Der Geruch von Leder und Reinigungsbenzin hängt in der Luft. Auf der Werkbank liegen zwei prunkvolle Sitzmöbel, deren Aura Geschichten von Jahrhunderten erzählt. Mit ruhiger Hand legt Nikolaus Klee an einem Stuhl aus der Bremer Güldenkammer eine Presszulage an, während sein Chef Manfred Hübner die Lederflächen eines historischen Senatsgestühls mit einer speziellen Tinktur behandelt. Es ist ein konzentriertes Arbeiten in Fischerhude, in einer Werkstatt, die wie geschaffen scheint für die Bewahrung historischer Schätze. „Hier wohne und arbeite ich meinen Traum“, sagt Hübner über den Standort, den er als ideal empfindet: umgeben von Natur, getragen von einer ausgezeichneten Nachbarschaft, in einer Atmosphäre, die Ruhe und Inspiration zugleich bietet.
Die Leidenschaft für Holz und alte Möbel begleitet Hübner seit Jahrzehnten. Besonders angetan hat es ihm der europäische Walnussbaum – ein Material, das der Experte als „vielseitig, vielfarbig, schlicht streifig bis wild gemasert“ beschreibt. Mal warm und dunkel, mal hell und lebendig: die Variationen in Farbe, Struktur und Wuchs machen das Holz für ihn zum spannendsten Werkstoff.
Diese Faszination überträgt sich auf die Möbel, die er restauriert, und prägt seinen Arbeitsalltag, der selten Routine kennt. „Einen typischen Arbeitstag gibt es bei uns eigentlich nicht“, erklärt er. Zwar beginnt jeder Morgen um sieben Uhr mit einer Tasse Kaffee und einer kurzen Teambesprechung mit Nikolaus Klee, doch danach entscheidet der Auftrag über den Verlauf: Mal Werkstattarbeit, mal Auslieferung, mal Montage vor Ort. Jeder Tag birgt eine neue Herausforderung – und genau das macht den Reiz aus.
Inspiration, Verzweiflung und Stolz
Eine der ersten großen Aufgaben, die ihn nachhaltig prägten, war die Restaurierung der Güldenkammer im Bremer Rathaus. Ende der 1980er-Jahre, noch recht unerfahren, stand Hübner drei Jahre lang in Etappen vor dem prachtvollen Raum. „Ich hatte so etwas noch nie gesehen“, erinnert er sich. Die Gelegenheit, an einem solch außergewöhnlichen Projekt mitzuwirken, habe ihn tief beeindruckt. Der Kontakt zu öffentlichen Auftraggebern, der sich damals anbahnte, ist bis heute ein wichtiger Teil seiner Arbeit geblieben.
Doch nicht nur die Faszination, auch die Verzweiflung kann im Restauratorenleben ihren Platz haben. Besonders eindrücklich war für Hübner der Auftrag zur Sanierung der „Glocke“ in Bremen, genauer: der Wandvertäfelungen in den Sälen und in der Wandelhalle. Zwischen 1995 und 1997 mussten die hölzernen Elemente innerhalb kürzester Zeit komplett ausgebaut, in die Werkstatt gebracht und rechtzeitig wieder eingebaut werden. „Zwischendurch hatte ich schon Bammel, ob wir das alles pünktlich schaffen“, gibt er offen zu. Am Ende gelang es – ein körperlicher und psychischer Kraftakt, der ihn noch heute mit Stolz erfüllt.

In seiner Restaurierungswerkstatt bekommt es Manfred Hübner immer wieder mit uralten Möbelstücken zu tun, die auf seine Feinbehandlung warten.
Sein Kundenkreis ist breit gefächert. Privatleute bringen Erbstücke, öffentliche Institutionen beauftragen komplexe Restaurierungen meist unter den strengen Vorgaben des Denkmalschutzes. Beratung gehört ebenso dazu wie die eigentliche Ausführung. „Ich höre mir sehr gerne alles an“, betont Hübner. Während er bei privaten Aufträgen mehr gestalterische Freiheit genießt, sind die Rahmenbedingungen im öffentlichen Bereich enger gesteckt – nicht zuletzt, weil die Arbeit hier ein Stück kollektives Kulturerbe betrifft.
Dass er ein Händchen für Details hat, bestätigt auch sein Mitarbeiter. Nikolaus Klee beschreibt seinen Chef als präzise, kollegial und enorm erfahren. „Ein Lackfuchs“, Möbel-Doktor und Kenner der verschiedensten Oberflächen, fügt er hinzu – einer, der sich nicht zufriedengibt, wenn ein Ergebnis nicht vollkommen überzeugt. Diese Haltung prägt nicht nur den Arbeitsstil, sondern auch die Atmosphäre in der Werkstatt: ein respektvolles Miteinander, getragen von dem Bewusstsein, dass jedes Möbelstück eine Geschichte in sich trägt, die es zu bewahren gilt.
Sein Credo ist klar: Vorschnelles und unüberlegtes Handeln hat bei alten Möbeln nichts verloren. Geduld, ein geschultes Auge und die Bereitschaft, sich intensiv mit einem Objekt auseinanderzusetzen, sind für ihn unverzichtbar. Fehler wie Ungeduld oder Aktionismus können irreparable Schäden hinterlassen. „Manchmal ist es wichtiger, weniger zu tun, als zu viel“, lautet eine seiner Überzeugungen.
Suche nach der besten Lösung
Doch wie sieht die Zukunft aus, wenn er eines Tages selbst in den Ruhestand geht? Hübner ist Realist. Zwar wünscht er sich eine Nachfolgeregelung, doch die Suche gestaltet sich schwierig. „Nikolaus Klee wird es nicht, sein Weg führt nicht in die Selbstständigkeit“, sagt er nüchtern. Nachwuchs ist rar, der Antiquitätenmarkt schwächelt seit Jahren, die Nachfrage nach alten Möbeln hat deutlich nachgelassen. „Es ist nicht mehr so ganz leicht, hauptberuflich davon leben zu können“, räumt er ein. Seine Idee: eine Übergangszeit, vielleicht eine Zusammenführung mit einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin, um den Betrieb behutsam in neue Hände zu geben und ihn auf diese Weise weiterzuführen.

Nikolaus Klee bereitet das Leimen einer Sprosse an einem Stuhl aus der Güldenkammer des Bremer Rathauses vor. Dabei bedient sich der Mitarbeiter des Restaurators einer Presszulage.
Bis dahin aber steht die Werkstatt in Fischerhude nicht still. Zwischen Werkbänken, Pressen und Schränken voller Öle, Farben und Werkzeuge setzt Hübner seine Arbeit fort – detailversessen, geduldig, immer auf der Suche nach der besten Lösung. Sein Werdegang spiegelt dabei eine konsequente Entwicklung wider: vom gelernten Tischler über die Leitung einer Restaurierungswerkstatt bis hin zum eigenen Betrieb. Seit 2021 schreibt er das jüngste Kapitel seiner Geschichte in den Räumen der ehemaligen Rohmeyer-Tischlerei in Fischerhude.
Am Ende bleibt der Eindruck eines Mannes, der in seiner Arbeit mehr sieht als bloßes Handwerk. Es ist die Verbindung aus Respekt vor dem Alten, Neugier auf das Material und Freude an der täglichen Abwechslung, die Manfred Hübner antreibt. Ob in der prachtvollen Güldenkammer, in der akustisch berühmten „Glocke“, in seiner Werkstatt im Grünen oder beim Privatkunden – stets steht für ihn der Gedanke im Vordergrund, Geschichte zu bewahren und für kommende Generationen erfahrbar zu machen.