Weyhe/Syke/Verden. Am vierten und vorletzten Verhandlungstag hatte der Angeklagte einen ihn hoffnungsvoll stimmenden Hinweis darauf erhalten, wie die Entscheidung des Landgerichts ausfallen könnte: Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft musste der nach einem Fenstersturz auf Krücken angewiesene Mann aus Weyhe erst einmal nicht in die Justizvollzugsanstalt Bremervörde zurückkehren. Zwei Tage später erlangte er die Gewissheit, dass ihm auch keine Strafhaft für eine Tat blühen würde, die schon vor über fünf Jahren verübt haben sollte. Er wurde vom Vorwurf der besonders schweren räuberischen Erpressung freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft hatte dem heute 31-Jährigen hartnäckig zur Last gelegt, einer der beiden Täter gewesen zu sein, die am 30. Januar 2019 in der Berliner Straße in Syke zwei damals 19-Jährige zur Herausgabe von 60 Euro Bargeld, nagelneuen Handys und etwa 20 Gramm Marihuana zwangen. Um die Forderungen zu unterstreichen, soll ein Räuber eine Schreckschusspistole „vorgezeigt“ und einem der Opfer eine Backpfeife versetzt haben. Der strafrechtlich schon hinlänglich in Erscheinung getretene Angeklagte galt bald als dringend tatverdächtig, der Komplize konnte dagegen nie ermittelt werden.
Angeklagter zwischenzeitlich untergetaucht
Bis der Fall in Verden verhandelt werden konnte, sollte es dauern. Der Mann, der über Gefängniserfahrung verfügt und auch den Drogenentzug kennt, hielt sich einige Zeit in Frankreich auf, und als er im Mai 2023 vor dem Landgericht erscheinen sollte, ließ er sich bei drei Terminen nicht blicken. In der Konsequenz erging ein „Ungehorsamshaftbefehl“. Dieser konnte erst vollstreckt werden, nachdem der wohnsitzlose, da von seiner Frau in die Wüste geschickte Mann Ende November bei seiner Mutter aufgetaucht war. In deren Weyher Wohnung war er aus dem Fenster gestürzt, hatte sich einem Transport ins Krankenhaus widersetzt und damit die Polizei auf den Plan gerufen.
So kam es, dass dem Mann nun doch der Prozess gemacht werden konnte. Beileibe nicht sein erster: Das Bundeszentralregister weist für den fünffachen Vater bereits 19 Eintragungen auf. Den Tatvorwurf ließ er über die beiden Pflichtverteidiger pauschal bestreiten, einer Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen stimmte er nicht zu. Was der Gutachter nach dem Studium vieler juristischer Akten und Beobachtungen im Gerichtssaal befand, war letztlich auch nicht mehr von Belang. Das Gericht war nach „schwieriger Beweisführung“ nicht mit der erforderlichen Sicherheit von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt.
In der Begründung des Freispruchs verwies der Vorsitzende Richter auf zum Teil widersprüchliche Zeugenaussagen sowie den Rückzug des einstigen Hauptbelastungszeugen aus der örtlichen Drogenszene. Dem Mann stand aufgrund eines gegen ihn geführten Verfahrens ein Aussageverweigerungsrecht zu, von dem er Gebrauch machte. Als „Kernproblem“ bezeichnete der Richter indes, dass die beiden Raubopfer den Angeklagten nicht als einen der mit Schusswaffe hantierenden „Abzocker“ zu identifizieren vermochten. Die beiden jungen Männer aus Syke und Bremen sollen damals im Drogenhandel als „Läufer“ unterwegs gewesen sein. Sie hatten bei der Polizei zunächst verschwiegen, dass man ihnen auch das Marihuana abgeknöpft hatte, das sie gerade ausliefern wollten.
Das Gericht entsprach mit dem Urteil dem Antrag der Verteidigung. Der Staatsanwalt hatte auf fünf Jahre plädiert, der bis dato wortkarge Angeklagte das „letzte Wort“ ergriffen: "Ich hoffe, die Gerechtigkeit siegt.“ Seine Frau soll ihn wieder in Gnaden aufgenommen haben.