Fast acht Jahre sind seit dem tragischen Ende einer Hausgeburt vergangen. Ihrem Ende neigt sich nun die späte juristische Aufarbeitung des Geschehens zu, das das ungeborene Baby nicht überlebte. Für Dienstag, 29. November, sieht das Landgericht Verden Plädoyers und Urteilsverkündung im Strafprozess gegen die Frau vor, die damals als noch als Hebamme tätig war. Was die 61-jährige Angeklagte aus Neustadt am Rübenberge (Region Hannover) über das bisher zur Rede stehende hinaus erwarten könnte, wurde am vierten Verhandlungstag deutlich.
Die Schwurgerichtskammer erteilte den rechtlichen Hinweis, wonach auch eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen in Tateinheit mit Körperverletzung durch Unterlassen in Betracht komme – abweichend zur Anklageschrift der Staatsanwaltschaft und zum Eröffnungsbeschluss. Die Hebamme, die seit 2017 nicht mehr praktizieren darf, muss sich wegen des Vorwurfs der Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen verantworten. Was sie während der mehrtägigen, zunehmend komplizierten Hausgeburt im Januar 2015 in der Gemeinde Siedenburg (Kreis Diepholz) so alles unterlassen und falsch gemacht haben soll, listete am Dienstag ein Sachverständiger unmissverständlich auf.
Ein Fazit zog der Facharzt schon während der Erstattung seines abschließenden Gutachtens: „Der Tod des Kindes war nicht schicksalhaft, sondern vermeidbar“. Die betreuende Hebamme habe eindeutig Fehler begangen. „Fehlerhaft“ sei allein schon die „Übernahme der Verantwortung für die Hausgeburt“ gewesen, sagte Hubert K. Sommer, Leiter der Klinik für Frauenheilkunde und Gynäkologie am Klinikum in Neustadt am Rübenberge. Bei der schwangeren Frau, einer bereits mehrfachen Mutter, hätten eine ganze Reihe von Risikofaktoren vorgelegen, so neben dem Alter unter anderem auch starkes Übergewicht und Herzprobleme.
97 Stunden in den Wehen
Durch das Überschreiten des errechneten Geburtstermins, genau dem 40. Geburtstag der Frau, ist nach Angaben des Gutachters noch ein zusätzliches Risiko entstanden. Die Überwachung der Herztöne sei ebenso unterblieben wie weitere dringend erforderliche Maßnahmen, vor allem nach dem Platzen der Fruchtblase. Blutuntersuchungen seien bei der Frau nach dem Blasensprung ebenso unterblieben wie eine Kontrolle der Körpertemperatur, nach einem bestimmten Zeitablauf auch eine Antibiotika-Prophylaxe. Spätestens in den Morgenstunden des 13. Januar sei ein Abbruch der Hausgeburt „zwingend“ gewesen, hieß es weiter.
Die am Abend dieses Tages hatte die Frau das Kind im St. Marienhospital Vechta tot zur Welt gebracht. Sie und ihr Ehemann treten im Prozess als Nebenkläger auf. Die „Katastrophe“ habe sich „über viele Tage“ angekündigt, so Sommer, der von 97 Stunden sprach. Es sei „fast unmenschlich, jemanden so lange in den Wegen liegen zu lassen. Die Angeklagte hätte notfalls auch gegen den Willen der Frau für einen Transport ins Krankenhaus sorgen müssen. „Völlig unverständlich“ sei auch, dass die Hebamme das Haus der Familie auch noch am Vormittag des 13. Januar für einige Zeit verlassen habe. Nach ihrer Rückkehr war auf Initiative der Nebenkläger eine nahegelegene Hausarztpraxis mit Ultraschallgerät aufgesucht worden. Dass die Hebamme dort noch schwache Herztöne des Babys vernommen haben will, sei wohl nur „Hoffnung und Wunsch“ gewesen. „Da war das Kind schon tot“.