Ein Historiker als Bauer und Künstler verkleidet und ein ehemaliger Pastor als Moritatensänger: In diesen Genuss sind jüngst im Rahmen der 900-Jahr-Feier von Fischerhude und Quelkhorn die Besucher in Buthmanns Hof gekommen. Fischerhude-Experte Manfred Wolffson und der bis 2015 als Ortspfarrer tätige Manfred Ringmann waren als ungleiches Duo die Haupt-Protagonisten, die mit Mistforke und einem langen Wümme-Heukahn-Staken in den Saal klapperten. Mitgebracht hatten die beiden Freunde für das Publikum aber nicht nur Vergnügliches auf Hoch- und Plattdeutsch, sondern auch viele wissenswerte Informationen und Anekdoten rund um die Dörfer zwischen Wümme und Surheide.
Doch bevor das Programm auf der Bühne richtig losging, stand erst mal eine standesgemäße Begrüßung in Platt auf dem Plan. “Wat weut ji denn hier – seid ji all dull in‘n Kopp? De Hochtiedsfier is vondag bi Körbers und dat Konzert inne Karken. Also rut hier! Disse Saul is för us hiesigen Lür ut’n Dörp all lang reserviert! Ja hebbt hier nix verlohrn!“, riefen Wolffson und Ringmann – gespielt genervt – in die Menge. Nach dem sprachlichen Wechsel ins Hochdeutsche bespaßten der verkappte Bauer und weitere Akteure die Zuschauer rund zwei Stunden unter dem Motto: „Streifzüge durch die Fischerhuder und Quelkhorner Geschichte“. Das gelang Wolffson mit spannenden und informativen historischen Beiträgen in Wort und Schrift, einer kurzen Mundharmonika-Musikeinlage und weiteren Verkleidungen als Halb-Bauer/Halb-Künstler, Amtmann und Drehorgelspieler.
Spätestens jetzt erkannte nun jeder den Namensursprung der jeweiligen Dörfer:„Quilechorne“, später mal auch „Twillichorne“, heißt jetzt, wie auf den neuen Ortsschildern plattdeutsch vermerkt, „Quellkorn“. Der Name sei zusammengesetzt aus „Quelle“ (weil es am oberen, westlichen Teil des Berges tatsächlich eine Quelle gibt) und „Horn“ (Bergspitze), ließ Wolffson das Publikum wissen. Fischerhude habe derweil anfangs „Widagheshude“ geheißen. Dies komme von „Wig” (Kampf) und “dag” (Licht/Glanz) plus “Hude”, das eine Übergangsstelle sei vom Land- zum Schiffsverkehr. "Also könnte man sagen: Die Anlegestelle des glänzenden Kämpfers“, folgerte der Historiker. Später zogen laut Wolffson mehrere Kleinsiedlungen in den Wümmewiesen zusammen zum jetzigen Ortskern um das Heimathaus Irmintraut, um nicht ständig unter Hochwasser zu leiden. Um 1300 herum nannten sich diese „Vysscherhude“.
Baumann führte in der Hierarchie
Auch auf die frühere Bauernstände-Hierarchie und die extrem ungleiche Vermögens- und Rechteverteilung ging Wolffson in seinem amüsanten und aufschlussreichen Vortrag ein. Ganz oben auf der Liste stand demnach einst der Baumann, dahinter reihten sich Köthner, Brinksitzer, Neubauer, Anbauer und Häuslinge ein. Zwei Sketche um Lausbuben und Dragoner rundeten die Show von Manfred Wolffson und Manfred Ringmann schließlich ab. Die Komparsen Hajo und Jens Peper sowie Jakob Hildebrand und Janne Petersen erweckten die Szenerie auf der Bühne zum Leben, begleitet von Walter Vorderstraße mit seiner markanten Stimme. Zunächst ging es um die Frage, wie eine Hofstelle Blanken ihren Spitznamen „Tell“ bekam. "Da hatte doch tatsächlich ein Bauernsohn und Lausbube Wilhelm – mithilfe seiner Brüder – dem an der halb geöffneten, großen Dielentür nach außen lehnenden Vater glatt die dicke Zigarre aus dem Mund geschossen", überlieferte Wolffson.
Wie es unter dem Ottersberger Amtmann Wesemann 1662 zum „Großen Gänsemord in Fischerhude“ kam, dieses Geheimnis wurde im zweiten Sketch gelüftet. "Wütend darüber, dass ihm die freiwillige, jährliche Spende an Gänsen nicht gebracht wurde, schickte er seine Dragoner ins Wümmedorf, damit diese ihm die Gaben mit Gewalt holen. Mit 69 Stück war die blutige Ernte aber des Guten zu viel und er bekam aus Stade gehörigen Ärger und musste den Schaden dann selbst bezahlen", fasste Wolffson die Geschichte zusammen. Manfred Ringmann hielt ergänzend hierzu einen Bildervortrag über die "Watermeier" – also den Aalfangrechten, die die Großbauern exklusiv unter sich aufteilten. "Das durch regelmäßige Überflutungen der Wümmewiesen natürlich gedüngte, üppig wachsende Gras und die Gänsezucht verhalfen vornehmlich den Bauleuten und Köthnern zu großem Reichtum. Dadurch entstanden hier die schönen, immer noch ortsbildprägenden, großen Bauernhäuser", so Wolffson.
Speziell Fischerhude sei früher ein verstecktes, abseits gelegenes Inseldorf gewesen, welches man nur schwer habe finden können. Es bewahrte das Dorf aber so auch vor Überfällen wie etwa im 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648), während Quelkhorn – am Handelsweg zwischen Hamburg und Bremen liegend – schwer gelitten habe. "Plündernd zogen marodierende Banden durchs Dorf, hängten, plünderten und steckten es am Ende in Brand", erzählte Wolffson, ehe der Applaus ihm und seinen Mitstreitern am Ende die Gewissheit gab, mit seinem Vortrag den Nerv des Publikums getroffen zu haben.