Den Salbei hat es hart getroffen. Ob er das Hochwasser und den darauffolgenden Frost unbeschadet überstanden hat, wird sich erst im März zeigen, wenn sich das Wasser komplett verzogen hat. Bis dahin muss Jungbäuerin Charlotte Niekamp (30) aus Westen sprichwörtlich abwarten und Tee trinken, schlimmstenfalls die Fläche noch einmal komplett neu einsäen. Dann könnte sie nicht ernten, was sie bereits vor Monaten gesät hat – ihre ganze Arbeit wäre also umsonst gewesen. "Mit Kräutern ist es das gleiche Prinzip wie mit Wintergetreide – wir bauen im Herbst an, um im Sommer höhere Erträge zu erzielen", erzählt die aus Scheeßel stammende Jungbäuerin.
Doch es sind nicht nur die Folgen des Hochwassers, die der studierten Landschaftsökologin schwer zu schaffen machen, es sind ihrer Ansicht nach die Folgen einer jahrzehntelang verfehlten Agrarpolitik. Obwohl sie auf der Liste der Grünen bei der vergangenen Kommunalwahl erfolgreich für den Dörverdener Gemeinderat kandidiert habe, sei sie parteilos, betont die Jungpolitikerin, kann sich einen kleinen Seitenhieb dann aber doch nicht verkneifen: "Seit 2005 war das Agrarressort ununterbrochen in den Händen von CDU und CSU." Auch damals seien die Folgen des Klimawandels und des Pestizideinsatzes für die Umwelt bereits absehbar gewesen.
Ohne Registriernummer keine Hilfen
An Hochwasser-Hilfen wagt Niekamp, die auf einem Drittel Hektar 35 verschiedene Kulturen anbaut und ihre Kräuter wie Pfefferminze, Thymian und Salbei später zu Tee verarbeitet, gar nicht zu denken: "Als Kleinbäuerin falle ich doch ohnehin schon durch jedes Raster", erzählt sie resigniert und ergänzt: "Erst ab einer Größe von einem Hektar würde ich überhaupt eine Registriernummer erhalten." Deswegen fordere sie schon lange, die bestehenden Subventionen zugunsten kleinerer Betriebe umzuverteilen.
Nachdem sie zuerst in anderen Westener Betrieben gearbeitet hatte, wagte Niekamp vor zwei Jahren den Sprung in die Selbstständigkeit, unterhält seit einem Jahr die kleine Gärtnerei "Kraut und Blüten" am Rande des ehemaligen Bahndamms. Niekamp weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es für Jungbäuerinnen ist, an Land zu kommen: "Die Preise sind absurd hoch und wir konkurrieren mit Industriegebieten und Großgrundbesitzern." Ihre Forderung: Hilfen bei der Existenzgründung. Neben ihren Kräutern baut Niekamp auf dem von ihr gepachteten Grund und Boden auch Bohnen an und bindet Sommersträuße aus ihren Schnittblumen. Erhältlich sind ihre Produkte unter anderem auf den Wochenmärkten und in den Bioläden der Region.
Kritik an Subventionskürzung
Obwohl sie keine eigenen Landmaschinen besitzt, dementsprechend nicht unter der sukzessiven Streichung der Agrardieselbeihilfe bis 2026 zu leiden hat, empfindet die 30-Jährige den Vorstoß der Ampelregierung in Berlin als "falsches Signal". Auch im Landkreis Verden hatten die Landwirtinnen und Landwirte wochenlang gegen das Auslaufen der Agrardieselsubvention und die geplante Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Maschinen protestiert. "Es braucht Forschung und Förderung zu alternativen Antriebsformen, zum Beispiel mit Reststoffen aus der Lebensmittelverarbeitung. Und: Wenn mehr Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, brauchen wir weniger Maschinen."
Auch in puncto landwirtschaftliche Ausbildung fordert die 30-Jährige ein generelles Umdenken: weg von konventionellen Inhalten, hin zu mehr Ökolandbau. Außerdem plädiert sie dafür, dass konventionelle Betriebe künftig stärker in Sachen Ökolandbau beraten werden.
Stichwort Finanzen: "Wir Bäuerinnen und Bauern arbeiten häufig unter Mindestlohn. Vor allem die Kosten für die ökologische Landwirtschaft oder mehr Tierwohl können durch die niedrigen Preise, die wir für unsere Produkte bekommen, nicht gedeckt werden." Die Politik müsse durch Umverteilung dafür sorgen, dass sich alle Menschen gutes Essen zu fairen Preisen leisten können und wir Bäuerinnen und Bauern gerecht entlohnt werden", fordert die Kräutergärtnerin aus dem Allerdorf.
Einsatz für lebendige Demokratie
Doch nicht nur für die Belange der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, auch für eine lebendige Demokratie und Gleichstellung auf dem Land kämpft die Wahl-Westenerin: "Ich bin damals mit 28 Jahren Vorsitzende der Gruppe Grüne/Linke im Dörverdener Gemeinderat geworden", blickt sie auf ihre Anfänge in der Kommunalpolitik zurück. Noch immer sei die Gemeindepolitik patriarchalisch geprägt: "Als 50-jähriger Mann wird man einfach ernster genommen als als junge Frau. Das ist einfach so", resümiert sie.
Für Niekamp war es keine Frage, auf der Großdemo gegen Rechtsextremismus in Verden Flagge zu zeigen. In diesen Zeiten müsse die Demokratie schließlich verteidigt werden. Die Landwirtschaft in Deutschland sei nun einmal auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen, aus diesem Grund sei die Forderung der Rechten, Menschen mit Migrationshintergrund auszuweisen, nicht nur unmenschlich, sondern auch absurd.
Was macht eine Jungbäuerin eigentlich im Winter? "Ich nutze die dunkle Jahreszeit für Büro- und Aufräumarbeiten", verrät Charlotte Niekamp, außerdem habe sie dann auch mehr Zeit für Politik. Die Herausforderungen vor ihrer eigenen Haustür sind derzeit nicht gerade klein – die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter fordert gerade alle.
Hohe Dichte an Ökobauern
Ist denn trotz aller Widrigkeiten – von den Hochwasserfolgen bis zur fehlenden Förderung für Junglandwirtinnen – bei Charlotte Niekamp überhaupt noch Land in Sicht? Klar. Sie habe es nie bereut, nach Westen zu ziehen und sich dort selbstständig zu machen – Kunststück, gehört das bunte Allerdorf doch zu den Ortschaften mit der höchsten Dichte an Ökobauern im gesamten Landkreis. "Bis auf Milch können wir hier alle Nahrungsmittel aus heimischer Produktion erhalten und eine Kneipe gibt es auch", erzählt Charlotte Niekamp lachend und hofft weiterhin, dass sich der Salbei noch einmal berappelt und die ganze Arbeit nicht umsonst war.