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Reaktion auf Solingen "Das Sicherheitsgefühl der Menschen ist beschädigt"

Nach dem Anschlag in Solingen erklärt Antje Schlichtmann, Leiterin der Polizeiinspektion Verden/Osterolz, wie sie die Sicherheitslage in der Region bewertet und welche Schlüsse sie aus dieser Tat zieht.
30.08.2024, 15:59 Uhr
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Von Felix Gutschmidt

Frau Schlichtmann, bewertet die Polizei die Sicherheit in den Landkreisen Verden und Osterholz nach dem Anschlag in Solingen anders?

Im Alltag eher nicht. Aber bei größeren Veranstaltungen müssen wir leider von einer abstrakt erhöhten Gefahr ausgehen.

Was bedeutet das?

Abstrakt bedeutet: Es gibt nichts Konkretes. Aber wir müssen eine mögliche Gefahr mit berücksichtigen. Deshalb machen wir immer wieder Sicherheitsüberprüfungen, weil etwas wie in Solingen jederzeit passieren kann. Ich kann da aber auch ein Stück weit beruhigen. Wir haben keine Hinweise auf eine erhöhte Gefahr auf unseren Veranstaltungen in den Landkreisen Verden und Osterholz. Es erfolgt aber eine fortlaufende Gefährdungsbewertung und wir passen unsere Maßnahmen immer wieder an – personell, taktisch und technisch.

Wie bereitet sich die Polizei auf öffentliche Veranstaltungen vor?

Bei bevorstehenden Veranstaltungen wie zum Beispiel dem Hammefest oder dem Thänhuser Markt besprechen wir die Gefährdungslage und die zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen mit den Kommunen und den Veranstaltern. Es ist nämlich unsere gemeinsame Aufgabe, für die Sicherheit bei Veranstaltungen zu sorgen – auch bei den Erntefesten. Wir gucken bei allen Veranstaltungen genau hin. Bei den großen Ereignissen gibt es immer auch ein Sicherheitskonzept, das wir vor und nach jeder Veranstaltung überprüfen und wenn nötig anpassen.

Beim Brokser Markt hat die Polizei ihre Präsenz vor Ort nach dem Anschlag von Solingen erhöht. Ist das eine Möglichkeit, das Sicherheitsgefühl der Menschen zu erhöhen?

Wir haben schon in der Vergangenheit starke Präsenz bei Veranstaltungen gezeigt, um für die Sicherheit der Teilnehmenden zu sorgen. Und mehr ist nicht immer besser, das ist immer eine Abwägung. Klar ist: Das Sicherheitsgefühl der Menschen ist beschädigt, und da kann sichtbare Präsenz der Polizei helfen. Andererseits kann zu viel Präsenz auch für Unwohlsein sorgen bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Was ist die Alternative?

Ich bin ein großer Freund von Präventionsarbeit. Wir müssen mit den Leuten ins Gespräch kommen. Das, was in Solingen geschehen ist, beschäftigt viele Menschen, mich ja auch. Ich bin in erster Linie mit meinen Gedanken bei den Betroffenen und den Angehörigen dieser schrecklichen Tat.

Hätten Sie überhaupt genug Personal, um mehr Polizisten als bisher auf die Straße zu schicken?

Ja, denn wir sind nicht allein. Bei Personalengpässen können wir Unterstützung bei der Bereitschaftspolizei anfordern. Außerdem unterstützen sich die einzelnen Wachen auch untereinander. Beim Hammefest helfen die Kollegen aus Verden, bei der Domweih helfen die Kollegen aus Osterholz.

Sie haben als Polizistin sicher einen anderen Blick auf die Tat in Solingen. Was meinen Sie: Wie kann sich die Gesellschaft vor so etwas besser schützen? Kann sie sich überhaupt schützen?

Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Gesellschaft und Politik müssen und mussten seit jeher austarieren, wie viel Freiheit wir opfern, um mehr Sicherheit zu erlangen. Oder anders herum: Mit wie vielen Befugnissen soll die Polizei ausgestattet werden, und mit wie vielen Einschränkungen sollen die Bürgerinnen und Bürger leben, damit ein höheres Maß an Sicherheit erlangt wird? Ich bin überzeugt, dass wir ein hohes Maß an Sicherheit erreicht haben und dies auch noch ausweiten können. Zwar kann es nie eine hundertprozentige Sicherheit geben, aber ich versichere Ihnen: Die Polizei tut alles, damit sich die Bürgerinnen und Bürger sicher fühlen können.

Wie hat sich Ihr persönliches Sicherheitsgefühl nach den Vorfällen in diesem Sommer verändert? Im Mai wurde einer ihrer Kollegen in Mannheim mit einem Messer tödlich verletzt?

Diese entsetzlichen Taten machen mich fassungslos. Dennoch bleibt die Gefahr für mich hier vor Ort abstrakt. Insofern hat sich mein persönliches Gefühl nicht verändert. Mir ist aber auch klar, dass andere das anders bewerten. So ein Anschlag macht was mit den Menschen. Deshalb müssen wir als Polizei Kurs halten und die Gefährdungslagen immer individuell bewerten. Meine Erfahrung sagt mir außerdem, dass wir im Gespräch bleiben müssen. Wir müssen für die Menschen da sein, ansprechbar bleiben, ihnen zuhören und ihre Sorgen ernst nehmen. Das ist das A und O. Das ist, was unsere Gesellschaft gerade braucht.

Das Gespräch führte Felix Gutschmidt.

Info

Zur Person
Antje Schlichtmann (43) ist seit April 2021 Leiterin der Polizeiinspektion Verden/Osterholz und führt ein Team von mehr als 450 Polizisten, die für die Sicherheit von gut einer Viertelmillion Menschen sorgt. Zuvor war Schlichtmann fünf Jahre Leiterin des Kommissariats Osterholz.
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