ist seit Oktober Interims-Geschäftsführer, nachdem sich die Kirchengemeinde Wilstedt/Tarmstedt, 100-prozentige Gesellschafterin des ambulanten Pflegedienstes, der als gemeinnützige GmbH geführt wird, vom Vorgänger getrennt hat. "Wir sind auf der Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit", so Michaelis.
Es begann im Jahr 1909
Der kann eine Menge erzählen über die Aufgaben der Sozialstation und ihre Geschichte, denn er ist ein Mann der ersten Stunde. Beginnen wir also mit der Historie, die ins Jahr 1909 zurückreicht. Damals stellte das Rotenburger Diakonissenhaus erstmals eine Gemeindeschwester für Wilstedt ab, sie bezog ihre Station an der Konterschaft. Krankenbesuche und -pflege, Vorsorgeuntersuchungen an Schulen gehörten zu den Aufgaben, aber auch Seniorenarbeit und die Betreuung von Frauenkreisen. Sie hatte mehrere Nachfolgerinnen, bis sich 1984 die Diakonisse Elisabeth in den Ruhestand verabschiedete. Nun kam der gelernte Krankenpfleger Henry Michaelis ins Spiel, der damals im Lilienthaler Krankenhaus arbeitete und mit seiner Familie im Gemeindehaus an der Kleinen Trift in Tarmstedt wohnte. Der Kirchenvorstand trug ihm die Nachfolge der Gemeindeschwester an, Michaelis übernahm den Job – und entwickelte daraus die Diakonie-Sozialstation.
1995 kam die Pflegeversicherung
"Der Bedarf ist stetig gewachsen", sagt Michaelis, die Bevölkerung wurde älter, die Liegezeiten in den Krankenhäusern kürzer." Eine echte Herausforderung sei 1995 die Einführung der Pflegeversicherung gewesen, denn von da an war es vorbei mit der Unterstützung durch Kirche und Gemeinde. "Wir mussten wirtschaftlich arbeiten, durften keine Subventionen mehr bekommen und mussten uns am Markt behaupten", so Michaelis.
Das sei gelungen, sagt die Pflegedienstleiterin Tanja Buß. Rund 250 Patienten in der Samtgemeinde Tarmstedt und in Grasberg würden derzeit versorgt, was für die Angehörigen eine große Entlastung sei. Einerseits würden hauswirtschaftliche Leistungen erbracht wie Wäsche waschen, Fenster putzen, Reinigung und manchmal auch kochen. Andererseits gehe es um pflegerische Aufgaben, wie Verbände erneuern, Infusionen wechseln, Medikamente und Spritzen geben, waschen, anziehen, fertigmachen für die Tagespflege. "Die allgemeine Pflege ist unser Schwerpunkt", so Buß. 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen auf der Gehaltsliste.
Begleitung von Sterbenskranken
Von den sieben Fachkräften für den medizinischen Bereich haben zwei eine Fortbildung in der Palliativversorgung gemacht. "Dieser Bereich mit der Begleitung sterbenskranker Menschen wird mehr", berichtet Buß. In enger Zusammenarbeit mit dem Wilstedter Ärzte-Ehepaar Riedesel, das sich ebenfalls in der Palliativversorgung fortgebildet habe, gehe es darum, den Patienten in der absehbar letzten Lebensphase in vertrauter Umgebung Schmerzen und Ängste zu nehmen. "Wir sind Teil eines Netzwerks, zu dem noch weitere Ärzte, aber auch Seelsorger und Sozialarbeiter gehören."
Knappes Zeitbudget
Der Leistungskatalog sei von der Pflegekasse vorgegeben. In der täglichen Praxis heiße das: "Wir haben in der Regel sehr wenig Zeit, in vielen Fällen ist sie einfach zu knapp bemessen", sagt die Pflegedienstleiterin. "Wir müssen sehen, wie wir mit dem Geld hinkommen." Früher, als sie selbst noch in der Pflege tätig war und "in die Häuser gegangen bin, da konnte man noch mal einen Kaffee trinken. Das ist längst vorbei", bedauert Tanja Buß. Es sei richtig, dass die Mitarbeiter "anständig bezahlt" würden, nämlich nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes. Auf der anderen Seite gehe das knappe Budget zu Lasten der Kunden, für die immer weniger Zeit eingeplant werden könne. Dass die Regierung die Bezahlung aller Pflegekräfte vereinheitlichen wolle, sei gut. Leider gebe es "private Anbieter, die weniger bezahlen". Vom Fachkräftemangel sei ihre Einrichtung nicht betroffen: "Derzeit sind wir gut besetzt. Und wir kriegen immer mal Anfragen", so Buß, die seit einem Jahr zum Team gehört.