Von den gut 140.000 Einwohnern im Landkreis Verden ist wohl keiner so direkt vom Ende des Regierungsbündnisses von SPD, Grünen und FDP betroffen wie Gero Hocker. Denn mit dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner endet auch die kurze Karriere des Achimers als Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium. Der FDP-Bundestagsabgeordnete hat am Donnerstagmorgen nach nicht einmal zwei Monaten im Amt seinen Rücktritt bekannt gegeben. Anders als sein Chef, Verkehrsminister Volker Wissing, will er nach der Entlassung Lindners nicht weitermachen. "Für mich stand unmittelbar fest, Verantwortung zu übernehmen und meinen Teil zu schnellstmöglichen Neuwahlen beizutragen", sagt Hocker am Donnerstag. "Mein Rücktrittsgesuch als Staatssekretär habe ich daher dem Minister bereits heute Morgen persönlich überreicht."
Dabei sollte die Ernennung zum Parlamentarischen Staatssekretär nur der Anfang sein. Geplant war auch, dass Hocker Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr wird. "Viele Menschen nehmen die desolate Lage der Bahn als Beleg dafür wahr, dass unser Land dysfunktional ist", sagt Hocker, "dass sich der Staat in immer mehr persönliche Bereiche einmischt, aber für die tatsächlichen Aufgaben des Staates – Infrastruktur gehört zweifellos dazu – zu wenig Mittel bereitgestellt werden. Deswegen hätte ich als Schienenbeauftragter gerne dafür gearbeitet, dass die Bahn wieder attraktiver, pünktlicher und verlässlicher wird."
Dass es nun anders kommt, kreidet Hocker vor allem dem Kanzler an. "Statt inhaltlich über Steuersenkungen, Bürokratieabbau und die Eindämmung des Anstiegs der Sozialversicherungsbeiträge zu diskutieren, hat der Bundeskanzler den Finanzminister zum Bruch seines Amtseides aufgefordert", sagt Hocker. "Kein Gericht würde die Wahl in den USA akzeptieren als Erklärung für das Brechen der Schuldenbremse." Scholz Vorgehen sei eines Bundeskanzlers unwürdig.
Völlig unerwartet kommt das Ende der Regierungskoalition für Hocker nicht. Die Kluft zwischen ambitionierten, aber notwendigen Wirtschaftsreformen auf der einen und dem Ruf nach neuen Schulden aufseiten der SPD und den Grünen sei zuletzt immer deutlicher geworden. "Mit dieser unterschiedlichen Auffassung, was verfassungsgemäß geboten ist, aber auch wie Wirtschaft insgesamt funktioniert, lag ein Ende der Ampel in der Luft", sagt Hocker. Jetzt gelte es, schnell zu handeln. "Je früher die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt und Neuwahlen stattfinden können, umso besser."
Mattfeldt spricht von Realitätsverlust
Das sieht Andreas Mattfeldt, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Völkersen, ähnlich. Die Vertrauensfrage müsse morgen, spätestens kommende Woche gesellt werden, fordert er. "Jeder Tag, den wir früher Neuwahlen haben, ist ein Gewinn für unser Land." Deutschland müsse handlungsfähig und verlässlich sein und die Zukunft sofort gestalten. "Die Wirtschaft liegt am Boden, die Menschen haben Existenzangst, und sie erwarten umgehend Veränderungen und Verlässlichkeit." Dem Kanzler attestiert er "totalen Realitätsverlust". Scholz merke nicht mehr, was im Land los sei. "Dass er vergesslich ist, wissen wir ja, dass er aber auch blind ist, war neu."
Am Tag nach dem Aus der Ampelregierung steht SPD-Kreisgeschäftsführer Roland Güttler noch unter Schock, wie er sagt. "Ich weiß nicht, ob das Ende gut oder schlecht ist. Im Nachhinein sehe ich das eher mit einem weinenden Auge." Für Güttler brechen mit den vorgezogenen Neuwahlen, die wahrscheinlich im März stattfinden werden, jedenfalls anstrengende Monate an. "Für mich ist das blanker Stress, das fing heute früh schon an mit einer Schalte zum Landesverband. Nachts habe ich schlecht geschlafen, weil ich überlegt habe, was alles zu tun ist." Güttler hat schon viele Wahlkämpfe im Landkreis Verden für die SPD organisiert und eine entsprechende Routine. "Wir ziehen unseren Fahrplan durch und werden über unsere Kandidaten für den Wahlkreis am 27. November in Oyten entscheiden." Einem Urnengang im März und einem damit einhergehenden kurzen, konzentrierten Wahlkampf kann er auch positive Seiten abgewinnen. "Das ist mir lieber, als über Monate Stände aufzubauen." Die Forderung der Union nach einem noch früheren Termin hält Güttler für Wahlkampfgetöse. "Es sind Fristen einzuhalten, und viele Wahlkreise haben nicht mal Kandidaten aufgestellt. Außerdem ist es vor Weihnachten sehr schwierig, geeignete Säle für die Versammlungen anzumieten."
Vorbereitung auf den Wahlkampf
Den Bruch der Regierungskoalition in Berlin zum jetzigen Zeitpunkt habe er nicht kommen sehen. "In der Politik ist es wie im Casino, da gibt es immer Überraschungen." Für das Ende macht Güttler in erster Linie Lindner und dessen Papier zur Wirtschaftspolitik verantwortlich. "Das war der Einstieg zum Ausstieg." Letztlich habe die neoliberale FDP mit den Grünen und der SPD eben doch nicht zusammengepasst. Bei der Frage, ob die Sozialdemokraten mit Olaf Scholz als Spitzenkandidat in den Wahlkampf gehen sollten, hält Güttler sich bedeckt. "Scholz ist ja nicht der beliebteste Kanzler in unserem Land. Aber das entscheidet die Partei, ich weiß es nicht."
Für Lennart Quiring, Vorsitzender der Grünenfraktion im Kreistag Verden, kam das Ende der Ampel nur teilweise überraschend. "Ich hatte schon aus der Bundestagsfraktion gehört, dass es passieren könnte. Dass es so schnell kam, damit hätte ich aber nicht gerechnet." Der Auftritt des Bundeskanzlers habe gezeigt, dass für ihn das Maß voll gewesen sei. "Lindner hat sich mit seinem Papier gegen vorher getroffene Vereinbarungen gestellt", sieht auch Quiring die Verantwortung für den Bruch beim FDP-Vorsitzenden. Auf den kommenden Wahlkampf seien die Grünen im Landkreis vorbereitet. "Wir haben einen Plan zur Kandidatenaufstellung. Das passiert am 30. November." Bisher habe ein Kandidat seinen Hut in den Ring geworfen. Angesichts der schlechten Umfragewerte der Grünen sei es wichtig, so Quiring, eine gute inhaltliche Strategie zu entwickeln. "Ich hoffe, dass erst im März gewählt wird, denn einen Wahlkampf über die Weihnachtszeit halte ich für schwierig." Das sei so schon eine Herausforderung. Wichtig sei, im Landkreis auf die Bürgerinnen und Bürger zuzugehen und ihnen zu vermitteln, was die Regierung alles erreicht habe. "Es ist vieles kleingeredet worden", ist Quiring überzeugt.