Für Beschäftigte in der Pflege und im Gesundheitswesen beginnt am Montag eine neue Zeitrechnung. Ab 16. März müssen sie eine Impfung gegen das Coronavirus nachweisen können, wenn sie weiter in ihrem Beruf arbeiten wollen. Ein Schritt, den die Betroffenen im Landkreis Verden unterschiedlich bewerten. Martin Albrecht, Leiter des Seniorenzentrums Haus Achim der Arbeiterwohlfahrt (Awo), wird deutlich: "Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht macht keinen Sinn."
Zwar sei es richtig, vulnerable Gruppen zu schützen, sagt Albrecht. Doch die selektive Impfpflicht sei dazu kaum geeignet. Denn mit den anstehenden Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, wie etwa dem diskutierten Wegfall der Maskenpflicht in Geschäften, sieht er die Bewohner in ihrer Alltagsgestaltung einem höheren Risiko ausgesetzt. Zudem könnte das Virus über Besucher den Weg in die Pflegeeinrichtung finden. Auch für Mitarbeiter steige die Gefahr einer Ansteckung, wenn viele der bisher geltenden Regeln zum Schutz vor der Ausbreitung von Sars-Cov-2 außer Kraft gesetzt werden.
Anders bewertet Peter Ahrens, Chefarzt und ärztliche Direktor der Aller-Weser-Klinik, die Lage. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei "völlig in Ordnung". Er sei kein Befürworter einer generellen Impfpflicht, betont Ahrens. Sie wäre seiner Ansicht nach auch nicht durchsetzbar gewesen. Anders als beispielsweise eine Masern-Impfung schütze eine Corona-Impfung nicht vor der Ansteckung, sondern lediglich vor einem schweren Krankheitsverlauf. Über 90 Prozent der Belegschaft der Krankenhäuser in Verden und Achim seien vollständig geimpft oder genesen. Auch die Zulassung des Vakzins Novavax habe bei den verbleibenden ungeimpften Mitarbeitern kein Umdenken ausgelöst.
Druck lässt Impfskeptiker umdenken
Der sich aufbauende Druck im Hinblick auf die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht hat im Verdener Caritasstift St. Josef hingegen dazu geführt, dass sich die letzten Skeptiker doch noch einen Impftermin gemacht haben. Das hat zur Folge, dass Heimleiterin und Geschäftsführerin Frauke Vehlow nun relativ entspannt auf den 16. März blicken kann.
Die Dörverdener Physiotherapeutin Anja Cordes, die im Weserdorf auch ein Testzentrum eingerichtet hat, sieht die einrichtungsbezogene Impfpflicht "in keiner Weise negativ". Im Gegenteil – aus Eigenverantwortung gegenüber ihren Patienten und vulnerablen Mitmenschen befürworte sie diese. In ihrem Team habe es diesbezüglich auch nie Probleme gegeben.
Auch der Verdener Hausarzt Lutz Banneitz lobt sein verständnisvolles Team, betrachtet die einrichtungsbezogene Impfpflicht jedoch ethisch und moralisch gesehen als hochkomplexes Thema. "Warum muss sich die Kassiererin, die im Supermarkt vielleicht ohne FFP2-Maske hinter ihrer Scheibe sitzt, nicht impfen lassen?", fragt er sich zum Beispiel.
Im Haus Achim hat es nach Angaben von Einrichtungsleiter Albrecht fast zwei Jahre keinen Corona-Fall gegeben. Als es im Januar dann doch einige Bewohner erwischte, sei die Durchseuchungsquote mit 13 Prozent sehr gering geblieben. Das sieht er als Beleg, dass die getroffenen Schutzvorkehrungen wirken. Jeder Mitarbeiter und jeder Bewohner im Haus werde täglich getestet.
Von den 70 Mitarbeitern im Haus Achim sei derzeit nur eine Person nicht geimpft oder genesen, sagt Albrecht. Es handele sich um eine Aushilfskraft, die Versorgung der rund 80 Bewohner sei also dadurch nicht unmittelbar betroffen. Menschlich sei aber auch dieser Fall sehr bedauerlich. Als Leiter der Einrichtung ist er verpflichtet, nicht geimpfte Mitarbeiter dem Gesundheitsamt zu melden. Die dann drohenden Konsequenzen bis hin zum Beschäftigungsverbot findet Albrecht "schwer vermittelbar".
Zwangsgeld droht
Das Land Niedersachsen hat zur Erfassung des Impfstatus des Personals in der Pflege und im Gesundheitswesen ein Online-Portal eingerichtet. Ab dem 16. März haben die Einrichtungen für ihre Meldungen zwei Wochen Zeit. Dann fordern die Gesundheitsämter Ungeimpfte erneut auf, einen Nachweis vorzulegen. "Gleichzeitig wird den Einrichtungen empfohlen, den Beschäftigten vorübergehend patientenfern einzusetzen", teilt das Gesundheitsministerium in Hannover mit. Das sei im Klinikalltag jedoch nur schwer umzusetzen, gibt Ahrens, ärztlicher Leiter der Aller-Weser-Klinik, zu bedenken.
Ohne Impf- oder Genesenennachweis kann das kommunale Gesundheitsamt ein erstes Zwangsgeld von 1500 Euro für Vollzeitbeschäftigte verhängen, die zweite Strafe beläuft sich dann auf 2500 Euro. Nach 90 Tagen sind als weitere Schritte auch Betretungs- oder Tätigkeitsverbote möglich. Der Landkreis Verden weist darauf hin, dass die betroffenen Personen weiterarbeiten können, solange kein ausdrückliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen wurde.